Versicherung und Spedition - das waren die Fächer der SchülerInnen, die mit Helmut Scholz am Oberstufenzentrum II in Potsdam zur Handelspolitik diskutierten.
Nach der Begrüßung, gefolgt von einer kurzen obligatorischen Vorstellung, ging es gleich los in einen vielfältigen Austausch. Erster Punkt war die französische Präsidentschaftswahl vom letzten Wochenende. Nach deren Auswirkungen auf Europa gefragt entgegnete Helmut Scholz, dass Wahlen immer national geprägt sind und so auch das Handeln der (Europa-) Politiker. Aus Erfahrungen im Europäischen Parlament (EP) weiß Helmut Scholz, dass man auch im EP meist auf den nationalen Vorteil bedacht ist. Die neue französische Position in der EU hängt aber nicht nur vom frisch gewählten Präsidenten Macron ab. Maßgeblich Einfluss nehmen wird auch die noch im Juni neu zu wählende Nationalversammlung - erst dann werde die Richtung klar, so Scholz.
Mit Macrons Position für ein gemeinsames europäisches Budget kann sich Scholz anfreunden, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik ist, nach einer schon vorhandenen gemeinsamen Währung, zu begrüßen und stellt einen Wandel in der bisherigen französischen Politik dar. Das wird dann im zweiten Schritt aber wohl auch zu einer europäischen Steuerpolitik führen müssen. Die deutsche Position ist also an der Frage auszurichten: "Mehr Einheit in der EU oder weiter in der Krise?". Die vielen nationalen Wahlen im Jahr 2017 sind daher für Helmut Scholz auch Richtungswahlen zur Zukunft der EU.
Mit seinem Appell zu einem gemeinsamen Nachdenken zur Handelspolitik stieß der Europaabgeordnete bei den SchülerInnen auf offene Ohren. Für Scholz drückt und wirkt das "Niedriglohnland" Deutschland auf die anderen EU-Staaten, da sich alle letztlich in einem großen europäischen Binnenmarkt und Zollunion befinden. Deutschland habe als Exportnation schließlich ein Interesse, dass seine Nachbarn kaufen können.
Natürlich spielte auch der Brexit im Gespräch eine Rolle. Der Europaabgeordnete stellte klar, dass für das EP bei den Austrittsverhandlungen die Rechte der BürgerInnen, z.B. bei den in der EU erworbenen Rentenansprüchen, ein absolutes Tabu und keine Verhandlungsmasse darstellen. In dem Zusammenhang kam man dann auch relativ schnell auf Populismus und die Mittel der EU hiergegen zu sprechen. Helmut Scholz stellte rhetorisch die Frage, was denn die EU sei. Letztlich ja die Entscheidung von Nationalstaaten, bestimmte ihrer nationalen Souveränitäten abzugeben. Europäische Politik wird aber weiter von den Nationalstaaten betrieben - sei es im Rat der jeweiligen Fachminister oder im Rat der Staats- und Regierungschefs. Das EP und damit letztlich die europäische Vertretung der BürgerInneninteressen kann "fast nur noch" abnicken.
Die nationale Politik gestaltet also primär die EU - der Populismus ist somit zuerst ein nationales Problem und als solcher wohl auch nur hier aufzulösen. Für Helmut Scholz ist im 21. Jahrhundert bzw. in der Globalisierung ein gemeinschaftliches Agieren die einzige Option, Populisten wollten zurück in ein nationales Gestern. Das wird aber scheitern! Die Aufgabe zu eben jener Aufklärung geht aber an alle - und damit auch an die nationalen Parlamente wie Bundestag und Landtage und die dortigen PolitikerInnen.
Eine weitere Frage drehte sich um die Integration und wie diese in einem Riesenprojekt wie der EU überhaupt noch gelingen könne. Die jetzigen europäischen Verträge brauchen für Scholz eine andere Ausrichtung zur Integration. Neue Verträge wären aber die Aufgabe der Nationalstaaten - in Zeiten nationalen Populismus wohl illusorisch. Gerade hier können und sollten sich aber die nationalen Parteien zum Projekt EU bekennen! Aufgabe auch der LINKEN zur kommenden Bundestagswahl im September diesen Jahres.
Den Abschluss des kurzweiligen Gespräches bildete dann die Türkei und die Frage nach deren europäischer Perspektive. Die dramatische Entwicklung im parlamentarischen System der Türkei bringt für den Europaabgeordneten Helmut Scholz erhebliche Fragen, ebenso der Umgang mit Minderheiten und der Frieden im Land. All das sei eine starke Belastung im Umgang mit der Türkei. Letztlich entscheidet für Scholz die innergesellschaftliche Entwicklung der Türkei über die Einhaltung der Beitrittskriterien wie Grundrechtecharta oder die Kopenhagener Kriterien. Nach wie vor sei er aber "Pro" Beitrittsperspektive, schon allein um die pro-europäischen Kräfte in der Türkei nicht noch weiter zu schwächen. Aktuell sieht Scholz jedoch für einen möglichen EU-Beitritt der Türkei keine Aussicht auf Erfolg.