In den "Brüsseler Spitzen" der Berliner Tageszeitung neues deutschland spricht sich Helmut Scholz für ein grundsätzliches Umdenken in den Beziehungen zwischen EU und Russland aus.
Zwischen der Russischen Föderation und
der EU floriert der Handel, vielfältige Beziehungen
in Forschung und Entwicklung,
im Wissenschaftleraustausch ergänzen
diese. Das ist auch natürlich,
denn die EU will und kann nicht auf die
russischen Rohstoffe verzichten und
ebenso ungebrochen ist die Nachfrage
aus dem russischen Markt nach europäischen
Fertigprodukten, Dienstleistungen
und Know-how, gerade auch weil viele
Industriezweige sich nach dem wirtschaftlichen
Zusammenbruch unter Jelzin
und seinen neoliberalen Stichwortgebern
noch nicht wieder erholt haben. Und
ohne eine weitergehende Integration in
die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung
wird dies auch künftig schwer bleiben –
mit allen sich daraus ergebenden Folgerungen
auch für Arbeitsplätze und sozialwirtschaftlichen
Aufschwung. Nicht von
ungefähr führte der Kurs einer politischen
und wirtschaftlichen Stabilisierung
der letzten Jahre zwangsläufig zur Frage
nach strategischen Partnern bei der weiteren
Modernisierung. Bei meinen jüngsten
Gesprächen in Moskau betonten alle
Gesprächspartner von der Regierung bis
zur linken Opposition übereinstimmend:
Russland wird den Weg der Modernisierung
des Landes weiter gehen und auf
diesem mit jedem verantwortungsbewusst
kooperieren, der Augenhöhe und
Interessenausgleich garantiert. Und genau
hier scheint im Verhältnis zur EU das
Problem zu liegen.
Sehr schnell war mit der »Partnerschaft
für Modernisierung« eine gemeinsame
Formel für die Weiterentwicklung
der Beziehungen gefunden. Aber trotz
fast vier Jahre dauernder Verhandlungen
kommt deren Umsetzung nicht voran. Ein
Grund dafür ist, dass nicht gemeinsame
Interessen im Vordergrund der praktischen
Politik stehen, sondern zuerst Vorleistungen
und Bedingungen, zu denen
auch die Unterordnung unter EU-Vorgaben
gehört. Schaut man sich entsprechende
EU-Dokumente an, so folgen sie
immer dieser Logik. Auch in der Entschließung
des Europäischen Parlaments
zum jüngsten EU-Russland-Gipfel heißt
es unverblümt, dass »die künftige Vertiefung
der Beziehungen zwischen der EU
und Russland davon abhängen wird, ob
sich Russland um die Stärkung von Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit bemüht
«. Es ist richtig und wichtig, die mit
der Unterzeichnung der Europäischen
Menschenrechtskonvention eingegangene
Selbstverpflichtung Russlands zur Demokratieentwicklung
in Verhandlungen
nachdrücklich anzusprechen. Auch darin
stimmten die Gesprächspartner in Moskau
überein. Sie verwiesen aber zugleich
darauf, dass sich die Rolle eines Schulmeisters
weit vor einer Partnerschaft erschöpft.
Sehr deutlich gaben sie zu verstehen:
Aus russischer Sicht strotzen
Vertreter der EU in den Gesprächen mit
Moskau vor Stärke, vergessen dabei aber,
dass man in der russischen Gesellschaft
sehr aufmerksam verfolgt, wie dieselben
Vertreter die Probleme zu Hause nicht im
Interesse der Bürger gelöst bekommen.
Nur der Dialog ist ein geeignetes Mittel
auch in dieser sensiblen Frage, denn
konkret bleiben die Gesprächspartner
Antworten auf die Fragen nach dem Wie,
Was und Wann anstehender Veränderungen
weitgehend schuldig.
Die Zeit für einen Richtungswechsel in
der Russland-Politik der EU drängt; nicht
zuletzt, weil die Herausforderungen
wachsen, vor denen beide gemeinsam
stehen. Vor allem muss endlich auch das
Thema der gemeinsamen Sicherheit
konstruktiv angegangen werden. Die
Münchener Sicherheitskonferenz vor 14
Tagen hat erneut belegt, dass Moskau
trotz aller Angebote auch in diesem Bereich
offensichtlich immer noch als
»Gegner aus dem Kalten Krieg« betrachtet
wird. Es ist nicht zu verstehen, warum
gemeinsame Sicherheit nicht gemeinsam
aufgebaut wird. Das Fehlen einer Lösung
hinsichtlich der US-Raketenabwehr in
Europa kann zu einer schweren Belastungsprobe
im europäisch-russischen
Verhältnis werden und gefährdet akut die
bisherigen Schritte bei Rüstungsbegrenzung
und Abrüstung.
Bleiben die Beziehungen der EU zu
Russland alten Denkmustern verhaftet,
sollte es nicht wundern, wenn Russland
als Konsequenz auch danach strebt, seine
»europäische Abhängigkeit« zu lockern.