Vor dem Kongress der Partei der Europäischen Linken in Prag. Interview mit Helmut Scholz, Vorstandsmitglied der EL und der Partei DIE LINKE
Der 2. Kongress der Partei der Europäischen Linken steht vor der Tür. Vor zwei Jahren lautete das Motto des Athener Kongress »Ja, wir können Europa verändern«, jetzt heißt es »Buliding Alternatives«, also Alternativen schaffen. Welche Entwicklung steht dahinter?
Die Europäische Linke oder deutlicher formuliert ihre Mitglieds- und Beobachterparteien bereiten sich gegenwärtig auf ihren 2. Kongress vor, der entsprechend der Statutenregelungen mindestens einmal in zwei Jahren zusammentritt. Als wir in Athen zum ersten Kongress zusammenkamen, waren wir ja noch eine – sozusagen – Novität im Kreis der europäischen politischen Parteien. Diese Partei sollen dazu beitragen, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck zu bringen. Unverzichtbarer Anspruch der linken politischen Parteien in der EU und über ihre Grenzen hinaus ist es also, unsere Vorstellungen und Forderungen nach einer anderen Politik in der Europäischen Union zu formulieren und die Erwartungen der Menschen an ein demokratisches, soziales und friedliches Europa eindeutig zu artikulieren.
Athen hatte die Aufgabe – am Vorabend des Athener Europäischen Sozialforums – herauszuarbeiten: Die Linke ist eine politische Kraft, die sich den Herausforderungen der EU-Integration und darüber hinaus europäischen Entwicklungsprozessen stellt und die sich einbringen will in die Veränderung des Nizza-Europas – auch und gerade in der Auseinandersetzung zur damals laufenden EU-weiten Debatte über die künftige Verfasstheit der Europäischen Union. Es war eine entscheidende Erfahrung für die EL, mit der nach wir vor gültigen Athener Erklärung und den Thesen des Kongresses sich aktiv mit dem »Verfassungsvertrag für eine Europäische Union« auseinanderzusetzen und unsere vorrangige Kritik vor allem an dessen neoliberaler Wirtschaftslogik und Wettbewerbsorientierung und an dessen militärischer Ausrichtung der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und unzureichenden Strukturen herauszuarbeiten und unsere Position in den Mittelpunkt der Aktivitäten der Partei(en) zu stellen. Ein wesentliches Ergebnis war und ist, dass die EL sich selbst in EU-weiten oder auch nationalen Aktionen engagierte – so nicht nur in den nationalen »Nein«-Kampagnen zum EU-Verfassungsvertrag einer Reihe von EL-Parteien, sondern erstmals auch massiv »europäisch« wahrnehmbar in der Kampagne gegen die Bolkestein-Richtlinie.
Mit dem 2. Kongress werden wir EL-Parteien nun beraten und bestimmen, wie weit wir in den ersten drei Jahren gemeinsamer Politik gekommen sind. Wer und was sind wir als europäische politische Partei eigentlich: ein europäisches Nebeneinander von nationalen, unabhängigen politischen Parteien, ein Netzwerk, ein um eine gemeinsame Strategie auf europäischer Ebene sich bemühendes politisches Gebilde, das in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auf nationaler, kommunaler und eben vor allem auf europäischer Ebene eingreifen will (dazu hat Athen Ja gesagt) und eingreifen kann (das wollen wir in Prag ereichen!)?
