Der Rat der EU und die Europäische Kommission hindern das Europäische Parlament weiterhin daran, sein in Artikel 226 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbrieftes Untersuchungsrecht wahrzunehmen. „Es ist nichts weniger als ein institutioneller Skandal, dass das Parlament seines Untersuchungsrechts beraubt wird und den von den europäischen Bürger*innen direkt gewählten Abgeordneten eine der wichtigsten Befugnisse des modernen Parlamentarismus vorenthalten wird“, so Helmut Scholz, Europaabgeordneter der LINKEN und Mitglied im Ausschuss für konstitutionelle Fragen.
Helmut Scholz in der Debatte über den Legislativvorschlag zum Untersuchungsrecht des Europaparlaments am Mittwochabend: „Ich sage es Ihnen gleich vorweg: Ich bin dafür, dass wir als Parlament nun vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Wir müssen unser Recht offensichtlich einklagen“, so der Politiker an die Kommissionsvertreter gerichtet. „Nach meiner Rechtsauffassung sind wir sogar dazu verpflichtet, denn wir sind das Parlament der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union und es ist deren Recht, dass sie ein starkes Parlament haben, dass seine Befugnisse voll wahrnehmen kann.“
Mehr als acht Jahre seien vergangen, seit das Parlament mit der Arbeit an dem Vorschlag für eine entsprechende Verordnung begonnen habe, so der Abgeordnete. „Es wird offensichtlich, dass einflussreiche Personen in großen politischen Parteien Angst davor haben, dass ein Europäisches Parlament Mitglieder der Regierungen von Mitgliedstaaten, juristische Personen oder Zeugen vorladen und anhören kann. Wie sehr wäre der Untersuchungsausschuss gestärkt, wenn er Sanktionen gegen diejenigen verhängen kann, die der Vorladung des Europäischen Parlaments nicht Folge leisten?“
Die Kommission habe Einwände gegen die Übermittlung sämtlicher Dokumente erhoben, besonders aber auch gegen die Tatsache, dass Beamte in ihrer Aussage an die Wahrheit gebunden sein sollen, kritisierte der LINKE-Politiker. Zudem seien Rat und Kommission dagegen, dass das Europäische Parlament im Rahmen einer Untersuchung auf dem Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats Nachforschungen betreiben oder Sanktionen gegen diejenigen verhängen kann, die der Vorladung vor den Untersuchungsausschuss nicht Folge leisten. „Wir fordern vom Rat, der Ratspräsidentschaft endlich ein klares Mandat für Verhandlungen zu erteilen“, betonte Helmut Scholz.
„Die Kommission hütet nicht die Verträge, sondern macht mit dem Rat auch noch gemeinsame Sache. Auch Sie sind dagegen, dass der Ausschuss im Rahmen einer Untersuchung in einem Mitgliedstaat Nachforschungen betreiben kann. Was glauben Sie denn, wie es sich für die Bürgerinnen und Bürger anhört, wenn Sie dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht sämtliche Dokumente zeigen wollen? Was haben Sie zu verbergen? Machen wir das Europäische Parlament endlich genauso stark wie den amerikanischen Kongress. Es geht um eine der wichtigsten Befugnisse des modernen Parlamentarismus.“
Hintergrund
Bereits in der vorangegenagenen Legislaturperionde wurden die Vorschläge zum Recht des Europaparlaments auf Untersuchunungsausschüsse mit weitreichenden Befugnissen an Rat und Kommission übermittelt. Trotz zahlreicher Konsulationen, Modifizierungen an dem Papier sowie Stellungnahmen des Juristischen Dienstes des Parlaments kam es noch immer nicht zu einer Einigung. Der federführende Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) schlägt angesichts der Blockade nun unter anderem einen förmlichen institutionellen Protest im Wege eines Schreibens an den Präsidenten des Europäischen Parlaments vor, um die politische Führungsebene auf die Bedenken des Parlaments im Zusammenhang mit der fehlenden Einhaltung des Grundsatzes der interinstitutionellen Zusammenarbeit seitens des Rates und der Kommission hinzuweisen. Zudem soll ein Ersuchen an den Juristischen Dienst des Europäischen Parlaments gerichtet werden, der prüfen soll, ob im Zusammenhang mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der EU-Organe beim Gerichtshof der Europäischen Union Klage erhoben werden kann.