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"Kein Deal mit J.R."

27.07.2013

In der jüngsten Ausgabe des Infomagazins "europaROT" der LINKEN im Europaparlament nimmt Handesexperte Helmut Scholz Stellung zu den laufenden Verhandlungen zwischen EU und USA über ein Freihandels- und Investitionsabkommen.

Frage: In den Nachrichten hören wir derzeit viel über den Beginn zu Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Die Abkürzung heißt TTIP (transatlantic trade and investment partnership). Was hat es damit auf sich?

Helmut Scholz: Diese seit der dem 8. Juli begonnenen Verhandlungen sollen das umfangreichste und weitreichendste Abkommen über Handel und Investitionen ermöglchen, dass die Welt bislang gesehen hat. Und es wird sehr direkte Auswirkungen auf unser Leben haben.

Frage: Wo liegt das Problem? Ist es nicht gut für unsere Wirtschaft, wenn wir den Amerikanern künftig mehr verkaufen können?

Helmut Scholz: Das beabsichtigte Abkommen ist keine Einbahnstraße. Die Einfuhrzölle sollen ja auf beiden Seiten abgeschafft werden. Einige Hersteller werden vielleicht mehr verkaufen können, zum Beispiel Autos oder chemische Produkte aus Deutschland. Für andere wird jedoch die Konkurrenz größer werden. Sorgen machen sich hier besonders die Landwirte.

Frage: In der Industrie sind doch viel mehr Menschen beschäftigt als in der Landwirtschaft.

Helmut Scholz: Das stimmt, aber wir alle sind auch Verbraucher. Bei diesem Abkommen geht es nicht nur um Einfuhrzölle, sondern viel mehr auch um die Regeln und Standards, die für die Qualität von Produkten gelten. Gerade beim Essen ist es den Menschen bei uns in Europa wichtig, dass wir möglichst natürliche Produkte auf den Tisch bekommen. Da haben wir eine andere Kultur. Wir wollen keine Chemikalien im Bier. Wir wollen keine gentechnisch veränderten Getreide im Brot. Wir wollen kein Fleisch von Tieren, die durch Klonen "hergestellt" wurden und mit Hormonen behandelt worden sind, oder Hühnerfleisch, das durch ein Chlorbad gezogen wurde, um es künstlich heller zu machen. In den USA werden all diese Methoden eingesetzt, um billiger produzieren und kostengünstiger verkaufen zu können.

Frage: Bei uns ist doch "bio" beliebt und es gibt europäische Gesetze, was auf den Verpackungen angegeben werden muss, der Verbraucher entscheidet doch.

Helmut Scholz: Wenn es aber der amerikanischen Verhandlungsdelegation gelingt diese Produkte auf den europäischen Markt zu bringen durch entsprechende Regeländerungen, indem wir zum Beispiel unsere Kennzeichnungspflicht auf Verpackungen für genetisch veränderte Inhaltsstoffe abschaffen müssen, stehen unsere Bauern plötzlich unter einem enormen Kosten- und Wettbewerbsdruck. Wenn Lidl, Netto, ALDI, Tesco oder Mammut etc. im Preiskampf für hiesige Produkte den Daumen heben oder senken, dann droht die Gefahr, dass diese amerikanischen Standards und Methoden von den ländlichen Produzenten wohl notgedrungen übernommen werden (müssen). Gerade wer weniger Geld in der Tasche hat und nicht im Bioladen einkaufen kann, hätte dieses ganze Zeug schon bald im Kühlschrank stehen.

Frage: Gibt es noch weitere Regelungen, die am Verhandlungstisch abgeschafft werden könnten?

Helmut Scholz: Wir wurden im Europäischen Parlament informiert, dass die EU Kommission bereit ist, alle Themen zu diskutieren. Handelskommissar De Gucht, der von den belgischen Liberalen kommt, wollte keinerlei "rote Linien" in seinem Verhandlungsauftrag haben. Er will nach zwei Strategien vorgehen: entweder Annäherung der gesetzlichen Vorschriften beider Seiten, oder wenn das zu kompliziert scheint, die wechselseitige Anerkennung von Standards und Zulassungen zum Markt. Gerade das letztere finden wir sehr problematisch, zum Beispiel bei Medikamenten oder Finanzprodukten. Schließlich fing diese ganze Krise mit den miesen Tricks amerikanischer Banken an, durch die zahllose Familien in den Ruin getrieben wurden, nachdem man ihnen einen Wucherkredit für ein Haus aufgeschwatzt hatte. Erinnern wir uns, dass auch europäische Banken damals gierig mitverdienen wollten. Von allein regelt sich da gar nichts, da braucht es starke Gesetze, um die Verbraucher zu schützen. Dazu gehört auch, dass die jahrlange Diskussion über die Einführung einer Steuer auf die an den Börsen und auf den internationalen Finanzmärkten erzielten Gewinne auch so eine Regel sein wird, die in den Verhandlungen nun für beide Seiten gelten könnte - und ich meine, muss.

