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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 97, 21. April 2023
Liebe Leser*innen,

im letzten Newsletter habe ich Ihnen geschildert, welche Herausforderungen ich für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der EU und China sehe. Wie jedoch zu befürchten war, hat die Aussprache im Plenum des Europaparlaments zu diesem Thema am Dienstag keine Wende in diese Richtung gebracht. Dass sich EU-Kommission, Rat und Europaparlament endlich der Frage einer kohärenten Strategie gegenüber China stellen, ist natürlich überfällig und begrüßenswert – gerade angesichts zentraler globaler Aufgabenstellungen wie Klimawandel, Verlust von Artenvielfalt, Kampf für Frieden und Sicherheit, Armutsbekämpfung und partnerschaftliche Entwicklung durch Kooperation statt Konfrontation. Leider war bei den Beiträgen von Kommissionspräsidentin von der Leyen, sowie von der Mehrzahl der Redner*innen aus dem Parlament, kein Ausbruch aus dem politischen Denk- und Verhaltensmuster der Vergangenheit – eben China als Konkurrenten klein zu halten – zu erkennen. Lediglich der Außenbeauftragte Borell ließ durchblicken, als „persönliche Meinung“ charakterisiert, dass er sich der Dimension der Aufgabe in ihrer Komplexität wohl bewusst ist. Dabei ist auch und gerade in den EU-China-Beziehungen eine Abkehr von der unilateralen Weltsicht, in der Interessen des Westens in den Mittelpunkt gestellt und die globalen Geschicke von den vermeintlichen „Großen 7“ bestimmt werden, längst überfällig. Die Welt von heute funktioniert nicht mehr nach den Regeln des 20. Jahrhunderts, nach der Logik des politisch und wirtschaftlich Stärkeren. Stattdessen braucht es partnerschaftliche Ansätze, um die vor allen Nationen gleichermaßen stehenden Herausforderungen zu meistern: Schutz der Umwelt, Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele oder die Befähigung eigenständiger wirtschaftlicher Entwicklung im Einklang mit Umwelt, demografischen Veränderungen und technologischen Umbrüchen im Digital-Zeitalter. Und dies, ohne problematische Themen wie den Schutz der Menschenrechte, historisch und kulturell unterschiedlich entwickelte Werte und gesellschaftliche wie politische Strukturen auszublenden, sondern diese konstruktiv und ohne Bevormundung anzugehen.

Es gab jedoch auch positive Nachrichten in der vergangenen Woche aus Straßburg. Zum „Fit for 55“-Paket, das die Revision des EU-Emissionshandelssystems regelt, gab es breite Zustimmung. Hier muss natürlich noch nachgelegt werden, es braucht konsequente verbindliche soziale Kriterien. Ebenso gab es eine Zustimmung zur neuen EU-Gesetzgebung im Kampf gegen Entwaldung – und die daraus folgenden Verpflichtungen für Politik und Wirtschaft aller 27 EU-Mitgliedstaaten und im Bereich des internationalen Handels. Denn praktisch geht es darum, Lieferketten so zu bestimmen, dass keine Güter auf dem EU-Markt angeboten werden, für deren Herstellung Wälder gerodet werden. Das sind gute Signale.

Stichwort Handelspolitik: In den kommenden Tagen erwarten wir in meinem Wahlkreisbüro auch eine Lieferung unseres gedruckten Posters „Handeln(n) für Nachhaltigkeit. Klimawandel, Frieden, Ernährungssicherheit – für einen Kurswechsel in der europäischen Handelspolitik“ in englischer Sprache, interaktiv kombiniert mit QR-Codes, die zu den jeweiligen Seiten der EU-Kommission führen. In den kommenden Wochen werden wir immer diese Codes mit unseren linken Positionen untersetzen. Bestellen können Sie das Plakat übrigens über meine Büro-Adresse.

