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Folgen wir dem Beispiel der Wallonie!

15.02.2017

Am Mittwoch hat das Plenum des Europäischen Parlaments dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada zugestimmt. Helmut Scholz, handelspolitischer Sprecher der Linksfraktion GUE/NGL, stimmte mit Nein. Er kommentiert das Abstimmungsergebnis:

„Die Hoffnung, die Mehrheit der Europaabgeordneten würde die Bedenken zahlreichen Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich CETA, die kritischen Stimmen aus Regionen und Kommunen, die Warnungen von Wissenschaftlern und selbst jene aus der Wirtschaft ernst nehmen, wurde am Mittwoch enttäuscht. Das Ja zu CETA ist ein Affront gegen die Millionen Menschen, die sich über viele Monate engagiert, fortgebildet, die diskutiert und noch weitere Menschen mobilisiert haben. Gegen TTIP und sein Vorfeldabkommen CETA gab es die größten Protestaktionen seit längerer Zeit.

In der Folge hat das Königreich Belgien die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission offiziell notifiziert, dass es CETA nicht ratifizieren wird, wenn es das Kapitel zum Investorenschutz enthält. Das war eine Bedingung Walloniens, aber auch der deutschsprachigen Belgier und der Region Brüssel. Die Mehrheit der neuen Koalition im Europaparlament von EVP und ALDE mit Unterstützung der ECR hat also einem Abkommenstext zugestimmt, der so nicht bestehen kann. Sie verletzten damit das Demokratieverständnis unserer Bevölkerung - 3,5 Millionen Unterschriften gestern gegen CETA - und sie verletzten gerade die Interessen der vielen Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union und auch in Kanada. Investorenklagen werden kommen. Die vielen Zusatzerklärungen bei der Einigung des EU-Rates durch die Mitgliedstaaten haben uns zwar ein ganzes Interpretationsinstrument als Anhang beschert, im Streitfalle mit Investoren muss jedoch immer Bezug auf den eigentlichen Vertragstext angewandt werden.

Das Abkommen enthält noch immer gravierende Mängel, obwohl Kommissarin Malmström versucht hat, die großen Defizite der Ära de Gucht wegzuverhandeln und die gröbsten Unsicherheitslücken zu schließen. Die Logik von Sonderrechten für ausländische Investoren bleibt trotz Reformen am ISDS System bestehen. Der Negativlisten-Einschluss - erstmalig für ein EU-Freihandelsabkommen - zwingt alle Bereiche in die direkte Marktkonkurrenz, die nicht ausdrücklich ausgenommen wurden. Die ausgefeilten Klauseln zur Regulierungszusammenarbeit lassen das verankerte „Right 2 Regulate“ auf sehr dünnem Eis dastehen - gerade weil CETA als sogenanntes „lebendes Abkommen“ vereinbart ist.

Mit CETA wurde eine neue Epoche in den transatlantischen, perspektivisch vermutlich sogar in den globalen Handelsbeziehungen, eingeleitet. CETA steht ebenso wie das analoge Abkommen mit den USA, TTIP, oder jenes über den Handel mit Dienstleistungen, TiSA, für eine völlig neue Generation von Handelsverträgen, die weit über den Abbau von Zöllen oder nichttarifärer Handelsbeschränkungen hinausgehen. Die Abkommen greifen tief in gesellschaftliche, politische, wirtschaftlich und soziale Prozesse und Entwicklungen ein, ja, sie werden diese zunehmend prägen. CETA wird negativ beeinflussen, wie wir künftig - auch in Bezug auf Klimawandel und notwendige Veränderungen unserer Wirtschaftsweise, Industrie 4.0 eingeschlossen, produzieren.

Die „harten Fakten“ sprechen bereits heute eine klare Sprache. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass in der EU allein durch CETA über 200.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Der Council of Canadians hat anlässlich der Zustimmung des kanadischen Parlaments am 14.02. kritisch angemerkt, dass wenigstens 28 Tausend Arbeitsplätze schon jetzt auf kanadischer Seite gefährdet sind. Das Abkommen würde auch keineswegs den versprochenen großen Wirtschaftsschub bringen, sondern nach sieben Jahren Laufzeit das Bruttosozialprodukt der EU lediglich um 0,03 Prozent erhöhen. Studien aus Europa, den USA und Kanada stellen dagegen jedoch dar, dass die Veränderung unserer Ökonomien durch die neuen Freihandelsabkommen in einem spürbaren Rückzug der staatlichen Ebenen aus der Erbringung von Dienstleistungen sichtbar werden wird. Zudem werden völlig neue Instrumente eingeführt, mit denen die Interessen von Wirtschaft, Finanzunternehmen und Investoren geschützt und sogar bereits in Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt, jene der staatlichen Seite jedoch auf die „Bringepflicht“ reduziert werden. So soll es die sogenannte regulatorische Zusammenarbeit, bei der Konzernvertreter bei der Ausarbeitung von Gesetzen praktisch mit am Tisch sitzen, nicht nur bei TTIP geben, sondern sie existiert in abgewandelter Form auch bei CETA. Die ebenfalls vom derzeit verhandelten EU-USA-Abkommen bekannte Staat-Investor-Streitschlichtung (ISDS) kommt bei CETA im modifizierten Gewand des „Investment Court System“ (ICS) daher. Damit existiert ein Sonderklagerecht für Unternehmen, wenn diese ihre Profiterwartungen beispielsweise durch neue Umweltschutzgesetze gefährdet sehen.

Als mit Artikel 207 des Lissabon-Vertrags die Handelspolitik von den Mitgliedstaaten an die EU-Ebene delegiert wurde, hatten die Verfasser die neue Tragweite von megaregionalen Handelsabkommen der neuen Generation nicht vor Augen. Auch deshalb ist derzeit der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage befasst, wie die Kompetenzen der verschiedenen Ebenen von den neuen Handelsabkommen betroffen sind.

Aber klar ist auch: Der Widerstand gegen CETA,TTIP & Co. wird nicht nach diesem 15. Februar 2017 enden. Im Gegenteil: Das Beispiel des Regionalparlaments Walloniens, das sich gegen die Unterzeichnung von CETA wehrte, könnte Schule machen. CETA muss in allen nationalen und zahlreichen regionalen Parlamenten zur Abstimmung gebracht werden. Und ganz konkret für Deutschland stellt sich nun die Frage: Werden Bundestag und Bundesrat die deutlichen Argumente gegen CETA und andere Freihandelsabkommen berücksichtigen?

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