Frage: Darf die Kommission denn jetzt tatsächlich über alles verhandeln?

Helmut Scholz: Eine Ausnahme konnten wir im Europäischen Parlament durchsetzen: eine Mehrheit der Abgeordneten schloss sich unserer Forderung an, Maßnahmen zur Kulturförderung in Europa nicht zu verhandeln. Wir wollten als Linke noch viel mehr erreichen, zum Beispiel den Schutz von öffentlichen Dienstleistungen wie in den Bereichen Wasser, Gesundheit und Bildung. Dafür bekamen wir leider keine Mehrheit. Damit sind viele Fragen einfach offen und nicht öffentlich nachvollziehbar und kontrollierbar. Auch wenn es ein umfassendes "Umwelt- und Menschenrechtskapitel" geben soll: setzen sich die durch das sogenannte "fracking" von den Energiekosten her "billiger" produzierten Waren - v.a. noch in den USA - durch oder gelingt es strenge Maßstäbe an den Einsatz erneuerbarer Energien als wichtigem Kriterium für heutige und morgige Warenproduktion und Energieversorgung festzuschreiben? Welche Unternehmen setzen sich bei Ausschreibungen im Dienstleistungssektor durch bei Müllversorgung, Abwasserwirtschaft, medizinischen Labors - wie geht es auch auf der kommunalen Ebene weiter, wenn ein Bürgermeister vor dem Hintergrund der klammen Kassen und der - beispielsweise in Deutschland vom Bundestag beschlossenen Schuldenbremse - Strassenbau und Bustransport, Pflegeheim und Sportanlagen und andere Infrastrukturentscheidungen für sein Dorf oder die Stadt mit EU-weiten Ausschreibungsregeln dann auch in dieser internationalen Dimension treffen muss.

Frage: Entscheidet denn darüber überhaupt das Europäische Parlament?

Helmut Scholz: Die Kommission verhandelt im Auftrag von Kanzlerin Merkel und den anderen Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU. Deshalb durfte diese Runde - der EU-Rat - auch bestimmen, worüber verhandelt wird. Die Kultur haben sie herausgenommen, alles andere blieb drin. Aber nach Abschluss der Verhandlungen muss das Ergebnis dem Europäischen Parlament vorgelegt werden. Wir Abgeordneten können auch Nein sagen, wie wir es zum Beispiel bei ACTA getan haben.

Frage: Im Europäischen Parlament gibt es eine Mehrheit aus konservativen und liberalen Parteien und auch die meisten Sozialdemokraten haben sich für das Zustandebringen dieses Abkommens ausgesprochen. Ist eine Ablehnung da nicht sehr unwahrscheinlich?

Helmut Scholz: Diese Entscheidung wird erst das nächste Parlament treffen. Es wird im Mai 2014 neu gewählt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ein starkes Ergebnis für DIE LINKE erhalten. Denn nur so eröffnen wir eine reale Chance, das Abkommen mit den USA vom Europaparlament auch dann konsequent abzulehnen, wenn es für die Menschen in Europa eine Verschlechterung ihres Lebens bedeuten würde. Und deshalb sind wir jetzt intensive und kritische qqBegleiter der Verhandlungen - sie gehören an das Licht der Öffentlichkeit; die Menschen hier in allen 28 EU-Mitgliedstaaten wie ja auch auf der anderen Atlantik-Seite müssen ihre Interessen und Bedürfnisse hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Tarifverträgen, Umweltstandards, Ausbildungschancen usw. im Zuge der von den großen Unternehmen und Banken diktierten Ziele und Inhalte für die Handels- und Investitionspolitik artikulieren und an den jeweils von Runde zu Runde erreichten Fortschritten der auf 2 Jahre konzipierten Verhandlungen messen können. Sie sind doch die Konsumenten und die Produzenten!