Auch wenn ich noch nicht das eigentliche Übel meiner Erkrankung beseitigt ist, kann ich in der kommenden Woche nach Brüssel reisen – meine Ärzt*innen haben grünes Licht gegeben. Ich werde mich insbesondere weiter um die Vorbereitung der "Beyond Growth Conference 2023" kümmern. An dieser Konferenz vom 15. bis 17. Mai in Brüssel (auch im Webstream verfolgbar!), die von 23 Abgeordneten aus 5 Fraktionen ausgerichtet wird, werden unter der Schirmherrschaft der Präsidentin des Europaparlaments Roberta Metsola, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zahlreiche namhafte Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sowie Bürger*innen, Politiker*innen und Abgesandte internationaler Organisationen teilnehmen.

Die Konferenz findet vor dem Hintergrund statt, dass wir gemeinsam überlegen müssen, wie wir Wirtschaft und Konsum so gestalten können, dass wir unseren Planeten nicht selbst zerstören.  Klimawandel, technologische Umbrüche, eine völlig veränderte geowirtschaftliche und geopolitische Rahmenstruktur erfordern ein Nachdenken, wie die Wirtschaftsweise von heute und morgen aussehen muss. Deshalb haben wir gesagt, lasst uns darüber nachdenken, was an die Stelle des Bruttosozialprodukts als Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung genutzt werden kann und soll. Denn uns allen ist klar, dass wir eine sozial-ökologische Transformation brauchen, die den Fetisch der Profitorientierung hinter sich lässt und die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele zum Kriterium des Wirtschaftens macht. Dafür brauchen wir auf globaler, europäischer und nationaler Ebene eine Neuausrichtung unseres Ansatzes in den Bereichen Wirtschaft, Governance und der Umwelt.

Ich bin sicher, dass die Konferenz ein ernstzunehmendes Zeichen setzen kann. Schon heute ist die Resonanz überwältigend: Über 1.700 Teilnehmer*innen haben sich bereits angemeldet; es wird sicherlich von Teilnehmerzahl und konzentrierten inhaltlichen Angeboten her die größte Konferenz, die in dieser Legislaturperiode vom EU-Parlament organisiert wird. Nähere Informationen finden Sie auf der Webseite https://www.beyond-growth-2023.eu/. Und natürlich werde ich Sie auf dem Laufenden halten.

Was in der kommenden Woche weiter ansteht, lesen Sie wie stets unten.

Ihr

Helmut Scholz

25. April: Bürgerhaushalt: Wie kann er die Demokratie und Gemeinschaften in der EU stärken?

Derzeit wird auf EU-Ebene das Thema Bürgerhaushalt diskutiert. Über welche Beteiligungsformate können wir die Beteiligung der Menschen bei der Gestaltung von EU-Politik stärken und ist dies über einen Bürgerhaushalt möglich, wie es beispielsweise schon auf kommunaler Ebene praktiziert wird?

Aktives bürgerschaftliches Engagement, wie z. B. Bürgerhaushalte, kann zwar die Demokratie den Bürger*innen näher bringen, doch stellt sich die Frage, ob es den Stimmlosen eine Stimme verleiht oder lediglich die Stimmen verstärkt, die wir bereits hören. Wie können wir dies durchbrechen, um alle Menschen gleichermaßen einzubinden?

Bei einer Online-Veranstaltung von Euractiv von 9:30-10:45 Uhr werde ich diese und weitere Fragestellungen gemeinsam mit anderen diskutieren. Eine Online-Teilnahme ist möglich, zur Anmeldung geht's hier.

