(Es gilt das gesprochene Wort) "Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Wenn wir uns heute mit dem WTO-Beitritt der Russischen Föderation beschäftigen – und das nicht zum ersten Mal –, dann gerät zu oft aus dem Blick, dass der Handel mit der Russischen Föderation von seiner Dimension und seiner Ausrichtung für Europa von strategischer Relevanz ist und meines Erachtens bleiben wird.
Ich möchte heute ausdrücklich auf den Bericht von Kollegen Robert Sturdy eingehen, denn er prüft den Zustand des Verhältnisses zur Russischen Föderation unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und nimmt nach den jahrelangen Verhandlungen den Beitritt Russlands zur WTO zum Bezugspunkt.
Ich bin dem Ständigen Berichterstatter für die Handelsbeziehungen zur Russischen Föderation dafür dankbar, dass er sich nicht von beunruhigenden Nachrichten über gesellschaftliche Konflikte, immer neue Behördenwillkür und neue ambivalente Gesetzeslagen in Russland hat treiben lassen, sondern nüchtern bei den Fakten bleibt.
Es gibt Politikbereiche, die der Logik und Dynamik einer Außenpolitik nicht einfach so unterzuordnen sind. Darüber haben wir hier verschiedentlich gesprochen. Wir als Parlament sollten gerade auch mit Blick auf die wirtschaftliche Kooperation und die Handelsbeziehungen diese unabhängig von politischen Konjunkturen politisch gestalten. Ich begrüße, dass die Vertreter der Kommission hier im Parlament jüngst noch einmal das Bekenntnis dazu abgegeben haben, die Stabilität dieser Beziehung zu sichern und hierbei die russische Führung hinsichtlich einer Modernisierung des Landes und ihres Interesses, die EU als Partner an der Seite zu haben, konkret beim Wort zu nehmen.
Eine der großen Lehren aus der früheren Konfrontation in Europa ist: Annäherung bringt Wandel. Gegenseitige Annäherung im 21. Jahrhundert funktioniert aber nur auf Augenhöhe und durch gemeinsame Anstrengung. Handel ist hierfür kein Instrument, zeitigt aber genau diese Wirkung. Dieser Wandel, den wir wie auch die weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit als richtig empfinden, sollte auf eine Entwicklung hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, weniger Armut, mehr Demokratie, selbstverständlich zu mehr Rechtsstaatlichkeit und damit auch zur Einhaltung der Menschenrechte abzielen.
Wir wissen, Rechtsstaatlichkeit ohne Demokratie – oder umgekehrt – geht nicht. Aber ebensowenig geht ein Mehr an Demokratie ohne ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, an Durchsetzung gewerkschaftlicher Rechte, international verbriefter Arbeitsnormen, Umweltstandards usw. Das betrifft gerade auch die ernsthafte Berücksichtigung der mittelfristig sicher nicht leicht zu meisternden Auswirkungen des Beitritts der Russischen Föderation zur WTO für Arbeitsplätze in der Industrie, im Dienstleistungssektor und anderswo.
Ich meine, wir sollten uns auch die Handelshemmnisse noch einmal vergegenwärtigen. Was den Handel mit Russland gegenwärtig wirklich behindert, sind nicht nur Handelshemmnisse, wie wir sie definieren, sondern das ist auch das Thema der fortbestehenden Visapflicht. Die diesbezüglichen Erklärungen auf den EU-Russland-Gipfeln lesen sich gut, haben in der Substanz bisher aber noch nichts gebracht. Das sollten wir ändern!"