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Ernüchternde Bilanz

07.06.2011

Die Europäische Nachbarschaftspolitik hat sich diskreditiert. Neuansatz der Kommission greift zu kurz

Ernüchternde Bilanz

Die Europäische Nachbarschaftspolitik hat sich diskreditiert. Neuansatz der Kommission greift zu kurz

Gerade einmal sieben Jahre ist es her, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) aus der Taufe hoben. Was 2004, vor dem Hintergrund der bevorstehenden EU-Erweiterung, angestrebt wurde, klang vernünftig: Es sollte verhindert werden, dass neue Trennlinien zwischen der erweiterten EU und den europäischen Nachbarstaaten entstehen. Vielmehr wollte man die Zusammenarbeit, die Stabilität und die Sicherheit für alle Beteiligten stärken. Gemeinsame Werte wie die Achtung der demokratischen, der sozialen wie der politischen Menschenrechte sollten dabei ebenso Grundlage für eine Nachbarschaftspolitik sein wie die Förderung politischer und wirtschaftlicher Reformpolitiken. Der Bogen der Partnerländer reicht von Belarus über Moldawien, den Nahen Osten bis in den arabischen und nordafrikanischen Raum.

Europäische Interessen in den Vordergrund gestellt

Spätestens mit den zivilgesellschaftlichen Demokratisierungsbestrebungen in Nordafrika und im Nahen Osten sowie dem faktischen Scheitern der "EU-Mittelmeerunion" war es höchste Zeit, Bilanz zu ziehen und über neue Perspektiven nachzudenken. Diese Bilanz, die das Europäische Parlament im Frühjahr zur Nachbarschaftspolitik zog, fiel sehr ernüchternd aus, denn das Ergebnis ist mehr als mager. In dieser Einschätzung wurde man sich schnell einig, in der Ursachenanalyse nicht. Das Gros der Abgeordneten tut sich schwer zu erkennen, dass der Konstruktionsfehler der ENP darin besteht, dass "Europa" eben nicht jene Interessen, die wir mit unseren Nachbarn gemeinsam haben, in den Mittelpunkt gestellt hat: Frieden, internationale Sicherheit und Stabilität, die Beseitigung von Unterentwicklung und Armut, die Gewährleistung grundlegender demokratischer und sozialer Rechte, die langfristige und ökologisch nachhaltige Sicherung der Energieversorgung und den Kampf gegen den Klimawandel. Dagegen ist die Nachbarschaftspolitik geprägt von der unveränderten Vorstellung, diese an den Interessen von Wirtschaft und Politik und an den eigenen Vorstellungen davon auszurichten, wie sich die Entwicklung in den Nachbarländern vollziehen solle. Das Ergebnis ist damit zwangsläufig: Die nationalen Interessen und die sehr unterschiedlichen Situationen in den Partnerländern der Nachbarschaftspolitik werden gewollt oder ungewollt ignoriert und man hofiert interessengetrieben z.B. in arabischen und nordafrikanischen Staaten autokratische Regimes wie z.B. die von Mubarak, Gaddafi oder Saleh, um im Gegenzug Öl, Rohstoffe oder Unterstützung bei der Abweisung von Menschen zu erhalten, die in einer globalisierten Welt eine neue Existenz- und Lebensgrundlage oder einfach Schutz vor Repression suchen. Dieser Kurs hat die ENP zutiefst diskreditiert und zu Recht hat das Europäische Parlament deshalb im April eine grundlegende Reform der Nachbarschaftspolitik gefordert.

Keine nachvollziehbaren Kriterien in neuem Vorschlag

Der Ende Mai von der EU-Kommission an den Rat und das Parlament übermittelte Vorschlag einer Neufassung der Nachbarschaftspolitik greift vor diesem Hintergrund viel zu kurz. Es ist zu begrüßen, wenn nunmehr der Demokratisierung in den Nachbarländern Europas eine verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden soll. Die Kommission beabsichtigt, zukünftig demokratische Reformen in den südlichen und östlichen Nachbarstaaten Europas von der EU besser und spürbarer zu "belohnen" und hierfür im Rahmen des bestehenden EU-Haushalts 1,24 Milliarden Euro über die bis Ende 2013 eingeplanten 5,7 Milliarden Euro hinaus bereitzustellen. Aber: Es fehlen die Kriterien, die Prinzipien für eine transparente und öffentlich zu prüfende Unterstützung vielfältiger gesellschaftlicher Strukturen sowie zivilgesellschaftlicher Akteure und der entsprechenden Programme.

Einmischung in innere Angelegenheiten klar abzulehnen

Ausgeblieben sind zugleich explizite Festlegungen, dass eine Beförderung von Demokratisierungsprozessen und eine Unterstützung entsprechender Bewegungen in den Partnerschaftsländern seitens der EU keinesfalls zu einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten genutzt werden darf. Vor welchen Herausforderungen diese neue ENP damit gestellt ist - und wie wichtig deshalb klar nachvollziehbare Entscheidungskriterien sind - verdeutlicht der eindeutig abzulehnende Ansatz, politisch gewünschte Veränderungen wie im Falle Libyens notfalls selbst mit militärischen Mitteln also interventionistisch durchzusetzen.

Eine Nachbarschaftsstrategie, die diesen Namen verdient, muss deutlich über den unmittelbaren Demokratieansatz hinausgehen. Ebenso wichtig sind solche Unterstützungsleistungen, die Bedingungen in den Partnerländern für das Schaffen von Existenz sichernder Arbeit, sozialer Absicherung, Bildung, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit befördern und bringen. Nur so kann schließlich garantiert werden, dass die sicherlich notwendige und angestrebte Demokratisierung von Dauer ist. Und nur auf diesem Wege kann gesichert werden, dass sich die Zusammenarbeit wirklich langfristig, alle Seiten der Entwicklung in Betracht ziehend zum Nutzen der Menschen in der EU der 27 und der von der ENP berührten Staaten gestalten lässt. Nur mit einer tragfähigen und nachhaltigen Strategie kann die Europäische Nachbarschaftspolitik zu einem beständigen Instrument einer gleichberechtigten, nützlichen und wirklichen Partnerschaft entwickelt werden.

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