Wie also bereitet sich eine solche europäische linke politische Kraft auf die Wahlen zum Europäischen Parlament vor, um die so dringend notwendige Antwort geben zu können: »Ja, wir können Europa verändern!«? Eine politische Partei auf europäischer Ebene, die durch die aktive Beteiligung der Mitglieds- und Beobachterparteien erst real wird, das heißt durch das gemeinsame Agieren von Parteien, die in Regierungsverantwortung stehen, Parteien, die auf nationaler und europäischer parlamentarischer Ebene sich in die Politik einbringen, oder auch Parteien, die (noch bzw. gegenwärtig) nur geringen realen Einfluss auf die aktuellen gesellschaftlichen Debatten besitzen. Deshalb wollen wir mit Prag einen weiteren Schritt machen in der Klärung des Verhältnisses der politischen Linken auf europäischer Ebene zu den anderen gesellschaftlichen Akteuren und deutlich sagen: Ja, wir haben eine gemeinsame Strategie, die sich auf die Ablehnung neoliberaler Politik gründet, die sich entschieden gegen die Fortsetzung des Denkens in militärischen Kategorien zur Lösung von wie auch immer gearteten und zustande gekommenen Konflikten hier in Europa oder außerhalb seiner Grenzen wendet. Und die vor allem darauf fußt, dass sich Menschen aktiv in gesellschaftliche Gestaltung einbringen: auf unterschiedlichste Art und Weise. Wir wollen in Prag Alternativen aufzeigen, was gegen eine von den Regierungen der EU-Mitgliedsländer, der EU-Kommission und den großen Finanz- und Wirtschaftsunternehmen verfolgte Politik des Sozialabbaus und der Entfremdung des Staates von seinen BürgerInnen gemacht werden kann. Denn deren EU-Politik erleben viele Menschen von Portugal bis Rumänien, von Schweden bis Italien tagtäglich am eigenen Leibe: statt Vollbeschäftigung und Erhaltung umfangreicher und gesicherter Sozialstandards und wissensbasierter Produktion für alle – wie in der Lissabon-Strategie versprochen – prekäre Beschäftigung und »flexicurity« als »moderne« Zauberformeln zur Sicherung von Rentabilität und höchsten Gewinnmargen für die hiesigen Monopole im globalen Wettbewerb. Die EL will und muss, wenn sie als politische Kraft im »Wettbewerb« mit den anderen europäischen politischen Parteien erfolgreichen bestehen will, konkrete Wege und politische Alternativen zur neoliberal geprägten europäischen Wirtschafts- und Währungsunion aufzeigen – also auch zu dem nicht zu akzeptierenden Lissaboner Vertrag. Und sie muss Alternativen vorstellen, die wieder bzw. sogar erst einmal europäische Wirtschaftspolitik oder erst recht eine europäische Mindestlohnpolitik ermöglichen. Oder auch solche strukturellen und institutionellen Veränderungen vorstellen, die überhaupt demokratische Mitbeteiligung und -Entscheidung vieler bzw. besser noch aller Bürger/innen nicht nur ermöglichen, sondern zwingend notwendig machen. Deshalb also unser Motto für Prag: Alternativen aufzeigen! Building Alternatives! Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger wird reichen, um uns für 2009 zu wappnen und zugleich bis dahin den intensiven Dialog mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften und vielen anderen dazu bereiten gesellschaftlichen und politischen Kräften zu verstärken, um die tagtäglichen europäischen politischen Entscheidungen zu beeinflussen.
Die Europäische Linke scheint ein Erfolgsmodell zu sein. Mittlerweile sind 29 Parteien in ihr vertreten. Kann sich dieser Wachstum fortsetzen?
Auch wenn die eine oder der andere vielleicht meint, die EL ist so gar nicht sichtbar, scheint der wachsende Mitgliedsstand doch zu verdeutlichen: Die Idee der EL ist angekommen. Sie war und ist für alle interessierten politischen Parteien und Organisationen sowie für Einzelmitglieder ein offenes Konstrukt. Insofern bin ich optimistisch, dass mit der weiteren Schärfung unseres politischen Profils und vor allem mit konkreten Arbeitschwerpunkten, Aktionen und Aktivitäten die Zahl weiter steigen kann. Und sicherlich ist mit dem Ausrichtungsort Prag die Botschaft vernehmlich: Die EL ist keine westeuropäische Angelegenheit, sie steht gerade auch jenen politischen Kräften in den mittel- und osteuropäischen Staaten offen, die unser programmatisches und statutarisches Selbstverständnis teilen und an der Veränderung des europäischen Integrations-Ist-Zustandes mitwirken wollen.
Die Entstehung unserer Partei hat, man kann das schon so sagen, die Linke in Europa begeistert. Wie wird unsere Partei heute, fast sechs Monate nach Gründung, gesehen?
