Wie weiter im Europäischen Parlament (EP) nach dem Ausscheiden der britischen Abgeordneten im Zuge des Brexits? Die 73 Sitze der britischen Parlamentarier einsparen, auf die anderen Mitgliedsstaaten für mehr Gleichgewicht untereinander aufteilen? So oder so kann man sich vorstellen, dass das Thema sehr kompliziert und konfliktträchtig ist – in allen Fraktionen des EP und das länderübergreifend. Geht es doch schließlich jeweils um eigene, nationale Interessen und Macht.
Mit der ganzen Materie beschäftigt sich Helmut Scholz schon seit Jahren im zuständigen Fachausschuss des EP, dem Ausschuss für Konstitutionelle Fragen (AFCO). Als Berichterstatter seiner Fraktion, der GUE/NGL, stand er am 31. Januar in der Fraktionssitzung seinen KollegInnen Rede und Antwort. Denn das Parlament muss entscheiden. Dessen Votum geht zur Stellungnahme an den Rat, von da wieder zurück in das EP und muss schließlich in nationales Recht aller 27 Mitgliedsstaaten der EU umgewandelt werden. Denn nach wie vor legen die nationalen Parlamente wie der Deutsche Bundestag oder die französische Assemblée nationale auf nationaler Ebene die Gesetzte zur Wahl des EP fest.
Helmut Scholz machte in der Fraktionssitzung deutlich, dass es für ihn begrüßenswert wäre, wenn das EP standardmäßig über eine feste Anzahl von Sitzen verfügen würde und es zu dieser Frage nicht immer wieder neue „Deals“ geben müsse. Ein großes Problem sei, so Scholz, dass nicht jedes Mitglied des EP die gleiche Anzahl an EU-BürgerInnen vertritt. So sind bspw. die sechs Abgeordneten aus Malta für die nur gut 433.000 EinwohnerInnen ihres Landes zuständig, aus Deutschland stehen aber z. B. 96 Abgeordnete für rund 82,5 Mio. EinwohnerInnen! Ein Parlamentsmitglied aus Deutschland vertritt also wesentlich mehr EU-BürgerInnen als das Parlamentsmitglied aus Malta. Gleichzeitig ist durch die EU-Verträge jedoch zum einen die Höchstzahl an Sitzen für das Parlament insgesamt reguliert, zum anderen ist die Höchstzahl von Parlamentsmitgliedern eines Landes auf 96 (wie im Falle Deutschlands) begrenzt und natürlich müssen auch alle EU-Staaten mit Parlamentsmitgliedern im EP vertreten sein. Dieses Problem des Stimmenungleichgewichts hat man bis heute vor sich hergeschoben, da natürlich kein EU-Staat im EP Sitze verlieren will.
Der AFCO hatte nun in seiner Beratung zu den britischen Sitzen einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Ein Teil der Sitze soll eingespart werden, der andere Teil der Sitze für mehr Gerechtigkeit unter den verbleibenden 27 EU-Staaten aufgeteilt werden. Nun könnte man natürlich an der Stelle auch schon fragen, ob ein europäisches Parlament mit auf 750 Sitzen (plus 1 Sitz für den Parlamentspräsidenten) beschränktes Parlament eine angemessen große Volksvertretung für annähernd 512 Mio. EU-BürgerInnen ist. Allein der Deutschen Bundestag hat schließlich aktuell schon 709 Abgeordnete. Diese Frage stand allerdings gar nicht zur Debatte. Die Lösung des AFCO muss also wirklich als Kompromiss bezeichnet werden.
Die konföderale Fraktion GUE/NGL vertritt in ihrer Vielfalt allerdings keine klare Position. Helmut Scholz zeigte sich als AFCO-Mitglied offen für den 50:50-Vorschlag (Briten-Sitze zur Hälfte einsparen, zur Hälfte verteilen) des AFCO. Niederländer in der Fraktion sprachen sich jedoch klar für die komplette Einsparung aus. Spanien, Frankreich, Portugal, Irland und Italien forderten mit dem Argument „mehr Demokratie durch mehr Parlamentarier“ die komplette Aufteilung der britischen Sitze unter den anderen Staaten. Denn gerade in Ländern mit sehr heterogenen und oft kleinen Volksgruppen (Bsp. Baskenland, Katalonien, …) kann ein Sitz mehr oder weniger für den EU-Staat XY im EP schon über das Ja oder Nein der parlamentarischen Vertretung eben jener Volksgruppen entscheiden.
Es bleibt also spannend, doch die Uhr läuft: Spätestens im Sommer des Jahres 2018 muss zum Beispiel Frankreich verfassungsgemäß-zwingend seine nationalen Gesetze zur EP-Wahl 2019 beschlossen haben. Dem könnte man ja mit einer echten, durch das EP selbst beschlossenen EP-Wahl begegnen. Doch dazu hängen die EU-Staaten leider noch viel zu sehr im national-egoistischen Denken fest …