Das Europäische Parlament sprach sich am Donnerstag mit deutlicher Mehrheit für die vorläufige Beibehaltung der gegenwärtigen Sonderregelungen hinsichtlich des Nicht-Marktwirtschaftsstatus Chinas aus. Angesichts wachsender Überkapazitäten und schwieriger Wettbewerbsbedingungen für zahlreiche Wirtschaftszweige in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten und in China, veränderter Konjunkturlage in den globalen Wirtschaftsbeziehungen und dem damit drohenden Abbau von Arbeitsplätzen sowie weitreichenden Auswirkungen auf Umwelt und Sozialstandards, wird der Status -wie 2001 beim Beitritt Chinas zur WTO für 15 Jahre vereinbart- beibehalten bis zu einer Verständigung über die Interessenskonflikte zwischen der von der EU in ihrer Marktwirtschaftsordnung verfolgten und der von China vertretenen Auffassung sozialistischer Marktwirtschaft auf Grundlage bestehender WTO-Kriterien und Prinzipien.
Dazu erklärt Helmut Scholz, handelspolitischer Sprecher der Delegation DIE LINKE.:
„Mit dieser Entscheidung haben die Abgeordneten sowohl EU-Kommission als auch die Handels- und Wirtschaftsminister bzw. Außenminister der 28 Mitgliedstaaten am Vorabend Ihrer für heute vorgesehenen ordentlichen Ratstagung nachdrücklich aufgefordert, die seit Jahren überfällige Modernisierung von Handelsschutzinstrumenten endlich in Angriff zu nehmen. Im Kontext der Debatten um den sogenannten Marktwirtschaftsstatus sendet das Europäische Parlament mit seiner Haltung eine klare Botschaft an die EU-Kommission und den Rat der Mitgliedstaaten, die sich auf zwei Forderungen zusammenfassen lässt.“
Der Europaabgeordnete führt aus: „Erstens und besonders wichtig ist die Forderung an die EU-Kommission, endlich klare Vorschläge für die künftige Ausgestaltung der handelspolitischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der EU und China auf den Tisch zu legen. Nach Ende der 15-jährigen Übergangszeit seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) am 11. Dezember 2016 und der dieser Regelung zu Grunde liegenden unterschiedlichen Auffassungen zu marktwirtschaftlichen Strukturen, ist eine belastbare Antwort auf die offene Frage vorzulegen, wie mit dem Marktwirtschaftsstatus (MWS) von China aus Sicht der EU umzugehen ist.
Die gestrige Entscheidung ist, zweitens, ein klares Signal an den Rat der Mitgliedstaaten, seine jahrelange Blockadehaltung gegenüber einer grundlegenden Modernisierung der Handelsgesetzgebung der EU einschließlich der Modernisierung von Handelsschutzinstrumenten aufzugeben. Dazu gehöre das Aufgreifen der Forderungen des Europaparlaments, gerade hinsichtlich der anstehenden Modernisierung des Handelsschutzinstrumentariums, soziale, umwelt- und entwicklungspolitische Aspekte bei der Konzipierung der Anti-Dumping Zahlungen aufzunehmen und zugleich kleinen und mittelständischen Unternehmen entsprechende Unterstützung bei der Erfüllung dieser notwendigen inhaltlichen Ausrichtung von Antidumping-Verfahren zu gewähren.
„Letztlich entscheidend aber wird sein, ob politischer Wille auf beiden Seiten vorhanden ist, die sich seit spätestens 2008/2009 mit der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise aufbauenden Fehlentwicklungen in industriepolitischer Hinsicht, die gewachsenen Überkapazitäten, eine nachlassende Binnennachfrage gerade in der EU durch Kürzungsmaßnahmen (Austerität), die Gefährdung von Arbeitsplätzen, den ökologischen Bedrohungen durch die Großindustrie und die Wahrung bzw. Etablierung von arbeitsrechtlichen Standards in den Fokus der gemeinsamen politischen wie wirtschaftlichen Lösungsvorschläge zu nehmen.
Ein formales Festhalten an den jeweiligen juristischen Auslegungen eines Marktwirtschaftsstatus‘ wird nicht ausreichen, und zwar sowohl auf Seiten Chinas als aber auch von Seiten der EU. Beide Seiten sollten beim bevorstehenden G20 Gipfel im Juli in Shanghai im mit dem Schwerpunkt "Stärkung des multilateralen Handelssystems" als auch dem EU-China-Gipfel diesen Fragen grundsätzlich große Aufmerksamkeit widmen. Denn angemessene Antworten auf diese globalen Erfordernisse und eine nachhaltige, faire und verträgliche Bewältigung der Herausforderungen können nur gemeinsam mit China, und mit Sicherheit nicht gegen China erreicht werden.
Der Abschluss eines Abkommens EU-China für fairen Handel und gegen Preis-, Sozial und Umweltdumping neben den Verhandlungen zum Investitionsschutz könnte ein Beitrag dafür sein. Die EU und China sollten darauf ihre Kraft richten, um einen drohenden Handelskrieg zu vermeiden “, so Helmut Scholz abschließend.