Die Welthandelsorganisation WTO will nach jahrelangen wenig fruchtbaren
Diskussionen in der kommenden Woche wieder Pflöcke einschlagen. An der Ministerkonferenz
wird auch eine Delegation des Europäischen Parlaments teilnehmen, zu der auch Helmut Scholz gehört. Am Dienstagabend sprach der Abgeordnete zu Stand der Vorbereitungen.
Plenarrede Helmut SCHOLZ zur 12. WTO-Ministerialkonferenz
STRASBOURG, 23. November 2021
Herr Vize-Präsident Dombrowskis, machen Sie sich bitte klar, vor welchem historischen Hintergrund Sie nach Genf aufbrechen, wie auch ein Teil unseres Hauses. Und in welchem Kontext - im Konsens der 160 Mitglieder - dort Beschlüsse zu fassen sein werden, die durchaus für die Zukunft eines fairen, regelbasierten, multilateralen Welthandelssystems entscheidend sein werden.
Unsere Welt ist von einer Pandemie erschüttert, der bereits mehr als 5 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. In meinem Heimatland Deutschland wird noch vor Ende dieser Woche die Zahl von 100.000 Opfern überschritten sein.
In Europa, China und den USA gibt es nur deshalb nicht noch sehr viel mehr Tote, weil wir Impfstoffe zur Verfügung haben.
Der Rest der Welt lebt mit Angst, und die Mehrheit Staaten fordert von der WTO, durch den Waiver zu helfen.
Wenn Patente dem Überleben im Wege stehen, dann ist es höchste Zeit, den Weg freizumachen.
Finden Sie den goldenen Weg, Herr Kommissar, für den „Temporary Waiver“. Auch im Interesse der EU.
Die WTO droht ihre Legitimität zu verlieren, sollte die Ministerkonferenz in Genf erneut nicht auf die Bedürfnisse der Weltbevölkerung eingehen.
Wir sind konkret gefordert, endlich den Hunger auf der Welt zu beenden, wie es einst bei der Gründung der WTO versprochen wurde. Die EU steht im Wort. Unsere Resolution fordert daher von Ihnen, Herr Vize-Präsident, dass Sie sich mit allem Einfluss der EU Kommission dafür einsetzen, dass in Genf das von Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala vorgeschlagene Beschlusspaket für die Ernährung der Welt, das „food package“, angenommen wird.
Ich anerkenne Ihre Initiativen, mit denen Sie die Aufgabe Nachhaltigkeit stark in der WTO verankern wollen. Machen Sie es zu Ihrer Priorität, dass die WTO sich zur Unterstützung nachhaltiger Entwicklung verpflichtet und sich mit all ihrem Potential dem Kampf gegen die Klimakatastrophe anschließt.
Zuletzt noch eine Warnung: Eine tragende Säule der WTO ist das Prinzip der „besonderen und differenzierten Behandlung von Entwicklungsländern“. Ich bin besorgt, dass einige Staaten und auch Teile dieses Hauses nun ausgerechnet während MC12 dies in Frage stellen wollen. Das widerspricht nicht nur dem Gründungskonsens, sondern grenzt auch die Mehrheit der Mitgliedstaaten aus, ohne die die WTO jedoch nicht reformiert und eine faire Handelszusammenarbeit gestaltet werden kann.