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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 98, 28. April 2023
Liebe Leser*innen,

der 1. Mai wird in diesem Jahr ganz unter dem Motto "Ungebrochen solidarisch" stehen. Tatsächlich verbergen sich hinter diesem Aufruf der Gewerkschaften für den Kampf- und Feiertag viele Aspekte. Es geht, wie DIE LINKE vollkommen zurecht betont, um höhere Löhne, niedrigere Preise und eine Umverteilung von Reichtum. Es geht um den Kampf gegen Armut, soziale Ausgrenzung, um Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Antidiskriminierung. Es geht um eine gerechte Welt, in der nicht der Norden über den Süden dominiert. Es geht um internationale Beziehungen, die nicht mehr von den sogenannten Großen 7 im eigenen Interesse beherrscht werden. Es geht um Unterstützung für Menschen in Not, egal ob sie hier leben oder als Geflüchtete in unser Land kommen. Es geht um gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle und den Erhalt von Arbeitsplätzen auch in Krisenzeiten.

Daher werde ich selbst am 1. Mai auch in Schwedt sein, wo viele Arbeitsplätze in der dortigen Raffinerie in Gefahr sind. Ein Kahlschlag würde nicht nur die betroffenen Menschen und deren Familien hart treffen, sondern zugleich dramatische Auswirkungen auf die ganze Stadt haben. Es ist richtig und wichtig, dass sich viele politische und gesellschaftliche Kräfte, wie die Linksfraktion im Landtag Brandenburg oder Gewerkschaften, vor dem Hintergrund des Fehlens schlüssiger Konzepte für betroffene Regionen, Städte und Industrien dafür einzusetzen, dass das freiwillige Embargo von russischem Erdöl solange ausgesetzt wird, bis die Versorgung des PCK Schwedt mit alternativem Rohöl auf einem Stand vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gesichert ist und somit ein selbständiger wirtschaftlicher Betrieb gewährleistet werden kann. Das aber reicht nicht, weil es das eigentliche Problem unserer Rohstoffbezüge, Weiterverarbeitung und sozial-ökologisch zu meisternder Umstrukturierung der Grundstoffindustrie nicht thematisiert. Ich verlange vielmehr von Bundesregierung und EU-Kommission wirklich große finanzielle Mittel, um wie in der Lausitz beispielsweise, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Region bei der strukturellen Transformation aufzufangen und zugleich Perspektiven für die Menschen und Strukturen der Region zu eröffnen. Kreislaufwirtschaft und dezentrale, kostengünstige Energieversorgung sind schon heute machbar – wenn der politische Wille vorhanden ist. Nationalstaatliche Alleingänge, unter anderem durch Deutschland mit der beschleunigten Errichtung von LNG-Terminals in der Ostsee, sind dagegen keine ökologisch nachhaltige Alternative und zerstören das eh schon geschädigte Ökosystem dauerhaft.

Diese Forderung, das Problem der Energieversorgung EU-weit gemeinsam anzugehen und die Nutzung fossiler Energieträger zu beenden, bringt mich übrigens zu einer lexikalischen Nebenbemerkung: Der 1. Mai als Kampf- und Feiertag wurde erstmals im Jahre 1890 begangen – und zwar gleichzeitig in mehreren europäischen Ländern und den USA. Das ist vielleicht ein gutes Sinnbild für uns heute, die vor uns allen liegenden Aufgaben auch gemeinsam anzugehen.

Einen Abstecher habe ich am Freitag kommender Woche auch nach Potsdam vor. Dort wird am 5. Mai auf dem Alten Markt das diesjährige Europafest stattfinden – zum Auftakt der Europawoche. Näheres dazu weiter unten.

Ebenso nachlesen können Sie in diesem Newsletter zu einem anderen Höhepunkt am Mittwoch. Bei einer Anhörung unserer Fraktion werden wir die Vertreter*innen sehr kritisch zum Thema „Regulierung von Künstlicher Intelligenz und die Einflussnahme der großen amerikanischen Technologieunternehmen“ befragen. Konkret geht es um die Frage, ob die EU-Verhandlungslinie zu digitalem Handel den bisherigen guten Datenschutzansatz aushebeln könnte. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich Ihnen in einem meiner jüngsten Newsletter über die Ergebnisse einer entsprechenden Studie berichtet habe, die ich im Auftrag von THE LEFT im Europaparlament erstellen lassen habe – und die nun auch ins Deutsche übersetzt vorliegt. Auf Basis dieser Resultate werden wir mit der Kommission diskutieren.

