Dr. Cornelia Ernst, ,MdEP, DIE LINKE
Herr
Dr. Frank Walter Steinmeier
Auswärtiges Amt
11013 Berlin
Strasbourg, 03. Juli 2014
ARTIKEL "EUROPA MUSS EXTREMISTEN DIE STIRN BIETEN",
ERSCHIENEN AM 02. JULI 2014 IN DER FRANKFURTER RUNDSCHAU
Guten Tag Herr Steinmeier,
wir Europaparlamentarier erleben immer wieder, dass bei Politikern in den europäischen Hauptstädten eher vage Vorstellungen darüber herrschen, wie es im Europaparlament zugeht, wer mit wem an einer Seite kämpft und warum. Schaurige Fehleinschätzungen lese ich immer wieder. Wie Sie, Herr Steinmeier, zum Beispiel aus einer leicht erhöhten Wahlbeteiligung in Deutschland eine europäischeTrendwende ablesen, ist mir schleierhaft. Aber das ist noch der harmloseste Irrtum, dem Sie in ihrem Artikel "Europa muss Extremisten die Stirn bieten" vom 2.7.14 in der Frankfurter Rundschau aufsitzen.
In ihrer Aufzählung der demokratischen Parteienfamilien im Europaparlament lassen Sie die Linksfraktion geflissentlich unter den Tisch fallen. Da ist sie wieder, die alte Leier von der undemokratischen Linken mit der seit 15 Jahren eine Mehrheit links der Mitte in Deutschland verhindert werden soll.
Und das, obwohl längst andere Zeiten angebrochen sind; genügende ihrer Genossen bspw. aus Brandenburg oder Thüringen belegen das - von den Sozialdemokraten aus anderen Mitgliedstaaten mal ganz zu schweigen.
Sie alle wissen, dass so manche progressive Entscheidung die das Europaparlament in den vergangenen Jahren getroffen hat, nur mit den Stimmen der Linken, und oft genug gegen die Stimmen von Konservativen und Rechten möglich war. Dazu gehören das Datenschutzpaket, das ihre Regierung bislang nach Kräften behindert hat, und zahlreiche Entscheidungen für die europäische Beschäftigungs- und Sozialpolitik und die Freizügigkeit der Menschen.
Dass wie von Ihnen behauptet, ausgerechnet der Ministerrat gemeinsam mit dem Europäischen Parlament etwas bewegen und Europa voranbringen wollte, dürfte selbst manchen konservativen Abgeordneten in Brüssel neu sein.
An einem Punkt haben Sie allerdings Recht: Der Rechtsruck im Europaparlament ist erschreckend. Fast jede vierte Stimme gehört heute den Rechten, die sich zur Speerspitze des europäischen Rassismus, Antisemitismus und konsequenter Menschenverachtung aufschwingen und die Arbeit des Parlaments nach Kräften sabotieren. Um die NPD wieder aus dem Europaparlament zu vertreiben, braucht es ein belastbares Bündnis aller demokratischen Parteien und keine Neuauflage einer Extremismusklausel, die wider besseren Wissens Rechts und Links in einen Topf wirft. Kleiner Tipp: Als Nachhilfe fragen Sie doch mal ihre Ministerkollegin Frau Schwesig.
Noch ein Wort zu den Splitterparteien: eine gesamteuropäische Mindesthürde für den Einzug in das Europaparlament ist ein Vorschlag, über den sich eine Diskussion sicher lohnt. Aber sie hätte weder Le Pen noch Wilders, weder Orban noch die faschistische Goldene Morgenröte oder Jobbik verhindert. Diese Parteien behindern die Sacharbeit im Parlament, und nicht etwa kleine Parteien wie die Piraten oder dieTierschützer, die Positionen vertreten, die übrigens in meiner wie auch in Ihrer Partei ziemlich populär sind.
Ein letztes Wort zum Thema Juncker, der im Übrigen vom Europäischen Parlament noch nicht gewählt ist. In der Tat haben viele Menschen, insbesondere in Südeuropa, gegen die Sparpolitik und das Krisenmanagement Angela Merkels und der Troika gestimmt. Sie wollen eine andere, soziale Politik, und wirkliche Perspektiven. Das Gerede von "zarten Pflänzchen", oder mit den Worten Helmut Kohls, "blühenden Landschaften", haben sie zu Recht satt. Ob ein ehemaliger Chef der Eurogruppe, bekennender Hinterzimmerpolitiker, der wegen einer Geheimdienstaffäre in seinem Land zurücktreten und sich vor Gericht verantworten musste, dafür der Richtige ist, dürfte eine eher radikaloptimistische Erwartung sein.
Die europäischen Grundwerte der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, Minderheitenschutz sind leere Worthülsen, wenn der Unterbau aus gerecht verteiltem Wohlstand und Solidarität fehlt. Statt über Mindesthürden für die Europawahl zu philosophieren, sollten Sie mit uns und anderen Demokraten dafür sorgen, dass nicht Millionen Menschen in Europa auf der Strecke bleiben. Nur eine EU die Armut, Perspektivlosigkeit und Ausgrenzung konsequent bekämpft, und die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nimmt, verdient den breiten Respekt der Bevölkerung.
Mit solidarischem Gruß
Cornelia Ernst im Namen
der Europaabgeordneten der Partei DIE LINKE