"... das palästinensische Haus in Ordnung bringen"
In der arabischen Region verschieben sich gerade die altbekannten Bilder, die uns seit Jahren in einem immer währenden Gleichklang die immer gleiche Geschichte erzählten: Es gibt keine Lösungen, hier bleibt alles so wie es ist. Erstaunt reiben sich viele Beobachter in Europa die Augen und suchen nach Erklärungen. Viele Fragen lässt der gegenwärtige Aufbruch in der Region unbeantwortet. Unstrittig scheint aber, hier wirft die Geschichte Altes, sich nicht mehr "Bewährendes" über Bord. Gut, dass Geschichte von Menschen gemacht wird.
Ob sich der 4. Mai, der Tag an dem in Kairo von den beiden politischen Flügeln der palästinensischen Bewegung, der Fatah und der Hamas, das Versöhnungsabkommen unterzeichnet wurde, in diesen Umbruch einordnet, ist heute schwierig zu bewertet. Unbestritten stellt die Unterzeichnung einen wichtigen Moment in der Entwicklung der Region dar, der kaum überbewertet werden kann. Noch im Januar waren die Versöhnungsgespräche hoffnungslos festgefahren und die Fragen, wo ein möglicher Ausgleich der sich bekämpfenden Seiten liegen könnte, blieben unbeantwortet. Man verhandelte, aber in der gegenseitigen Fixierung war der Grundtenor immer: Wir werden es der Gegenseite schon zeigen. "Wenn der Durstige nicht trinken will, ist er selber Schuld ...", war die in diesem Kontext immer wieder angeführte Metapher der Verhandlungen. Die ägyptische Seite zeigte als "Mediator" selbst wenig Interesse, diese Situation zu verändern, mit eigenen Forderungen ergriff sie vielmehr Partei und stoppte die Gespräche auf der Zielgeraden.
Die konkreten Details der Vereinbarung von Kairo sind noch nicht bekannt. Damit bleibt die Frage offen, wie schwer sich die Betroffenen tun werden, das Abkommen umzusetzen. Das Potenzial zu einer Veränderung der Situation im Nahen Osten könnte die Übereinkunft aber haben, um so mehr, wenn alle Beteiligten in der Lage wären, sie als Chance zu verstehen und so behutsam wie möglich damit umgehen. Dieses Potenzial leitet sich aus zwei grundlegenden Veränderungen ab, welche die Kontrahenten dazu drängen, sich an den veränderten Realitäten zu orientieren und in der Konsequenz sich politisch flexibler zu verhalten.
Zum einen kommen der Fatah wie auch der Hamas im Ergebnis der politischen Veränderungen in Ägypten und der jüngsten Entwicklungen in Syrien zusehends ihre Schutzpatrone abhanden. Während sich das Regime in Syrien außenpolitisch zusehends isoliert, hat sich Ägypten bereits auf den Weg gemacht, seine Rolle im Nahost-Konflikt neu zu definieren. Zum anderen kommt seit geraumer Zeit aus der Mitte der palästinensischen Gesellschaft die klare Forderung, nicht länger „Geisel“ der zusehends nur noch ihre eigenen Claims verteidigenden politischen Pole zu sein. Die Forderung nach einem Ende der Spaltung kann somit auch als Forderung verstanden werden, zurückzukehren zu normalen Mechanismen des Überprüfens und Erteilens demokratischer Legitimation. Legitimation für das Tagesleben der Gesellschaft, denn es geht auch und in nicht zu geringen Teilen um das Recht auf Arbeit, das Recht auf "Brot", um Frauenrechte, um das Recht der Familien zusammenzuleben und damit um eine minimale Lebensperspektive. Legitimation für eine Beteiligung der palästinensischen Bevölkerung am politischen Geschehen, den sowohl in der Westbank als auch im Gaza-Streifen gebärden sich die Machtsysteme von Fatah und Hamas zunehmend autoritär und sich selbst genügend. Es geht in der Konsequenz aber auch um die Legitimation für die Beantwortung der Frage nach dem Weg heraus aus der Besetzung und in die lang ersehnte Staatlichkeit.
Keines der Probleme scheint lösbar, wenn nicht die von den bisherigen Kontrahenten vorangetriebene Spaltung der Gesellschaft zurückgeholt wird. Das Kairoer Abkommen kann den Ausgangspunkt hierfür darstellen, alleine wird es aber nicht ausreichen. Dieser Prozess erfordert ebenso, dass alle in der Region agierenden Mächte, einschließlich Israels und des Quartetts die Sehnsucht der palästinensischen Menschen nach dieser demokratischen Legitimation respektieren und Verantwortung für die sich aus der Aussöhnung ergebenden Aussichten für eine Zweistaatenlösung zwischen Palästina und Israel, für eine friedliche Entwicklung in der Region übernehmen.