Ich kann es kurz machen: An unsere Partei DIE LINKE werden riesige Erwartungen geknüpft. Die sind in den sechs Monaten nicht verebbt, sondern vielleicht sogar eher gewachsen. Und es wird unterstrichen: Wer hätte vor wenigen Jahren daran gedacht, dass gerade in Deutschland politische Hoffnung für die Linke in anderen europäischen Ländern erwächst.
Aber ich will auch sagen: Wir haben damit eine gewachsene Verantwortung. Denn vieles können wir vermitteln, wie wir herangegangen sind an das Zusammenführen unterschiedlicher Linker, wie wir den Parteibildungsprozess organisiert haben etc.; doch wir sind kein Modell, kein Muster. Wir haben vielleicht – selten für Linke, wenn ich das so salopp formulieren darf – unseren Mut und Verstand mal zusammengenommen und haben bewusst gemeinsam den Aufbruch in ein Neues gewagt. Das muss nun untersetzt werden, sonst werden wir keine neue gemeinsame starke Partei, sondern verbleiben inhaltlich vereinzelt.
Lothar Bisky kandidiert in Prag auf Vorschlag von Fausto Bertinotti als Vorsitzender der EL. Wie wird die Kandidatur in den anderen Parteien aufgenommen?
Der Vorschlag Bertinottis ist aus meiner Sicht gerade auch eine Würdigung (und Verpflichtung!) des Projekts der LINKEN und natürlich zu Recht, meine ich, eine Anerkennung des langjährigen Wirkens Lothar Biskys in der europäischen Linken, einschließlich der EL. Denn die Idee dieser politischen Partei wurde bereits 1998 in Berlin – vor den Europawahlen 1999 – von Lothar Bisky geäußert. Es gab, so weit ich das kenne, in allen EL-Mitgliedsparteien einhellige Zustimmung zu dem Vorschlag.
Wieso hat sich die Europäische Linke auf Prag als Kongressort geeinigt?
Prag ist auch als Symbol und Selbstverpflichtung der EL zu verstehen. Die EU umfasst heute 27 Mitgliedstaaten, es gibt eine Erweiterungsperspektive für einige Balkan-Staaten, und zugleich ist die EL eben nicht auf die EU-Außengrenzen begrenzt, wie die Mitgliedschaft der Partei der Kommunisten in der Republik Moldova zeigt.
Die Wahl Prags ist eine Anerkennung für die kleine, aber aktive und rührige Partei des Demokratischen Sozialismus. Und zugleich auch ein Signal in die tschechische Öffentlichkeit: Es gibt auch in Tschechien alternative Kräfte zum neoliberalen Grundkurs der herrschenden Parteien, und die Kooperation zweier linker Parteien – der KPBM und der SDS – kann in Tschechien eine Möglichkeit sein, wieder Vertrauen in konkrete Alternativen der Linken zu gewinnen. Also, Prag soll auch den Linken und den Menschen in den mittel- und osteuropäischen Staaten überhaupt Mut machen, sich politisch zu engagieren.
Was kann und muss die EL (die Partei der Europäischen Linken) in Zukunft besser machen?
Wir müssen endlich für uns annehmen: Die EL ist nichts Abstraktes. Wir alle sind die EL: DIE LINKE in Deutschland ebenso wie die Vereinte und Alternative Linke in Katalonien, der Linksblock in Portugal wie die KP in Österreich. Und wenn wir 400.000 EL-Mitglieder uns auf wichtige politische Schwerpunkte konzentrieren, nicht warten, ob die da in Brüssel etwas machen, sondern in unserer täglichen politischen Arbeit den europäischen Gedanken mitdenken, die europäische Politikebene akzeptieren und damit hier in Deutschland oder andere in ihren Ländern gesellschaftliche Realität beeinflussen, ist eine andere Perspektive möglich. Da will auch ich weiter mittun.
Interview: Oliver Schröder
Quelle: die-linke.de/politik/disput/aktuelle_ausgabe/detail/artikel/wir-alle-sind-die-el/