Diese Website dokumentiert mein Mandat als Abgeordneter des Europäischen Parlaments von 2009 bis 2024 und wird nicht mehr aktualisiert.

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Warum wählen?

20.05.2019

Deine Fraktion hat eine intensive Arbeit geleistet. Lohnt sich das starke Engagement oder sollten die Kräfte nicht besser auf Themen vor Ort gelenkt werden?

Die Fragestellung verkennt die Komplexität und Vielschichtigkeit von Politikentwicklung und Entscheidung in der EU - denn Arbeit im Europäischen Parlament (EP) und vor Ort sind kein Widerspruch oder jeweils auszuwählende Schwerpunkte, sondern bedingen einander. Engagement in Brüssel und Straßburg ist auch Engagement für Themen vor Ort. Ich habe in den bisherigen Antworten versucht darzustellen, dass alles, was auf EU-Ebene beschlossen und bestimmt wird, auch Wirkung bei uns vor Ort in den Kommunen entfaltet. Und umgekehrt. Gerade in Bezug auf die einzige direkt gewählte EU-Institution, die ja darauf angewiesen ist, Meinungen von Bürger*innen und kommunalen wie regionalen Gebietskörperschaften aufgreifen zu können, wenn es um gesellschaftliche Veränderung im Interesse von allen Bürger*innen geht.

Und wir haben als Linksfraktion im EP viele Anhörungen, thematische Konferenzen durchgeführt, also auch die Themen von vor Ort direkt ins EP und in den europäischen Diskurs geholt. Ich erinnere hier an unsere regelmäßigen Beratungen mit dem europäischen linken kommunalpolitischen Netzwerk REALPE, die Gewerkschaftspolitischen Verständigungen TUNE (European Trade Union Network), oder auch den sehr umfangreichen politischen wie wirtschaftlichen Denkansatz einer Sozialen und Solidarischen Wirtschaft - in Praxis umgesetzt in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten und von unserer Fraktion als einen der Schwerpunkte alternativer Wirtschaftspolitik vorangetrieben. Hier gilt es übrigens nach den Europawahlen am 26. Mai und der Konstituierung des neuen Parlaments am 1./2. Juli verstärkt anzuknüpfen.

Oder vielleicht auch dargestellt am eigenen Wirken: Beispiel Plastikmüll. Dieser verschmutzt immer mehr die Strände, Mikroplastik ist verstärkt im Wasser und letztlich sogar im Nahrungsmittelkreislauf zu finden. Ein wichtiger, wenn auch nur erster Schritt seitens der EU darauf war, gesetzgeberisch bestimmte Arten von Einwegplastik zu verbieten. Und diese Orientierung in Richtung Stärkung und strukturpolitischer Ausrichtung auf regionale Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und -Wiedergewinnung im stofflichen Wertschöpfungsprozess gilt es fortzusetzen. Übrigens auch im Interesse der kleinen und mittelständischen Betriebe, von Ausbildung und Arbeitsplatzschaffung bzw. -erhaltung in den neuen Bundesländern, aber auch EU-weit.

Es wurde festgestellt, dass die EU ein „bürokratisches undemokratisches Monster“ sei. Womit kannst und willst Du ihm zu Leibe rücken?

Ich nenne die EU weder undemokratisch noch Monster. Es gibt Demokratiedefizite, manches ist verbesserungswürdig. Aber auch die Demokratie in Deutschland hat doch noch Potenzial, denken wir nur einmal an Volksabstimmungen auf Bundesebene. Und das Wort „Monster“ als Beschreibung für politische Institutionen werde und kann ich nicht nutzen, es ist falsch. Weil es scheinbar Ohnmacht gegenüber politischen Entscheidungsstrukturen beschreibt, als ob etwas über uns kommt oder uns bedroht. Aber das Gegenteil ist doch der Fall. Wenn wir Demokratie wollen, sie stärken, ja, auch sie verteidigen müssen. Gerade hinsichtlich von uns allen angehenden Entscheidungsprozessen des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission aber v.a. auch des EU-Rates.

Sicher, die EU regelt viel und auch manches in extremer Feingliedrigkeit. Aber ich erinnere noch einmal daran: Beschlossen wird auf europäischer Ebene in der Regel mit Einstimmigkeit im Rat, sprich unter den Mitgliedsstaaten. Es wollen sich also 28 bzw. nach dem Brexit 27 nationale Regierungen in den Beschlüssen wiederfinden und ihre ganz speziellen Anliegen geregelt wissen. Nationale Einzelinteressen werden also auf europäischer Ebene eingepflegt und zur Regelung für alle erhoben. Da geht es oft in die Tiefe mit vielen Details.

Und es gilt eben auch, konsequent das Subsidiaritätsprinzip bei Beschlussfassung und Entscheidungsumsetzung noch viel stärker zu berücksichtigen. Das aber erfordert auch wachsende Einmischung der Bürger*innen in EU-Politik. Was soll gemeinschaftlich, was gemeinsam entschieden werden, was kann und muss auf der jeweils unmittelbarsten Ebene von Bürgerbetroffenheit verbleiben.

Demokratie ist zeitlich aufwendig, erfordert Engagement, Fachwissen und Transparenz, denn am Ende muss das ja dann auch alles umgesetzt und kontrolliert werden. Das ist verantwortungsbewusstes Handeln - kann aber eben auch schnell in bürokratisches Agieren, oder mehr noch, bürgerfremde Auswüchse ausarten, wenn und weil nur noch formal gedacht und gehandelt wird.

