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Zukunft der EU - nicht ohne linke Perspektiven!

Dienstagsgespräch der LINKEN im Landtag Brandenburg und im Europaparlament gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung

09.05.2017
Felix Thier
Helmut Scholz, Marco Büchel, Martin Schirdewan, Stephan Bastos (v.l.n.r.)

Helmut Scholz, Martin Schirdewan vom Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), Stephan Bastos als Projektleiter Europäischer Dialog - Europa politisch denken von der Stiftung Genshagen und Marco Büchel als Vorsitzender des Europaausschusses des Landtages Brandenburg und Mitglied der dortigen Linksfraktion gemeinsam auf dem Podium – da kann es nur um das Thema Europa gehen. Und so war es auch: „Zukunft der EU – nicht ohne linke Perspektiven!“ war der Titel des jüngsten Dienstagsgespräches der Brandenburger Linksfraktion, dieses Mal gemeinsam veranstaltet mit der LINKEN im Europaparlament und der Brandenburger RLS.

Das Dienstagsgespräch fand im Klubhaus Ludwigsfelde statt.

Für Martin Schirdewan ist die Zukunft der Europäischen Union (EU) offen. Linke Perspektiven sind möglich, denn auch die Linke hat verschiedene Zukunftsideen zu Europa – jedoch noch keine klare Vorstellung oder gar einheitliche Position. Die Linke muss sich jedoch diesen Herausforderungen stellen, haben doch die Wahlen der letzten Jahre gezeigt, dass die großen Parteien der Sozialdemokratie in Europa an Zuspruch verlieren.

Stephan Bastos bemerkte, dass der Begriff „Europa“ in den letzten Jahren nur noch mit „Krise“ assoziiert wird. Ebenso brachte er seine Freude über das Ergebnis der Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich zum Ausdruck. Die Wahl zeige aber auch den Zusammenbruch des alten Parteiensystems in Frankreich und das Erstarken des Front National wäre die große Herausforderung für alle! Und es sei sicher: Scheitert der neue Präsident Macron, scheitert die 5. Republik in Frankreich. Und das wäre die neue und schlimmste Krise von allen – denn dann scheitert auch die EU.

Helmut Scholz wiederum brachte in seinem Eingangsstatement zum Ausdruck, dass Deutschland die Verantwortung hat, sich einzubringen und mitzugestalten. Auch die Linke muss sich somit Gedanken machen und mitarbeiten an und in Europa. Die Verantwortung sei wahrzunehmen. Eine führende Rolle Deutschlands würde jedoch Misstöne in der EU unter den anderen Mitgliedsstaaten hervorbringen.

Mit Blick auf die Sparpolitik der letzten Jahre war man sich weitgehend einig, dass der Weg aus diesem Spardiktat der Troika von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationaler Währungsfonds gefunden werden muss, um endlich wieder die Wirtschaft anzukurbeln und Leistungen nicht weiter zusammenzustreichen. Eine Änderung eben dieser europäischen Politik wird aber wohl mit einem deutschen Finanzminister Schäuble nicht möglich sein - ein Hinweis auf die bei uns im September anstehende Bundestagswahl. Vom Podium wurde also eine deutsche Verantwortung für die EU bejaht – allerdings mit einer anderen politischen Grundeinstellung.

Für Stephan Bastos ist die EU als ein Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern zu sehen und nicht nur von Staaten: Jeder in Deutschland habe auch Verantwortung für seine europäischen Schwestern und Brüder – denn auch unser Wohlergehen hängt an Europa! Europa und der Euro sind jetzt zu stabilisieren und auszubauen. Ein Warten auf die nächste Krise wäre fatal. Helmut Scholz würde sich hier eine stärkere Rolle für das Europäische Parlament (EP) wünschen – allein die Nationalstaaten haben sich dies als Beschneidung ihrer nationalen Souveränität verbeten. So werden aber gemeinschaftlich angestoßene Veränderungen kaum möglich – ein Konstruktionsfehler in den Europäischen Verträgen. Das EP könne bisher nur Ja oder Nein sagen, ein wirklicher Streit über Inhalte findet kaum statt. Auf der anderen Seite stellte Scholz aber auch die kritische Frage in den Raum, wie wichtig uns selbst denn die Entwicklungen bspw. in Dänemark, Griechenland, Finnland oder Malta sind? Wo bleibt da ein europäischer Gedanke?

