aus dem Redemanuskript zur Parlamentsdebatte in Strasbourg am 21. Oktober 2009, Helmut Scholz, MdEP:
Herr Präsident, Frau Ministerin und Frau Kommissarin,
- unsere Fraktion der GUE/NGL hat wiederholt hier im Plenum ihre grundlegende Kritik an der Ausrichtung und Verfasstheit der Außen- und Sicherheitspolitik der EU deutlich gemacht und lehnen das Festhalten an dieser Linie im Vertrag von Lissabon ab.
Mit der gemeinsamen Aussprache zum Bericht der "institutionellen Aspekte der Errichtung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes" wird bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode einer ihrer wichtigsten Berichte behandelt. Leider - wenn auch die Beweggründe unseres Kollegen Brok aus Sicht parlamentarischer Aktivität nachzuvollziehen sind - in einer zeitlichen Dichte, die es schwierig macht, sachgemäß und verantwortlich die Dimensionen und komplexen Fragen, die sich aus dieser neu zu schaffenden Struktur ergeben, abgewogen zu haben. Zumal wir etwas auf den Weg bringen sollen, dass leider im Dunstkreis und damit politisch im Machtpoker zwischen den nationalen Macht- und Regierungsinteressen und den EU- Strukturen und intrasent verbleibt.
Das lehnt die GUE/NGL Fraktion ab. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass das EP nach den Verhandlungen und entsprechend den bereits heute morgen hier im Plenum an die schwedische Ratspräsidentschaft geäusserten Erwartungen nach Zurückhaltung bei der Formulierung des Verhandlungsmandats nochmals die Möglichkeit hat sich mit dem EAD zu befassen. Wir sollten uns als Parlament - auch im Interesse einer breitest möglichen Informiertheit der Bürgerinnen und Bürger über die verschiedensten Aspekte des EAD, gerade angesichts der Zweifel und Kritiken zum Lissaboner Vertrag und der forderung nach mehr Transaprenz und demokratischer Mitsprache, in dieser Beziehung ernst nehmen.
Auf den ersten Blick lässt die Einführung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) die Einrichtung einer weiteren bürokratischen und harmlosen (europäischen) Einrichtung vermuten, doch ganz im Gegenteil: Ausgerechnet in diesem Bereich wird um Macht und Einfluss zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen gerungen.
Die Verfassung bleibt insbesondere im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik weit hinter den Erwartungen zurück, und der Brok-Bericht geht eindeutig in Richtung der Stärkung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf EU-Ebene. Dieses Bestreben wurde dann auch umgehend in den Diskussionen im Rat mit der Bemerkung kritisiert, dass der Vertrag von Lissabon eben keine Vergemeinschaftung weder der GASP noch der ESVP vorsieht.
Die Diskussionen über die Errichtung des EAD finden bereits seit Monaten hinter verschlossenen Türen statt. Und meine Fraktion wiederholt: die Nichteinbeziehung des Europäischen Parlaments, betroffener zivilgesellschaftlicher Organisationen oder sogar der nationalen Parlamente wirft ernsthafte Fragen auf. Dies nicht zuletzt weil eine lebhafte, offene und transparente Diskussion über die institutionellen Strukturen und die Rolle des EAD von großer Bedeutung für seine Legitimität und öffentliche Rechenschaftspflicht gewesen wäre.
Ich begrüsse daher den Ansatz von Herrn Brok, dem EP (wenigstens in den Verhandlungen) parlamentarische Mitsprache und mehr Transparenz sowie Rückkoppelung in zivilgesellschaftliche Strukturen der EU der 27 beim Aufbau und der Realisierung des EAD zu verschaffen. In diese Richtung ging dann auch ein Teil der Forderungen der GUE/NGL in den entsprechenden Änderungsanträgen zum Bericht. Leider wurde diese nicht aufgegriffen.
Darüber hinaus fordert die GUE/NGL, dass sich die Debatte zur Errichtung des EAD an den Grundwerten der Europäischen Union orientiert, so wie sie durch ihre Bürgerinnen und Bürger getragen werden und sich in Artikel 2 der allgemeinen Bestimmungen des Vertrages wiederfinden: "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. ..."
Deshalb lehnt die GUE/NGL kategorisch all jene Bestrebungen ab, welche auf eine Einbeziehung der politisch-militärischen Strukturen in den EAD hinauslaufen, egal ob zum jetzigen oder zu einem späteren Zeitpunkt, wie dies unter anderem durch Frankreich erst kürzlich im Rat vorgeschlagen wurde. Die mögliche Vermengung militärischer Planungsaufgaben mit geheimdienstlichen Strukturen und allgemeinen diplomatisch-politischen Aufgabenstellungen - ohne demokratische Kontrollmöglichkeiten ist nicht akzeptabel.
Als äußerst bedenklich und ablehnenswert muss auch der vorgeschlagene rechtliche Status des EAD innerhalb des EU-Systems stimmen, denn nach gegenwärtigem Stand soll der EAD weder beim Rat noch bei der Kommission angesiedelt sein, was die notwendige demokratische Kontrolle des Dienstes auf der Ebene der nationalen wie europäischen Parlamente daher nahezu unmöglich macht.
Insbesondere aus Sicht einiger kleinerer Mitgliedstaaten wäre es sicher wünschenswert, wenn die EU-Botschaften in Zukunft geschlossen die Positionen der EU in Drittstaaten vertreten, doch die Realität wird mit Sicherheit eine andere sein!
In Washington, Moskau oder Peking werden auch in Zukunft durch bestimmte Mitgliedstaaten hauptsächlich nationale Interessen vertreten werden, und sollten diese mal nicht berührt sein, dann darf sicher auch der EAD die Vertretung der Interessen wahrnehmen. Die EU darf hier daher keine Realitätsverweigerung betreiben, sondern muss die Grenzen des EAD anerkennen und versuchen, in einer engen Verzahnung mit den nationalen Diensten ein Höchstmaß an Kohärenz und Effizienz zu erzeugen.