 

 

26. & 27. April: Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO)

Mit neuer Energie nimmt am 26. und 27. April der EP-Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) seine ersten Beratungen nach den Osterferien wieder auf. Im Mittelpunkt der Arbeit am Mittwoch steht eine gemeinsame Sitzung mit Mitgliedern der nationalen Parlamente aus der EU-27, um die weiteren Schritte der Reform des Europäischen Wahlrechts zu beraten. Bekanntlich befindet sich der mit großer Mehrheit abgestimmte Gesetzgebungsvorschlag des Europarlaments noch immer im Trilog - der EU-Rat kann sich auf die Vorschläge und Forderungen des Europa-Parlaments nicht einigen. Vielleicht schafft ja die Verständigung mit den Parlamentskolleg*innen aus den Mitgliedstaaten hier einen produktiven Durchbruch?

Weiterhin stimmt der Ausschuss die Überarbeitung und Neufassung der rechtlichen Grundlagen für die Europäische Bürgerinitiative nach langen interfraktionellen Verhandlungen am Mittwoch ab.

Um Parlamentarismus, Europäische Staatsbürgerschaft und Demokratie wird es auch in einem neuen Initiativbericht gehen, dessen erster Entwurf der rumänische Abgeordnete Mituta von Renew am Tag darauf vorstellt. Er will eine weitere Brücke zwischen der EU-Zukunftskonferenz und einer Verantwortungsübernahme sowohl der repräsentativen Demokratie als auch der partizipativen Demokratie auf den verschiedenen Entscheidungsebenen schlagen. Ich bin gespannt.

Erneut muss der Ausschuss sich einem zentralen Bestandteil europäischer Demokratie, den Europäischen Politischen Parteien und Stiftungen widmen. Denn der Stand der Verhandlungen mit Rat und Kommission im Trilog ist aus Sicht der Verhandlungsdelegation, der ich angehöre, unbefriedigend. Deshalb konsultieren die Ko-Berichterstatter*innen den Ausschuss und fragen:  wie sehen die Abgeordneten mögliche Linien bzw. auch Grenzen für Kompromisse - denn wir wollen schon ein Stück weiterkommen bei der notwendigen und auch von der Kommission angestrebten Reform des Statuts dieser Europäischen Parteien und Stiftungen. Einer der strittigsten Punkte ist die geographische Definition der möglichen Mitgliedschaften von nationalen Parteien über die EU-27 hinaus. Dies, wie auch einige andere Punkte, greifen in die demokratische Selbst-Governance der Parteien und damit in das Grundrecht von Bürger*innen in der EU in ihr Recht unter anderem der Versammlungsfreiheit ein.

Wie immer können die aktuelle Tagesordnung und der Livestream zur Sitzung auf der Website des Parlaments abgerufen werden.

Am 26. April tagen wir von 11.30 -13:00 und 14:30 -18:30, sowie am 27. April von 09:00-12:30 Uhr.

26. & 27. April: Der Ausschuss für Internationalen Handel (INTA) tagt

Wieder steht eine Fülle von interessanten und wichtigen Themen auf der Tagesordnung.

Wir beginnen mit den Lehren aus der Rana Plaza Tragödie, die sich zum zehnten Mal jährt. Die EU-Kommission ist aufgefordert, über die Umsetzung des Plans zu berichten, den sie gemeinsam mit der Regierung von Bangladesch zur Verbesserung der Rechte von Arbeitnehmer*innen und würdiger Arbeitsbedingungen aufgesetzt hatte. Meinen ausführlichen Kommentar zu diesem Thema finden Sie bereits hier.

Aus meiner Sicht bleiben wir auch beim nächsten Punkt in diesem Thema, wenn es um unsere Stellungnahme zum Bericht des Auswärtigen Ausschusses zum Abschluss des Abkommens über verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der EU und Usbekistan und die Bewertung der erfolgten Aufnahme des Landes in das GSP+ Handelspräferenzsystem der EU geht. Der Berichterstatter Roman Haider von der extrem-rechten Fraktion ID fokussiert in seinem Entwurf der Stellungnahme auf die Rolle des Landes als willkommener Lieferant von Rohstoffen, die Europa für den grünen Wandel benötigt. Die Menschenrechtslage und die fortgesetzte Zwangsarbeit in der Baumwollernte, aber auch die Umweltzerstörung im Bergbau müssten gleichermaßen gewichtet werden - denn es geht ja bei der weiteren Neuausrichtung der EU-Handelspolitik gerade um Nachhaltigkeits-Kriterien. Wir sollten ermitteln, was wir für die Verbesserung der Situation im Land tun können und wie wir Menschen in den zentralasiatischen Staaten helfen können, bestmöglich Wohlstand aus ihrem Potential als Brücke zwischen dem westlichen und östlichen Ende Eurasiens zu erzeugen.