Nicht weniger intensiv wird in der kommenden Woche sicher das Treffen mit Spitzenvertreter*innen all jener linker Parteien sein, die in unserer Fraktion vertreten sind. Ich denke, dass diese Debatte wichtige Impulse auch für unseren gemeinsamen Wahlkampf für die Europawahl 2024 geben wird.

Was in den nächsten Tagen an weiteren wichtigen Terminen ansteht, können Sie wie stets unten sehen.

Ihr

Helmut Scholz

3. Mai, 15:00 - 18:30 Uhr: Anhörung der Linksfraktion im Europäischen Parlament zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz

Wir laden Sie zu einer Diskussion mit Fachexpert*innen und der EU-Kommission zu einem heute bei weitem nicht nur die Wirtschaft und Handelspolitik berührenden höchst aktuellen Thema ein: Regulierung von Künstlicher Intelligenz und die Einflussnahme der großen amerikanischen Technologieunternehmen. Könnte die EU-Verhandlungslinie zu digitalem Handel den bisherigen guten Datenschutzansatz aushebeln?

Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir als Linksfraktion eine Studie in Auftrag geben, in der die Qualität der europäischen Politik und Regulierung im Bereich digitaler Handel und künstliche Intelligenz untersucht wird. Als Autorin konnten wir die bekannte amerikanische Expertin Deborah James gewinnen, eine ausgesprochene Fachfrau, wenn es um die Methoden der Einflussnahme von „Big Tech“ auf die Politik geht. Ich kann Ihnen die Studie nur wärmstens empfehlen. Sie werden staunen, wie „Google Europe“ und Co richtig viel Geld in die Hand nehmen, um auf die Gesetzentwürfe der EU-Kommission Einfluss zu erlangen.

Die Studie können Sie bereits in den Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch finden.

Ich habe die Studie nun auch ins Deutsche übersetzen lassen und sie wird in den kommenden Tagen dann auch auf dieser Seite auf Deutsch verfügbar sein.

Einen schriftlichen, zugegeben durchaus fachspezifischen Text zu lesen ist das eine, der kritische-kontroverse Diskurs mit den „Untersuchten“ und anderen Akteur*innen das andere.  Deshalb haben wir als Fraktion sowohl Deborah James ins Europaparlament eingeladen, wo sie am Mittwochnachmittag die Ergebnisse ihrer Studie vorstellen wird, als auch die EU-Kommission mit verantwortlichen Fachleuten aus der Generaldirektion Handel sowie Akteur*innen aus Wissenschaft und NGOs. Zwei hochkarätig besetzte Podien versprechen eine spannende Diskussion.

Hier finden Sie das Programm. Sie können sich anmelden und die Veranstaltung online verfolgen, oder im Europaparlament persönlich dabei sein. Es gibt Simultanübersetzung in die Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch.

In ihrer Studie legt Deborah James dar, wie Big-Tech-Unternehmen versuchen, die Fähigkeit der Einrichtungen der Europäischen Union (EU) zur Regulierung ihrer Tätigkeiten im öffentlichen Interesse über verbindliche und dauerhafte „Handelsabkommen“ einzuschränken.

Für uns LINKE ist klar: die Digitalisierung ist der prägende wirtschaftliche Wandlungsprozess unserer Zeit. Der Nutzen für die Gesellschaft ist bekannt, aber die Schäden, die durch die Ausbreitung von Big Tech verursacht werden, werden erst nach und nach ergründet. Die EU begreift allmählich die dringende Notwendigkeit, einige der gefährlichsten Praktiken von Big Tech einzudämmen. Das Gesetz über digitale Dienste (DSA), das Gesetz über den digitalen Markt (DMA) sowie das Datengesetz, das Daten-Governance-Gesetz (DGA) und das Gesetz über künstliche Intelligenz (KI-Verordnung) sind erste Schritte, um zu gewährleisten, dass der digitale Wirtschaftssektor denselben Bedingungen des Fairplay und des öffentlichen Interesses unterliegt wie die übrige Wirtschaft.