Aus dem Auditorium kam die Frage, was denn nun die Lehre aus dem Brexit sei. Stephan Bastos meinte, dass das EP selbstbewusster werden müsse und den Bürgerinnen und Bürgern Europas so seine Bedeutung und positive Wirkung aufzeigen müsse. Das EP muss sich seine Rechte jedoch auch endlich erkämpfen und nicht immer nur klagen. Für Helmut Scholz bedeutet das einen Konflikt mit den Nationalstaaten, denn eine demokratische Neubegründung braucht auch eine Neubestimmung der Rechte und Möglichkeiten des EP. Und dann ginge es um Punkte wie Sozialunion, Vergemeinschaftung, ein soziales Europa, Arbeit und Zukunftschancen junger Menschen.

Mit Blick auf die von EU-Kommissionspräsident Juncker vorgelegten fünf möglichen Szenarien zur zukünftigen Entwicklung der EU stellte Moderator Marco Büchel die Frage in den Raum, ob denn ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Entwicklung gut oder schlecht wäre. Was wäre zielführender für das Projekt Europa? Denn die Ausgangslage in den einzelnen Staaten ist ja extrem divers – wie sei daraus eine Stimme, ein Tempo zu bilden? Die Antwort des Podiums: Ein stärkeres soziales Profil in Europa muss sein! Für Martin Schirdewan lässt sich die Krise nur international lösen, die EU muss daher enger zusammen rücken. Formen für eine neue Politikgestaltung, einen neuen Ansatz, sieht er in Griechenland mit Syriza oder in Spanien mit Podemos. Hier setzte man auf öffentliche Diskussionen und breite Debatten.

Für ihn hat man nach dem Brexit allerdings bisher wenig gelernt. Als erste Reaktion darauf stellten führende Politiker den Ausbau der militärischen Sicherheitspolitik in den Raum, statt über soziale Gleichheit zu sprechen. Denn die Menschen in Großbritannien haben sich nicht aus Angst vor einer militärischen Bedrohungslage gegen die EU ausgesprochen. Es war doch vielmehr die unsichere soziale Zukunft, die viele auf die (irrationale) Rückbesinnung auf den vermeintlich starken Nationalstaat setzen ließ. Für Schirdewan muss die Linke in die gesellschaftliche Debatte hineinführen, die Änderung der Europäischen Verträge sei das Ziel. Dafür sei einzutreten, auch, wenn es bisher scheiterte.

In der Schlussdiskussion kamen verschiedene Punkte zur Sprache, die hier nur noch schlagwortartig erwähnt werden sollen. Interessant war z. B. die Frage, wo denn eigentlich der Rechtsruck der letzten Jahre herkam, wo nahm er seinen Anfang? Für das Podium war dieser Ruck in der Verteidigung des eigenen Wohlstandsniveaus zu suchen, nationales Wohlergehen und neidvolle Besitzstandswahrung sorgten und sorgen für das Erstarken nationaler Tendenzen und (rechts-)populistischer Kräfte.

Kritisch hinterfragt wurde von der Zuhörerschaft auch, warum es von Seiten der LINKEN keine geschlossenen Aufruf pro Macron in der Stichwahl um die französische Präsidentschaft gab? Wo war da die geforderte Einheit der Linken in Europa gegen Rechts?

Auch sei in der Diskussion bisher noch keine echte linke Perspektive für Europa aufgezeigt worden. Hier sollte sich die Linke erklären, wo können sich die Bürger einbringen, wie werden die Kompetenzen verteilt? Defizite sind benannt worden, nun sind für einzelnen Bereiche Lösungen zu bieten und um Mehrheiten sei zu werben. Als ein Beispiel wurde ein europaweiter Mindestlohn genannt. Das bedeutet nicht, dass jeder in allen EU-Staaten die gleiche Lohnuntergrenze erhält. Aber z. B. sollte Deutschland raus aus der Stellung eines Niedriglohnlandes und endlich Arbeit hier auch angemessen entlohnen. Ferner müssen die Sozialleistungen zum würdigen Leben reichen – überall in der EU.

Helmut Scholz stellt in dem Zusammenhang klar, dass die Handels- und Wirtschaftspolitik in der EU auch über die Wirtschaft in der Welt entscheidet. Billige Preise in der EU drücken die Margen in der restlichen Welt – Menschen dieser Länder können dann von ihrem dortigen Einkommen nicht mehr leben und suchen ihre Zukunft verständlicherweise in der EU. Eine von mehreren Fluchtursachen.

Abschließend stellt Helmut Scholz, auch mit Blick auf das aktuell in der LINKEN diskutierte Bundestagswahlprogramm, klar: Die Frage des Friedens ist auch Europa! Die LINKE in Deutschland muss sich zu Europa bekennen und auch gerade im Bundestagswahljahr klar pro Europa auftreten.

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