Helmut Scholz (MEP/THE LEFT): Kontrolle der Big-Data-Unternehmen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger darf nicht durch EU-Handelsverträge ausgehebelt werden
(Veranstaltungshinweis unten und im Anhang)
Die Frage, wie die Macht von Google & Co. in der Digitalwirtschaft – auch weltwirtschaftlich und im Rahmen der multilateralen Handelsordnung – begrenzt werden kann, ist brisant und hochaktuell. In der Welthandelsorganisation WTO werden intensive Gespräche und Verhandlungen zum Bereich des „e-commerce“ – also dem digitalen Handel von Waren und Dienstleistungen – geführt. Die EU ist einer der großen, wichtigen Akteure in diesem Prozess des Setzens von Regeln und gemeinsamen Standards zu diesem Punkt in Genf.
Wenn es um die Regulierung der digitalen Wirtschaft geht, zeigt das Agieren der Europäischen Institutionen, allen voran von Rat und Kommission (letztere als Verhandlungsführerin), jedoch deutliche Anzeichen für politische Inkohärenz. Einerseits führt Brüssel im internationalen Maßstab weitgehende, strenge Gesetze zur Regulierung der globalen digitalen Wirtschaft und der Big-Tech-Unternehmen ein. Auf der anderen Seite fördert es aber in der Logik der offenen Märkte wiederum über bilaterale und regionale Handelsabkommen, bei denen vereinbarte Regeln dann den jeweiligen Regierungen sinnbildlich Handschellen anlegen, um Big Tech de facto und de jure zur Verantwortung zu ziehen. Damit erweist sich die EU gerade auch in der WTO als parteiischer Verhandlungspartner, dem somit von anderen Mitgliedern dementsprechend Misstrauen entgegengebracht und strengere Vorschläge für digitale Handelsregeln als nichttarifäre Handelshemmnisse charakterisiert werden.
Auf diese Widersprüche verweist auch eine Studie, die ich im Auftrag der Linksfraktion im Europaparlament erstellen lassen habe. Darin werden die Qualität der europäischen Politik und Regulierung im Bereich digitaler Handel und künstliche Intelligenz untersucht. Als Autorin konnten wir die bekannte US-amerikanische Expertin Deborah James gewinnen, eine ausgesprochene Fachfrau, wenn es um die Methoden der Einflussnahme von Big Tech auf die Politik geht.
Die Fakten, die die Studie "EU Digital Trade Rules: Undermining attempts to Rein in Big Tech" (was in etwa bedeutet: ‚Höhlen die EU-Regeln für den digitalen Handel die Bestrebungen aus, die großen Daten-Konzerne zu kontrollieren‘) aufzeigt, sind entlarvend: Heute zahlen die Big-Tech-Konzerne die geringsten Steuern und die Branche ist praktisch die am wenigsten regulierte in der EU. Das schafft zugleich Ungleichgewichte zwischen Big Data und vielen kleinen oder mittelständischen Unternehmen in der EU, insbesondere den neuen Start-up-Unternehmen.
Die jetzt vorgeschlagenen EU-Regeln für den digitalen Handel könnten Möglichkeiten zur Besteuerung von Tech-Giganten jedoch noch weiter untergraben und eine weitreichende internationale Regulierung behindern. Diese beabsichtigten EU-Regeln für den Digitalhandel erweisen sich auch hinsichtlich der – ebenfalls von der EU eingeführten – Vorgaben für künstliche Intelligenz und Datennutzung als kontraproduktiv. Dazu kommt auch der sehr oft ausgeblendete Fakt, dass der digitale Handel der EU die Macht von Big Tech über die Arbeitnehmer*innen der Plattformen ausweitet und zugleich die eigentlich beabsichtigte Förderung der notwendigen eigenständigen digitalen Industrialisierung der EU und insbesondere das Engagement und die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) behindert.Die US-amerikanischen Amazon, Google, META, Microsoft, Apple, aber auch die großen chinesischen Wettbewerber wie Alibaba, JD.com, Baidu und Tencent, unternehmen zwar sehr unterschiedlich, aber als global agierende Tech-Giganten vieles, um weitere Vorschriften zu umgehen und die verfügbaren Schlupflöcher zu nutzen. So ist es nicht verwunderlich, dass es gerade die großen Technologiekonzerne sind, die auch im Machtkampf untereinander um die größten Marktanteile, seit Jahren aggressiv Lobbyarbeit betreiben, um politisch im öffentlichen Interesse angestrebte und entworfene Vorschriften durch entsprechende Festlegungen in Handelsabkommen zu verwässern. Denn diese wären dann verbindlich und dauerhaft. Sie treiben ihre Agenda durch Hintertürchen und versuchen, durch Einflussarbeit auf zu verhandelnde Kapitel in bilateralen oder regionalen Handelsabkommen in ihrem Interesse Einfluss zu nehmen.
Die Studienautorin Deborah James meint, dass auch die Europäische Kommission dieses fragwürdige Spiel der Tech-Giganten schon mitspielt. Vielleicht auch notgedrungen, hat die EU doch im Prinzip auf dem Gebiet den Anschluss verloren - und wie sollte der aufgeholt werden. D. James und ich betonen dabei, dass die US-Administration da noch viel weiter hinterherhinkt und sich auch auf internationaler Bühne weitgehend gegen Versuche und ernsthafte Bemühungen um verbindliche multilaterale verbindliche Standardsetzungen und Regulierungen sperrt. Es ist dringend notwendig, dass die Kommission die Regeln für den digitalen Handel auf den Prüfstand stellt – und so verändert, dass eine Kontrolle der Big-Data-Unternehmen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger möglich und nicht durch Handelsverträge ausgehebelt wird.
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Debatte mit Experten, Vertreter*innen auch der EU-Kommission und internationalen Gästen zum Thema am 03. Mai 2023, 15:00-18:30 Uhr, auch im Webstream.
Link zum Programm https://left.eu/events/regulating-artificial-intelligence-and-big-tech-could-eus-digital-trade-agenda-derail-it/
Link zur Studie: https://left.eu/issues/publications/eu-digital-trade-rules-undermining-attempts-to-rein-in-big-tech/