Am 6. und 9. August - dem 77. Jahrestag der US-amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki - werden weltweit die Forderungen nach Beseitigung aller Nuklearwaffen erschallen. Sie werden und müssen deutlicher sein als in den vergangenen Jahren, ist doch mit der russischen Aggression in der Ukraine auch die Drohung des Einsatzes von Kernwaffen als militärische Option in die reale Politik zurückgekehrt. Die seit Jahren zunehmende Nichtbereitschaft und Unfähigkeit sehr unterschiedlicher staatlicher und wirtschaftlicher Akteure in einer global eng wie nie vernetzten Welt mit ihren Abhängigkeiten friedliche Koexistenz, Sicherheit und Stabilität für das 21. Jahrhundert neu zu denken und zu organisieren hat nicht nur Krieg in neuer Dimension zurückgebracht, sondern befördert auch die schneller drehende Rüstungsspirale, nicht zuletzt im nuklearen Bereich. Entgegen dem Wissen aller um die nur noch gemeinschaftlich zu meisternden globalen Herausforderungen werden diese aber zweitranging und das Durchsetzen eigener Interessen und Wertemaßstäbe zum alleinigen treibenden Momentum internationaler Politik. Frieden und Sicherheit - in Europa, in der Welt sind bedroht. [Deshalb ist es wichtig, dass im Friedrichshain in Berlin die japanische Friedensglocke zum Dröhnen gebracht wird - wie in so vielen Städten der internationalen Friedensglocken-Gemeinschaft.]
In dieser Woche sind in New York die Abgesandten der 191 Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags (mit coronabedingter zweijährigen Verspätung) zur 10. Überprüfungskonferenz zusammengetreten. Das Abkommen verbietet die Weiterverbreitung von Kernwaffen und verpflichtet die Atommächte zur nuklearen Abrüstung. Bei beiden Punkten gibt es jedoch nicht erst seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar Grund zur Sorge. Noch immer lagern 13.000 Atomwaffen in den Arsenalen der Nuklearmächte - offiziell. Diese würden ausreichen, um das Leben auf der Erde mehrfach auszulöschen. Bis zu 20 US-Atombomben stehen auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel bereit, um im "Ernstfall" im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilnahme von der Bundeswehr eingesetzt zu werden. Vom Abzug dieser Systeme, der im Wahlkampf 2021 noch von SPD und Grünen gefordert wurde, ist nichts mehr zu hören. Und es ist nicht akzeptabel, wenn Bundesaußenministerin Baerbock allgemein sich zu nuklearer Abrüstung in New York bekennt und zugleich die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik und die NATO-Atomwaffen Einsatzstrategien bekräftigt. Wer soll da die Ernsthaftigkeit deutscher Sicherheits- und Entspannungspolitik in der „Zeitenwende“ glaubwürdig finden?
Vor allem all jene Staaten, die wie die inoffiziellen Atomwaffenstaaten ihre Rüstung in diesem Bereich fortsetzen. Denn gerade die Doppelstandards in der internationalen Politik erschweren den so notwendigen Einstieg in neue, dialogisch erarbeitete sicherheitspolitische Strukturen und in konsequente, auch nukleare Abrüstung. Ob nun Indien, Pakistan, Israel oder möglicherweise Iran und Saudi-Arabien - dieser Kurs führt weder zu mehr Sicherheit für diese Länder, noch für die Welt. Im Gegenteil: Das nukleare Pulverfass wird immer unsicherer, und ein Funke kann reichen, um es zur Explosion zu bringen.
Dabei ist klar, dass sich die überwiegende Mehrheit der Staaten für nukleare Abrüstung einsetzt. Insgesamt 66 Staaten haben inzwischen den im Januar 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag ratifiziert, 86 haben ihn unterzeichnet. Das erste Treffen der Vertragsparteien im Juni hatte gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und Parlamentarier*innen aus zahlreichen Ländern die Forderung nach einer Ächtung von Atomwaffen bekräftigt. Dass sich weder die offiziellen noch die inoffiziellen Atommächte und die NATO-Länder dem Abkommen angeschlossen haben, ist angesichts der gespannten Weltlage nicht nur brandgefährlich, sondern zugleich eine Missachtung des Willens der Staatenmehrheit. Hier muss verantwortungsbewusste deutsche Abrüstungspolitik anfangen. Eine produktive Idee deutscher Außenpolitik hätte es in New York sein müssen vorzuschlagen, dass alle Atomwaffen besitzenden, entwickelnden und modernisierenden Staaten die dafür vorgesehenen und geplanten Mittel in die Bekämpfung des Klimawandels stecken - in einen globalen, allen UN-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden "Klimarettung-Fonds". Analog dem Motto der Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" nun "Atomwaffen-zu-Klimarettung-Fonds". Damit würde - gerade angesichts der bedrohlichen internationalen Lage vom Krieg in der Ukraine bis hin zu den zunehmenden Spannungen in der Taiwan-Straße zwischen den Atommächten China und USA - eine weitere Einstiegsmöglichkeit in weltweite nukleare Abrüstung zu eröffnet.
Ein klares Bekenntnis zur nuklearen Abrüstung und deren konsequente Umsetzung durch die Atommächte und deren Verbündete in Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen wäre ein wichtiges Zeichen zu den Jahrestagen von Hiroshima und Nagasaki.
Brüssel, 5. August 2022