Dieselbe EU, die neue Gesetze zur Regelung der digitalen Wirtschaft vorantreibt, betreibt jedoch gleichzeitig eine Strategie für den digitalen Handel, die die gegenwärtige und künftige Politikgestaltung im öffentlichen Interesse in der EU und darüber hinaus erheblich einschränken würde.

Über eine Reihe von bilateralen und regionalen Handelsabkommen versucht Big Tech, ein politisches Umfeld aufrechtzuerhalten, das die private Kontrolle von technologischen Ressourcen und Praktiken sowie von Daten zugunsten von übermäßigen Gewinnen begünstigt. Die Kontrolle von Daten – insbesondere die Fähigkeit zur grenzüberschreitenden Datenübertragung – und die Geheimhaltung ihrer Algorithmen oder Quellcodes sind die wichtigsten Ziele von Big Tech in allen Abkommen über den „digitalen Handel“.

Die EU hat bilaterale Handelsabkommen mit einem eigenen Kapitel zum digitalen Handel mit Kanada, Singapur, Vietnam, Japan, Großbritannien, Mexiko, Chile, Mercosur und Neuseeland abgeschlossen, bzw. verhandelt solcherart Vereinbarungen. Sie verhandelt derzeit ferner über Kapitel zum digitalen Handel mit Indonesien, Australien, Indien, der Region des östlichen und südlichen Afrikas und will plurilaterale Regelsetzungen zu diesem wichtigen und perspektivischen Ansatz verbindlicher Gesetzgebung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Weg bringen. Das ist zweifellos ein sehr wichtiger Punkt, aber es braucht einen sehr genauen Blick auf die genauen Textformulierungen.

Insbesondere in den Verhandlungen, die derzeit im Rahmen der WTO in Genf über ein „e-commerce Freihandelsabkommen“ laufen, haben die USA und andere Verhandlungsparteien Vorschläge für vertragliche Verpflichtungen eingebracht, mit denen die Handlungsfreiheit von Regierungen stark eingeschränkt würde. Wie agiert angesichts dessen die EU-Kommission? Wir brauchen Transparenz und verbindliche Mitwirkungsmöglichkeiten der Gesetzgeber von Anfang an.

5. Mai: Potsdamer Europafest

Am 5. Mai findet anlässlich der Europawoche das alljährliche Potsdamer Europafest statt, um den jährlichen Europatag zu feiern. Am 9. Mai 1950 hat der damalige französische Außenminister Robert Schuman die Schaffung einer Europäischen Montanunion angeregt. Dies gilt als Geburtsstunde der heutigen EU, weshalb der 9. Mai heute als Europatag begangen wird. Nach wie vor sind aber insbesondere mit Blick auf die diversen Krisen von Corona über Energiekrise bis hin zur Klimakatastrophe diverse Fragen ungeklärt. Wie kommen wir zu einer EU, die gemeinschaftlich agiert und verbindliche Regelungen für Nationalstaaten und Konzerne setzt, im Sinne der Menschen und der Umwelt zu handeln? Wie überwinden wir die diversen Krisen und schaffen eine zukunftsfähige und resiliente EU? Wie gelangen wir zu einer EU, die nicht auf Wettbewerb und Profitmaximierung setzt, sondern das Soziale und Ökologische in den Mittelpunkt stellt? Wie können Regionen und Menschen an Politikgestaltung beteiligt werden?

Im Rahmen einer Talkrunde „Europa aktuell“ um 14:45 Uhr werde ich diese Fragestellungen und weitere diskutieren. Beim anschließenden Meet & Greet mit Europapolitiker*innen stehe ich für Fragen und Anregungen sehr gerne zur Verfügung.

Das Europafest startet um 14 Uhr auf dem Alten Markt in Potsdam (direkt vor dem Landtag Brandenburg) und wird von der Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft (BBAG) e.V. und den diversen Europaakteur*innen Brandenburgs ausgerichtet.

 

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