Tiefe Gräben in der Asylpolitik, der angekündigte Austritt Großbritanniens, der Vormarsch europaskeptischer Parteien in den meisten EU-Ländern, eine ungelöste Finanzkrise, die erst neuerdings dazu zwingt, italienische Banken mit 20 Milliarden Euro zu retten …
Viel war es nicht, was drei EU-Abgeordnete aus Brandenburg am Mittwoch an Zuversicht verbreiten konnten. Schon heute sitzen rund 100 Gegner der EU im Europaparlament, sagte die Abgeordnete Susanne Melior (SPD). Dabei handle es sich um »Menschen, die kein Interesse haben, dass die EU vorankommt«. Die bevorstehenden Wahlen in Frankreich und in den Niederlanden lassen laut Melior erwarten, dass diese Gruppe langfristig gestärkt werde. Aus Sicht des CDU-Abgeordneten Christian Ehlert handelt es sich bei der heutigen schwierigen Lage weniger um eine Krise der EU als vielmehr eine Krise ihrer Mitgliedsstaaten. Länder, die aus der gemeinsamen Politik »ausscheren, verursachen, dass keine Lösungen gefunden werden«, meint Ehlert. Die EU habe »ein Durchsetzungsproblem und ein Glaubwürdigkeitsproblem«. Dennoch sei es auch in jüngster Zeit in verschiedenen wichtigen Fragen gelungen, einen Ausweg zu finden. »Die EU liefert.«
Für die LINKE sitzt aus Brandenburg Helmut Scholz im EU-Parlament. Wenn nun mit Riesensummen das italienische Finanzsystem »gerettet« werden müsse, dann erinnere das an die fatale Situation 2008/2009, sagte er. Scholz fragte: »Was haben wir eigentlich seither gemacht?« Bezogen auf den angekündigten Brexit sagte er, das EU-Parlament werde aufmerksam verfolgen, was »hinter verschlossenen Türen« an Konditionen für Großbritannien festgelegt werde. »Was wird eigentlich gespielt?« Scholz warnte vor allzu günstigen Bedingungen für den Austrittskandidaten Großbritannien, vor einer »Rosinenpickerei«. Das würde die Schleusen für weitere Austritte öffnen. »Dann wäre die EU am Ende.«
Ehlert sagte, es könnten nicht Zugeständnisse an die britische Wirtschaft gemacht werden, wenn die polnische Krankenschwester dort die Freizügigkeit verliere. Er schilderte die Schwierigkeiten mit dem Brexit an einer praktischen Frage in Brandenburg: In Dahlewitz produziere der britische Konzern Rolls-Royce Flugzeugturbinen. Welchen Zugang habe der nach dem Brexit auf den europäischen Binnenmarkt? Könne man dieses Unternehmen noch an europäischen Luftfahrtprogrammen beteiligen? Mit Blick auf den kanadischen Konzern Bombardier, dessen Hennigsdorfer Standort gerade zittert, fragte Ehlert: »Handelt es sich bei Bombardier überhaupt noch um einen vollständigen Schienenfahrzeughersteller. Sollte er Zugang zu EU-Fördergeldern behalten?«
Auf die Frage, ob sich das befürchtete Ende der EU nicht jetzt schon abzeichne, gab es von den drei Politikern Antworten, die beschwörend klangen. Schließlich gehe es gar nicht ohne die EU, keine Macht in der Welt, weder der russische Präsident Wladimir Putin noch der künftige US-Präsident Donald Trump, würde Deutschland noch für sich genommen auf Augenhöhe wahrnehmen und ernst nehmen, sagte Ehlert. Für Helmut Scholz ist nicht die EU falsch, vielmehr müsse sie mit neuer Politik gefüllt werden. Es habe sich als Irrweg erwiesen, von der Einführung des Euro einen Angleich der Wirtschaftskraft zu erwarten. Das sei ein Fehler gewesen.
Alle drei Politiker nehmen eine zunehmende Verstörung im Verhältnis der Menschen zur EU wahr, auch in Brandenburg, wo aber dennoch eine stabile, wenngleich nicht überschwängliche Zustimmung zum Projekt vorhanden sei. Junge Menschen, die im Schüleraustausch oder als Studenten in Erasmus-Programmen das europäische Ausland vielseitig kennenlernten, seien aufgeschlossener als ältere Brandenburger.
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