Ob bei den Besuchen der Bundeskanzlerin in Washington, des US-amerikanischen Außenministers bei Xi Jiping oder beim Treffen der G20 Finanzminister in Baden-Württemberg – überall drehte sich der diplomatische Schlagabtausch um die künftige Architektur der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen nach Amtsantritt des US-Präsidenten Trump. Dessen Forderungen nach US-Zöllen auf Produkte des Exportweltmeisters Deutschland, Abbau der deutschen Exportüberschüsse und Änderung deutscher Wirtschaftspolitik, die Absage an partnerschaftliche Wirtschaftsbeziehungen mit China und dessen Nichtbereitschaft, selbst begrenzt auf den Kreis der G20 notwendige Veränderungen der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen in Richtung gemeinsamer Verantwortung für Fairen Welthandel einzuleiten, machen deutlich: Es geht Trump um die Absicherung der politischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft der USA im Zeitalter der Globalisierung, der Digitalisierung der Wirtschaft und den damit einhergehenden Veränderungen in Produktion und Dienstleistungssektor, im Angesicht der technologischen Revolution, des Klimawandels, eruptiver demografischer Veränderungen. Es geht um die Absicherung der Macht der Wall Street und des US-amerikanischen Finanzkapitals. „2017 wird sich alles um die Neuausrichtung der internationalen Handels- und Wirtschaftspolitik, um die Verantwortung von Staaten und Unternehmen für faire Handelszusammenarbeit und multilaterale Kooperationsstrukturen drehen, die allen Staaten und Menschen gleichberechtigte Chancen auf Zugang und Gestaltung ihrer heutigen und künftigen Regeln einräumt“, so Helmut Scholz, handelspolitischer Sprecher der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament.
Helmut Scholz weiter: „Dass Bundeskanzlerin Merkel während ihres Besuchs den US-Präsidenten von dessen ‚America First‘-Linie abbringen könnte, hat wohl niemand erwartet. Stattdessen holte sich Merkel die Schelte von Donald Trump für die deutschen Exportüberschüsse ab. Aber es geht weniger um die auch aus EU-Sicht zu verändernde und durchaus kritikwürdige Exportpolitik-Wirtschaftsstrategie der Bundesrepublik, sondern vielmehr um grundlegende Weichenstellungen in Richtung fairen Welthandels, nachhaltiger Wirtschaftsweise und Umsetzung der geschlossenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsstrategie–Ziele (SDG). Es geht auch um verbindliche Regeln des Welthandels ohne Steuer- und Sozialdumping, ohne Abschottung und Protektionismus. Gerade aber auf letzteres setzt der US-Präsident – praktisch als Vollstrecker der Interessen von US-Konzernen.“
Internationale Handelspolitik und Wirtschaftskooperation sind deshalb heute genau unter diesen makroökonomischen Herausforderungen neu zu organisieren, so der LINKE-Politiker. „Es sind nicht nur Sozial- und Beschäftigungsstandards sondern auch international zu verabredende und verbindlich vereinbarte Kriterien für nachhaltige und ökologische Wirtschaft, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft, Überwindung von Energiearmut, Handelsmöglichkeiten für kleine und mittelständischen Unternehmen, Beendigung der Nahrungsmittelspekulation, Zugang zu wissensbasierten Produktion zu vereinbaren. Dies sollten die für alle verbindlichen, gemeinsam vereinbarten Eckpfeiler einer neuen internationalen Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit sein, die auch die globalen Wertschöpfungsprozesse bestimmen.“
Völlig inakzeptabel seien deshalb nach Ansicht Scholz die von Angela Merkel in Washington bekräftigten Bestrebungen der Bundesregierung, die unterbrochenen TTIP-Verhandlungen fortzusetzen. „Angesichts der weltwirtschaftlichen Herausforderungen machen die mit der ‚America First‘-Politik Donald Trumps verbundenen Zielsetzungen, auch gegenüber der EU, jegliche Fortsetzung der Verhandlungen über eine transatlantische Wirtschafts- und Handelszusammenarbeit obsolet. Spätestens jetzt stellt sich die Frage konkret, die EU-Handelsstrategie „Trade for All (Handel für Alle), neben multilateralen v.a. bilaterale und plurilaterale Abkommen abzuschließen, zugunsten multilateraler Übereinkommen zu verändern und konsequent anzustreben. Dies umso mehr, als der US-Präsident bereits mit seinen ersten Dekreten beispielsweise Regelungen im Dodd-Frank-Act, die den Handel mit Konfliktmineralien einschränken, oder eine stringente Regulierung der Finanzmärkte gewährleisten sollen, kassieren will.“ Deshalb „müsse endlich das Mandat für die TTIP-Gespräche aufgehoben werden“, das nach wie vor gültig sei und praktisch die Fortsetzung der Verhandlungen verlange. Die 3,5 Millionen Unterschriften von vielen Menschen und auch von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren, Verbänden und Unternehmen - quer durch alle 28 EU-Mitgliedsstaaten – seien endlich ernst zu nehmen.
„Wofür sich Europa, und gerade auch Deutschland, einsetzen müssen, ist eine Welthandelsarchitektur, die die globalen Wertschöpfungsprozesse nicht dem freien Spiel von Unternehmen überlässt. Und zugleich Rahmenbedingungen ermöglicht, die strukturell und revolutionär die Interessenlagen der Beschäftigten im globalen Süden wie den Erhalt bzw. das Neuschaffen von Arbeitsplätzen im Norden, die heutigen realen Markterfordernisse für die Klein- und Mittelständigen Unternehmen wie den Klimawandel und technologische Entwicklungen auch in der Industriepolitik, die gravierende Auswirkungen auch auf den Welthandel haben müssen, aufgreifen. Das betrifft auch die Stärkung und Modernisierung der Welthandelsorganisation WTO, die heute von vielen Verfechtern des neoliberalen Freihandels, und diese sitzen gerade auch in den Regierungen dies- und jenseits des Atlantiks, aufgrund der sich in der WTO vollziehenden machtpolitischen Veränderungen nicht mehr als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen gesehen wird.“