Frage: Wissen die Bürgerinnen und Bürger denn genug über dieses Abkommen, damit es bei ihrer Wahlentscheidung überhaupt eine Rolle spielen könnte?

Helmut Scholz: Ich fürchte, noch nicht. Ich bin in den letzten Wochen bereits von vielen Gewerkschaftsvertretern, Umweltschutzverbänden und Verbraucherschutzorganisationen angeschrieben worden, die mehr über das Thema erfahren wollten. Meine Veranstaltungen und Interviews zu diesem Thema häufen sich. Leider ist es für sehr viele Menschen und auch für ihre Organisationen schwierig, etwas über den konkreten Inhalt der Verhandlungen zu erfahren. Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt. Eine meiner wichtigsten Forderungen lautet daher: wir brauchen volle Transparenz der Verhandlungen. Die Menschen haben ein Recht darauf zu erfahren, was die Unterhändler vereinbaren wollen. Dann können sie auch eine informierte Entscheidung darüber treffen, ob sie dieses Abkommen wollen oder nicht.

Frage: Wie hat die Kommission auf diese Förderung reagiert? Helmut Scholz: Wir 30 Abgeordnete im Handelsausschuss werden nun tatsächlich besser informiert. Jeweils vor und nach einer Verhandlungsrunde berichtet uns der Chefunterhändler. Aber auch das findet hinter verschlossenen Türen statt. Die Kommission argumentiert damit, dass die amerikanischen Verhandlungspartner ein Recht darauf hätten, dass ihre Angebote vertraulich behandelt würden. Gerade durch den aktuellen Abhörskandal wird dieses Argument natürlich lächerlich. Schließlich spioniert die US-Regierung die Europäer ja systematisch aus. Die amerikanische Seite beschwert sich sogar über Datenschutzregeln in der EU und versucht aktuell, einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Bürgerrechte zu sabotieren.

Frage: Wie geht es nun weiter?

Helmut Scholz: Die erste Verhandlungsrunde fand vom 8. bis 12. Juli in Washington statt. Die zweite Runde soll in der ersten Oktoberwoche in Brüssel tagen. Um die Verhandlungen zu beeinflussen, arbeite ich daran, mit Gewerkschaften und weiteren gesellschaftlichen Kräften ein Bündnis aufzubauen, dass die Schritte aufmerksam verfolgt und Zwischenergebnisse auf de Prüfstein liegt. Nur so können wir die Mehrheiten bilden die nötig sind, um ein schlechtes Ergebnis abzulehnen. Abgeordnete der SPD haben zum Beispiel gesagt, dass sie gegen das Abkommen stammen würden, falls die Kommission ihre Absicht wahr macht, Unternehmen ein Klagerecht gegen Regierungen zu schaffen, falls zu, Beispiel neue Gesetze zum Umwelt-, Verbraucher-, oder Arbeitnehmerschutz den erwarteten Profit verringern. Nageln wir sie gemeinsam darauf fest.

Frage: Besteht denn eine Alternative zu diesem Abkommen? Helmut Scholz: Als LINKE sind wir nicht grundsätzlich gegen Handel oder gegen eine Verständigung mit der amerikanischen Bevölkerung. Aber wir wollen keine Abkommen, mit denen die jetzigen Probleme nur noch verstärkt würden. Und wir wollen ein klare Einbindung in weltweite faire Handelsstrukturen. Amerikanische Politiker haben einmal in der Frühphase der Vorbereitung auf die Verhandlungen das geplante Abkommen eine "Wirtschafts-NATO" genannt. Das beschreibt ganz gut, dass andere Teile der Welt das Gefühl haben werden, zwei der größten Wirtschaftsmächte würden sich gegen sie zusammenschließen. Wir treten jedoch für einen fairen und gerechten Welthandel ein. Wir wollen ein hohes gemeinsames Ziel bei Verbraucherschutz, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechten. Die Regeln müssen wir gemeinsam mit allen Partnern multilateral entwickeln, statt sie gemeinsam mit Washington einfach zu bestimmen. Wird das Abkommen wie geplant geschlossen, droht für Umwelt und Beschäftigte ein Wettlauf nach unten und es würden in Europa jene Unternehmen und Staaten profitieren, die schön heute besonders stark exportieren. Die Kluft zu den anderen würde sogar noch größer werden und die Weltwirtschaft noch instabiler.

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