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Die Wirtschafts-NATO

26.02.2014
Helmut Scholz, Thomas Händel

Die Verhandlungen zur Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zielen auf die umfassende Liberalisierung des transatlantischen Handels und die weltweit größte Freihandelszone mit rund 800 Millionen Einwohnern. TTIP ist eine Reaktion großer Konzerne in EU und USA auf neue starke Wettbewerber, die ihre Vormachtstellung gefährden. Die US-Regierung schwärmte von der Schaffung einer „Wirtschafts-NATO“.

Es droht eine internationale Öffnung der Vergabe öffentlicher Daseinsvorsorge und damit ein neuer Anlauf der Privatisierung, zum einen durch TTIP, zum anderen durch das gleichzeitig mit einer Gruppe von Ländern verhandelte Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA). Über eine „Negativliste“ soll alles liberalisiert werden, was eine Vertrags-Partei nicht ausdrücklich auf die Liste setzt. Nichts ist ausgeschlossen, weder soziale Dienste, Bildung, Gesundheit noch Abfallentsorgung, Energie, Verkehr und die Wasserversorgung. Zwar sei bislang noch nicht über öffentliche Dienstleistungen gesprochen worden; die Interessen der amerikanischen Seite könnten aber bestehen, so die Kommission.

Derartige international bindende Verträge brechen kommunale, regionale oder auch nationale Regelungen. Eine neue Runde der Ausschreibung beispielsweise der öffentlichen Wasserversorgung kommt damit wieder – und zwar international – auf die Tagesordnung. Künftig könnten wir unser Wasser dann auch von Coca-Cola kaufen müssen.

Darüber hinaus drohen eine massive Schwächung der Arbeitnehmerrechte und die massive Entwertung der wichtigsten Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die USA haben im Unterschied zur EU nur zwei der ILO- Kernarbeitsnormen unterzeichnet. Nicht unterzeichnet sind die Konventionen zur Gewerkschaftsfreiheit, zur Kollektivvertragsfreiheit, zur Zwangsarbeit (Nr. 29), zu gleicher Entlohnung, zu Mindestalter für Beschäftigung und über die Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz.

Zudem werden derzeit in immer mehr US-Bundesstaaten sogenannte "Right-to-work"-Gesetze beschlossen, die auf die faktische Zerstörung von Arbeitsrechten und Gewerkschaften zielen. In einer neuen Fabrik von Volkswagen will der örtliche Gouverneur die Schaffung eines Betriebsrates gesetzlich verbieten. Das paart sich durchaus mit europäischen Unternehmensinteressen, die immer stärker auf geringere Lohnkosten zu Lasten der sozialen Gerechtigkeit drängen. Bereits jetzt sind in 18 von 27 Mitgliedstaaten der EU massive Einschränkungen individueller und kollektiver Arbeitsrechte zu verzeichnen. Schon im März soll das Kapitel zu Arbeitnehmerrechten verhandelt werden.

Ein Hauptziel der Verhandlungen besteht in der Beseitigung von Handelshemmnissen. Ein neuer, von Beamten besetzter Regulierungsrat, soll auch alle neuen Gesetze daraufhin überprüfen können.

Mit dem sogenannten Streitbeilegungsverfahren, das sich bereits im fast fertig verhandelten CETA-Abkommen mit Kanada findet, fungiert künftig eine dreiköpfige Kammer von ausgesuchten Wirtschaftsexperten außerhalb der normalen Gerichtsbarkeit und ohne Revisionsinstanz. Sie kann Staaten zu Entschädigungszahlungen verpflichten, wenn eine Regierung etwa in der Arbeitsgesetzgebung, bei Gesundheits- oder Finanz- oder Umweltpolitik Kapitalinteressen beeinträchtigt oder die erwarteten künftigen Profite eines Unternehmens verringert. Dies würde fortschrittlichere Gesetze stark gefährden, wenn nicht verunmöglichen – und zwar auf EU Ebene, in den Mitgliedstaaten, den Ländern und Kommunen. Dies gilt auch für die Rekommunalisierung. Die sämtlich von CDU und SPD-Schwesterparteien regierten EU-Mitgliedsstaaten hatten sich einstimmig für die Aufnahme dieses Verfahrens in das Verhandlungsmandat ausgesprochen.

Beispiele belegen die Auswirkungen schon heute: In Nordamerika sind Klagen gegen die Errichtung von Naturschutzgebieten und ein Frackingverbot anhängig. Phillip Morris verklagt Australien wegen der Gesundheitswarnung auf Zigarettenschachteln. Australien will deshalb nie wieder solche Abkommen schließen. Und die Bundesregierung wird von Vattenfall wegen des Atomausstiegsgesetzes auf Milliarden Euro Schadenersatz verklagt.

Die TTIP-Verhandlungen sollen bis Ende 2015 abgeschlossen sein. Über die Ratifizierung entscheiden das nächste EU-Parlament und der Rat sowie voraussichtlich auch die nationalen Parlamente. Die Regeln würden dann für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich. Die Verhandlungen tragen den Stempel "Geheim". Auch die Mitglieder der jetzt auf Druck des Europaparlaments installierten "Beratungsgruppe" in der unter anderem auch Vertreter der Gewerkschaften Platz gefunden haben, dürfen über die vorgelegten Papiere nicht berichten.

Wir fordern die umfassende Information der Öffentlichkeit, eine breite öffentliche Debatte und eine umfassend Beteiligung des Europäischen Parlaments. Es geht gerade jetzt darum, mit der Einbeziehung aller gesellschaftlichen Akteure die europäische Demokratie gegen die Herrschaft der Hinterzimmer durchzusetzen und dieses Abkommen zu verhindern.

Aber: Das CETA-Abkommen mit Kanada soll schneller kommen – und damit würden viele TTIP-Ziele durch die kanadische „Hintertür“ schon Realität.

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