Der Konstitutionelle Ausschuss des Europäischen Parlaments beschäftigt sich erneut mit dem Instrument der Europäischen Bürgerinitiative. Ist das angesichts der Erfolglosigkeit bisheriger Initiativen nicht vergeudete Zeit?
Tatsächlich ist die Europäische Bürgerinitiative keine Erfolgsgeschichte. Bisher hat es keine der zahlreichen Initiativen geschafft, politisch ernsthaft berücksichtigt zu werden. Das betrifft übrigens nicht nur progressiven Forderungen, wie die nach der Unterbindung der Privatisierung von Wasser oder des Stopps der Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP). Abgewiesen wurde ebenso eine Initiative, die darauf zielte, ein erzkonservatives Familienbild politisch in der EU zu verankern. Wir schauen uns gerade alle diese Erfahrungen genau an, um konkrete politische Rückschlüsse zu ziehen und Änderungsforderungen hieraus abzuleiten. Dank unserer auch zahlenmäßig gestärkten Fraktion machen wir diese Arbeit diesmal im engen Schulterschluss mit unseren Partnern aus Italien und von SYRIZA.
Wo steht das Parlament bei diesen Überlegungen?
Nach zahlreichen Diskussionen mit Vertretern von Europäischen Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen diskutieren nunmehr die Abgeordneten im Ausschuss untereinander und erarbeiten Vorschläge, wie es weiter gehen sollte. Dabei zeichnen sich zwei Punkte der Übereinstimmung ab: Niemand stellt das Instrument an sich in Frage und es gibt eine hohe Übereinstimmung, dass erkannte Defizite zu überwinden sind. In diesem Zusammenhang werden viele auch technische Aspekte diskutiert, im Kern geht es aber eigentlich immer um die Frage, wie der politische Einfluss einer Bürgerbeteiligung gesichert werden kann.
Ist dieses Herangehen wirklich fraktionsübergreifend?
Nein, natürlich nicht: die neue Fraktion der Rechtsextremen hat in diesem Zusammenhang nur ein wenig politisch gestänkert und sich dann desinteressiert abgewendet. Sie haben nur wenige Forderungen gestellt, diese zeigen aber ungeachtet aller Rhetorik eines: Die Rechten haben kein Interesse an einer demokratischen Teilhabe, und schon gar nicht auf der europäischen Ebene. Das von dieser Fraktion verfolgte Gesellschaftsmodell ist autokratisch und nationalistisch, da passt die Europäische Bürgerinitiative einfach nicht rein.
Was könnte im Ergebnis der Debatten an Neuerungen herauskommen?
Es zeichnen sich drei mögliche Achsen der Veränderung ab, über die wir diskutieren. Es geht erstens darum, die EBI von der Schlacke der Bürokratie zu befreien. Es wäre sicherlich sehr hilfreich, wenn die formalen Anforderungen an eine Initiative z.B. im Hinblick auf den Umfang der zu erhebenden Daten EU-weit harmonisiert und deutlich reduziert würden. Es geht auch um weniger Zeitdruck beim Sammeln von Unterschriften oder um die Frage, wer sich per Unterschrift an einer Initiative beteiligen darf. Ich halte die Bindung an das aktive Wahlrecht, also in den meisten EU-Mitgliedstaaten erst ab 18 Jahre, für nicht haltbar und würde auch dafür plädieren, dass ein solches Recht nicht an die Staatsbürgerschaft gebunden ist. Es ist nicht vermittelbar, warum meine Nachbarn, die genauso aktiv wie ich in unserer Gesellschaft leben und nur einen »falschen«, einen Nicht-EU-Pass haben, sich hier nicht einbringen sollen dürfen.
Zweitens: Wer sich aktiv für eine demokratische Teilhabe der Bevölkerung einsetzt, wird sich konsequenterweise mit dem aufzulösenden Widerspruch konfrontiert sehen, dass die Strukturen der repräsentativen Demokratie, also z.B. die Parlamente, und die der partizipativen Demokratie finanziell nicht gleichgestellt sind. Warum soll die partizipative Teilhabe des Souveräns, also der Bevölkerung, eigentlich immer nur ein »reines Vergnügen« sein und bleiben? Hier könnte z.B. existierende Haushaltsmittel der EU sinnvoll umgewidmet und eingebracht werden.
Das Hauptproblem bleibt doch aber die mangelnde politische Wirkung der Bürgerinitiative.
Natürlich und genau das wäre auch mein dritter Punkt. Wir sehen uns jeden Tag mit einer abnehmenden Legitimität und Akzeptanz der gegenwärtigen EU-Politik konfrontiert und zugleich starken Tendenzen z.B. in Spanien und Griechenland, dass die Bevölkerung nach neuen Wegen sucht, sich Gehör zu verschaffen. Ich persönlich halte die Europäische Bürgerinitiative für ein hierfür geeignetes Instrument, wenn es uns gelingt, es politisch anders einzusetzen. Ich glaube es muss folgendes geändert werden: Heute ist der Erfolg einer Bürgerinitiative in der EU an die aktuelle Politik der EU-Institutionen gebunden. Läuft sie dieser entgegen, wird sie als Vorschlag schlechtweg abgelehnt. Dass heißt, wir müssen die Zulässigkeit einer Initiative maximal an die Grundwerte der EU und an die gesetzlich z.B. in der Grundrechtecharta verankerten Grundrechte binden. Das hat selbstverständlich zur Konsequenz, dass die Europäische Kommission nicht zwei Hüte aufhaben darf. Sie ist ja heute die Instanz, die Initiativen sowohl rechtlich bewertet und zugleich Gesetzesvorlagen entwickelt. Diese Doppelrolle widerspricht für mich dem Prinzip der Gewaltenteilung. Ich glaube aber auch, dass auch das Europäische Parlament sich hinsichtlich des Instruments der Bürgerinitiative mehr in die Pflicht nehmen sollte. Bisher reduziert sich unsere Beteiligung auf parlamentarische Anhörungen, sofern eine Initiative erfolgreich ist. Seit dem Lissabon-Vertrag ist das Parlament aber mit klaren gesetzgeberischen Kompetenzen ausgestattet Wir haben also durchaus einen politischen Spielraum, gesetzgeberisch initiativ zu werden, sollte die Kommission hierzu keine Lust haben oder sie gegebenenfalls hierzu auch zu zwingen.
Zur Person
Helmut Scholz, Europaabgeordneter der LINKEN, setzt sich im Konstitutionellen Ausschuss des EU-Parlaments dafür ein, die EBI in ein handhabbares Instrument umzubauen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/983926.buergerinitiativen-aus-der-schlacke-der-buerokratie-befreien.html?sstr=Helmut|Scholz