Auf einmal bestimmen drohende oder bereits verhängte Strafzölle, Bittbesuche von Staats- und Regierungschefs in Washington, Szenarien von Handelskriegen und erhitzte Debatten um Protektionismus versus Freihandel die Schlagzeilen. Erneut sind die EU-Handelspolitik und ihre Verknüpfung mit unserem Alltag berechtigterweise im Fokus der Öffentlichkeit. Spätestens mit den Protesten gegen TTIP wurde deutlich, dass wir es satt haben, wenn über unsere Köpfe hinweg in Freihandelsabkommen über wichtige Bereiche unseres Lebens bestimmt wird.
Wir wollen in demokratischen Verfahren selbst darüber entscheiden, wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir konsumieren und produzieren. Und wir müssen es auch künftig (noch) können. Als Koordinator der Linksfraktion im Handelsausschuss des Europaparlaments war und ist es meine Aufgabe, diese Position in alle Diskussionen auf europäischer Ebene zu tragen. Das bedeutet harte Auseinandersetzungen nicht nur gegenüber EU-Rat und Kommission sondern auch im Europäischen Parlament. Abgeordnete der Konservativen, der AfD und der Liberalen, aber auch Teile der Sozialdemokratischen Fraktion zeigen viel zu wenig Verständnis für unsere Kritik und setzen weiter auf Freihandel als Maß aller Dinge internationalen Handel(n)s der EU.
Die neuen Handelsabkommen sind für die aktuelle parlamentarische Mehrheit in Brüssel wie auch in Berlin ein willkommenes Instrument um Dinge durchzusetzen, denen in einer demokratischen Entscheidung eine Mehrheit der Bevölkerung nicht zustimmen würde. In den Protesten gegen TTIP wurde diese kritische Mehrheit sichtbar.
Wir wollen nicht, dass Investoren vor Sondergerichten gegen von unseren Parlamenten beschlossene Gesetze zum Schutz von Umwelt und Gesundheit klagen können, wenn sie ihre Profiterwartung gefährdet sehen. Zur Demokratie gehört: Gleichheit vor dem Recht. Wenn es ein Problem gibt, sollen Investoren das vor bestehenden Gerichten zur Entscheidung bringen, wie alle Bürgerinnen und Bürger auch. In Brüssel setze ich mich aktuell dafür ein, dass endlich ein Katalog von Pflichten für Investoren definiert wird. Respekt von Umweltgesetzgebung und Rechten der Beschäftigten muss dazu gehören, ein Mehrwert für den Ort der Investition muss entstehen. Als Linksfraktion unterstützen wir daher auch entschieden die Arbeit in der UNO an einem bindenden Abkommen über die Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen, was ausdrücklich auch entsprechende Umweltbelange einschließen soll.
Neben dem Verkauf von europäischen Autos, Lebensmitteln oder Chemieprodukten geht es in Handelsabkommen zunehmend um den Verkauf von Dienstleistungen. Dazu zählen Finanzdienstleistungen, aber eben auch die Privatisierung von Dienstleistungen, die aus unserer Sicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendig sind und von öffentlichen Unternehmen sichergestellt werden sollten. Ich sage: Wasserversorgung durch kommunale Unternehmen ist eine Errungenschaft! Öffentliches Eigentum ist auch ein Teil unserer Demokratie.
Die bereits jetzt nicht nur konzipierte sondern bereits eingeleitete nächste Stufe der Abkommen umfasst den Datenhandel im Zeitalter von Industrie 4.0, 3-D-Druckern, digitaler Wirtschaft und Krypto-Währungen. Große Konzerne wie Google drängen darauf, ihr Geschäftsmodell in den Verträgen unangreifbar zu machen. Nicht nur ich meine: persönliche Daten dürfen nicht zur Ware reduziert und damit auch zur internationalen Handelsware gemacht werden. Das ist die amerikanische Sichtweise, in Europa ist Datenschutz jedoch ein Grundrecht.
Unsere bisherigen meist Abwehrkämpfe müssen ein Kampf für unsere Ansprüche an faire Handelsbeziehungen werden. Gemeinsam mit vielen NGOs arbeiten wir an konkreten Vorschlägen , wie ein alternatives Handelsmandat aussehen sollte - im Interesse von Umwelt, guter Arbeit überall und der Antwort auf globale Wertschöpfungsprozesse, die längst nicht mehr an nationale oder kontinentale Grenzen gebunden sind, sowie die Bewahrung bzw. den Ausbau der regionalen Kreislaufwirtschaft, inkl. Müllvermeidung und -beseitigung. Dazu gehören ebenso Steuergerechtigkeit und demokratische Kontrolle der internationalen Finanzströme.
Die auch von mir mit durchgesetzte Schaffung eines Preises für die „Europäische Stadt des fairen und ethischen Handels“, dessen Verleihung durch die EU-Kommission erstmals am 27. Juni erfolgt, weist in die richtige Richtung. Dazu zähle ich auch unser Ringen für den Erhalt und die Stärkung eines multilateralen, Regel basierten Handelssystems, in dem nicht der stärkere über den Schwächeren, der Große über den Kleinen entscheidet.
Gemeinsam mit Umweltverbänden, Verbraucherschutzinitiativen, Gewerkschaften, und vielen engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden wir als Fraktion in Brüssel in die Offensive gehen und Anfang 2019 in einer großen Konferenz im Europaparlament unsere Arbeit für eine alternative Handelspolitik bilanzieren und konkrete Vorschläge auf den Tisch legen. Maßstab ihrer Qualität soll der Beitrag sein, den sie zum Erreichen der Ziele für eine Nachhaltige Entwicklung leisten kann, die von allen Mitgliedstaaten der UNO mit der Agenda 2030 festgelegt wurden. Ein dickes Brett, das wir da gemeinsam bohren.