Die Teuerung der Energiepreise ist ein wesentlicher Grund dafür, dass nun auch Nord-Mazedonien seine Schuldenlast nicht mehr ohne Hilfe tragen kann und um Makrofinanzhilfe beim Internationalen Währungsfonds und von der Europäische Union gebeten hat. Die EU-Kommission hat ein entsprechendes Paket vorbereitet und stellt es heute dem Handelsausschuss vor, der darüber bereits im Mai abstimmen wird. Meine Sorge ist, dass diese Hilfe an Auflagen zur strukturellen Anpassung der Staatsausgaben geknüpft sein wird, die der Bevölkerung große Probleme bereiten werden. Zudem ist erneut ein großer Teil als Kredit vorgesehen und wird die Staatsverschuldung des Landes nur immer weiter erhöhen. Und eine strikte und exakte Kontrolle des Einsatzes der europäischen Steuergelder muss gleichermaßen garantiert werden. Denn eine Zustimmung zur Hilfe wird am Ende wohl dennoch eine Notwendigkeit sein.

Hier können Sie die Sitzung ab 9 Uhr live in Deutsch oder einer anderen im Ausschuss gesprochenen Sprache verfolgen.

Schließlich werden wir uns in gemeinsamer Sitzung mit dem Auswärtigen Ausschuss einmal mehr mit einem Umsetzungsbericht der EU-Kommission zum „Scheidungs“vertrag mit dem Vereinigten Königreich befassen. Die zuletzt von der Londoner Regierung gezeigte Flexibilität stimmt viele zuversichtlich. Die Dickköpfigkeit der unionistischen Partei DUP und ihre fortgesetzte Blockade der konstituierenden Sitzung des Parlaments von Nordirland trüben jedoch die Aussichten. Die Regierung in London muss sich zudem vorwerfen lassen, unter Führung eines der reichsten Männer des Landes Sparmaßnahmen zum Auffangen der finanziellen Einbußen des Staatshaushaltes in Folge des Brexits beschlossen zu haben, die inzwischen immer größere Teile der Bevölkerung die Inflation so stark spüren lassen, dass sie in echte Not geraten. Auch öffentliche Dienstleistungen in Gesundheit und Bildung stehen unter so enormen Druck, dass Schadenfreude über die Folgen des Brexit keinesfalls angebracht ist.

Hier können Sie die Debatte zum Brexit ab 17:30 Uhr live in Deutsch oder einer anderen im Ausschuss gesprochenen Sprache verfolgen.

26. April: Anhörung zur Stärkung der Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika

Eine sehr qualifizierte Gruppe von Expert*innen wird uns - und wenn Sie wollen auch Ihnen - ihre Analyse präsentieren, was getan werden müsste, um die Beziehungen der EU zu Lateinamerika zu stärken. Die meisten werden die EU dabei als im Wettstreit mit China um den Zugriff auf Bodenschätze Lateinamerikas sehen. Einige werden deshalb raten, das EU - Mercosur Freihandelsabkommen möglichst rasch und ohne Textanpassung abzuschließen, sowie auch das Abkommen mit Mexiko und das modernisierte EU-Chile-Abkommen. Ich erwarte, dass andere wie der Ökonom Werner Raza darstellen werden, dass wir Europäer*innen gut beraten wären, die neuen Bedürfnisse in Lateinamerika anzuerkennen, auf Grundlage seiner im November abgeschlossenen Studie zur Präsenz von China in Lateinamerika. Dazu gehört dann sicherlich auch die Feststellung, die ich durchaus teile, dass die Mitte-Links Regierungen in Kolumbien, Brasilien, Argentinien und Chile durch inhaltlich so ausgerichtete Abkommen zu unterstützen sind, die eine ökologisch nachhaltige Industrialisierung und in der Folge der Bevölkerung besser bezahlte und würdigere Arbeitsplätze auf höheren und hohen Stufen der Wertschöpfungskette ermöglichen.