Aber dies bezieht sich nicht nur auf EU-Politikrealisierung, sondern doch genauso auf mitgliedstaatliche Entscheidungsprozesse usw. - die Entscheidungsebenen sind wiederum keine Antipoden. Ich stelle dies hier als permanente Herausforderung fest, denn auch ein Mitglied des Europäischen Parlaments repräsentiert in Deutschland mindestens ca. 840.000 Menschen im EP. Und muss versuchen, sowohl deren Sichtweisen und Fragen, Meinungen und Forderungen aufzugreifen, wie auch die von vielen anderen Bürger*innen in Deutschland als auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Ein soziales und demokratisches Europa wird nur hervorgebracht werden können, wenn ich nicht nur Brandenburger bzw. Cottbuser Probleme kenne, sondern auch die von Menschen in Portugal, Griechenland oder Polen - um mal beispielhaft diese Art von Verflechtungen europäischer Politikentscheidungsprozesse aufzuzeigen.

Demokratie bedeutet Volksherrschaft und als solche ebenso demokratische Kontrolle. In Relation zu den gut 500 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der EU ist meiner Meinung nach auch der viel gescholtene EU-Beamtenapparat nicht unverhältnismäßig groß. Und auch hier weise ich noch einmal darauf hin: Alle EU-Mitgliedsstaaten wollen sich in den EU-Institutionen angemessen vertreten wissen – inhaltlich wie personell. Seien wir ehrlich: Das ist nachvollziehbar unter dem Aspekt der gleichberechtigten Partnerschaft und Zusammenarbeit, oder?

Was werden Deine zentralen Themen in der Parlamentsarbeit sein, wenn man Dich wählt? Was wirst Du garantiert nicht unterstützen?

Das Feld der Internationalen Handelspolitik habe ich in den letzten Jahren intensiv begleitet. Hier würde ich gern fortsetzen und mein Kernanliegen, den ethischen und fairen Handel als grundlegendes Prinzip internationaler Handelspolitik verbindlich vor- und festzuschreiben und somit zur Norm anstelle eines unkonditionierten Freihandels zu machen, fortführen. Handel darf nicht einseitig bevorteilen – da ist bei der Herstellung von Gleichberechtigung zwischen der EU und ihren weltweiten Handelspartnern noch Luft nach oben. Das gilt dann auch für das Weiterbohren am dicken Brett eines verbindlichen UN-Abkommens für die Verantwortung der Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes in ihrer Wirtschaftstätigkeit, das gegenwärtig in Genf beim UN-Menschenrechtsrat verhandelt wird.

Besonderes Anliegen ist mir aber auch die Umsetzung bzw. Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030. Hierfür haben wir nur noch wenige Jahre Zeit und es gilt bei diesen Punkten, die Weichen für die kommenden Generationen, unsere Kinder und Kindeskinder, ehrlich und verantwortungsbewusst zu stellen und ihnen eine l(i)ebenswerten Planeten zu hinterlassen. Hierfür haben wir nicht mehr viel Zeit. Packen wir es an!

Ansonsten gilt es aber auch, flexibel bei seinen Themenwünschen zu sein. Die neue Fraktion, die neu gewählten Parlamentsmitglieder unserer Fraktion wollen auch ihre Wunschthemen bearbeiten. Es gilt, kompromissfähig zu sein. Am Ende geht es um die linke Sache, nicht um Ämter und Stellen.

Eines ist aber klar, und hier spreche ich sicher für die gesamte zukünftige linke Fraktion: Militärische Aufrüstung, Unterstützung von militärischen Einsätzen und Interventionen wird von unserer Seite nie Zustimmung finden. Verhandlungen und Gespräche sind immer der einzig wahre Weg. Krieg ist die ultima irratio!

Warum sollte man überhaupt zur Wahl gehen und ist es damit getan?

Ich habe in meinen Antworten versucht darzustellen, dass die EU etwas bewegt, bedeutet und uns auch vor Ort beeinflusst und mitbestimmt. Das sollte niemandem egal sein. Sicher, wir haben bei uns keine Wahlpflicht, Belgien im Übrigen zum Beispiel schon, sondern ein Wahlrecht. Ich habe also das Recht zu wählen, muss es aber nicht. Als Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Landes sollte man sich aber trotzdem dieser Tatsache bewusst sein – es ist in so vielen Teilen unserer Erde mitnichten eine Selbstverständlichkeit. Sich an Wahlen zu beteiligen ist in meinen Augen also nie eine Option, sondern eine Art Verpflichtung. Für dieses Wahlrecht wurde in unserem Land schließlich 1989/1990 auch massenhaft demonstriert.

Und ist es damit getan? Sprich einmal alle vier, fünf Jahre seine Wahlstimme abgeben und gut ist es? Nein, mitnichten! Für eine gute und richtige Wahl muss man auch wissen, wen und was man wählt. Das erfährt man keineswegs durch ein paar Wochen Wahlkampf im Vorfeld einer Wahl, liest man nicht nur aus Wahlprogrammen und erfährt man ebenso wenig nur aus Gesprächen und Interviews mit Kandidierenden, nein. Es gilt, die ganze Zeit das politische Geschehen zu beobachten, das Agieren der Abgeordneten und Parteien zwischen den Wahlen. Ihr Auftreten im Parlament. Machen sie, was sie versprachen? Wie weit gingen sie bei Kompromissen, wo waren rote Linien, ist Glaubwürdigkeit vorhanden? Das sollten mündige Wählerinnen und Wähler ebenso im Fokus haben.

Demokratie und ihre Errungenschaften wie zum Beispiel Wahlen bringen Rechte und Pflichten mit sich. Die Politik agiert nicht im luftleeren Raum. Die Bürgerinnen und Bürger müssen und sollen die Politik kontrollieren. Daher muss auch am 26. Mai für die Kommunalwahlen in Brandenburg und die Wahlen zum Europäischen Parlament gelten: Wahlteilnahme? Selbstverständlich!

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