Hier können Sie die Anhörung ab 15 Uhr live in Deutsch oder einer anderen im Ausschuss gesprochenen Sprache verfolgen.

Ab 17:30 Uhr werden wir uns noch in gemeinsamer Sitzung mit dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) mit einem wichtigen neuen Gesetzesvorschlag befassen: der Verordnung für ein Verbot der Platzierung von Gütern aus Zwangsarbeit auf dem Europäischen Binnenmarkt.

In enger Zusammenarbeit mit vielen Organisationen der Zivilgesellschaft werde ich diese gesetzgeberische Arbeit als Schattenberichterstatter für die Linksfraktion aktiv begleiten und für ein Ergebnis arbeiten, dass sich an seiner Wirksamkeit messen lassen soll.

Hier können Sie die Ausschusssitzung ab 17:30 Uhr live in Deutsch oder einer anderen im Ausschuss gesprochenen Sprache verfolgen.

27. April: Fortsetzung des Handelsausschusses

Am Morgen tagen wir Koordinator*innen für unsere Fraktionen zunächst - wie üblich - in geschlossener Sitzung, bevor diesmal erst um 10 Uhr der öffentliche Teil der Sitzung beginnt. Es stehen einige folgenreiche Abstimmungen an. Zunächst zur Erhöhung der Einfuhrquoten für brasilianisches Fleisch in die EU als Konsequenz auf die Verkleinerung des Absatzmarktes durch den Brexit. Wir Linke werden dem nicht zustimmen und uns im Sinne der europäischen Landwirt*innen enthalten. Der Gewährung von Makrofinanzhilfe für die Republik Moldau werden wir im Anschluss zustimmen, auch wenn wir wie bereits beschrieben Bedenken hinsichtlich der Schuldenlast für das Land haben. Während Russland einer Reihe von afrikanischen Ländern den Erlass von insgesamt 20 Milliarden Schulden angekündigt hat, zählen wir weiter Erbsen. Als ärmstes Land Europas und gerade auch infolge des Krieges Russlands in der Ukraine mit seinen einschneidenden Auswirkungen auf die Energie- und Gasversorgung des Landes braucht Moldau aktuell großzügige Unterstützung in einer Höhe, die für die Bevölkerung deutlich spürbare Verbesserungen herbeiführt.

Der russische Angriffskrieg und seine Folgen sind auch Ursache für die weitere Abstimmung. Die EU-Kommission beantragt die Verlängerung der Aussetzung der Zölle und Quoten für Güter aus der Ukraine, die bislang nicht durch das Freihandelsabkommen zwischen EU und Ukraine abgedeckt sind. Der Vorschlag kommt zu einem Zeitpunkt, da insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU viele Höfe in echte Existenznot geraten, weil ukrainische Produkte zu Dumping-Preisen in ihre Märkte gesickert sind, die eigentlich für die Bevölkerung armer Länder in anderen Regionen der Welt gedacht sind. Die Frage steht im Raum, ob die Zollliberalisierung in dieser Form nicht auch den Boden für mafiöse Aktivitäten bereitet hat, die einigen Zwischenhändler rasch enorme Profite ermöglichte. Die Glaubwürdigkeit der EU steht hier auch hinsichtlich ihrer Zusagen, aktiv zur globalen Ernährungssicherheit einen wichtigen Beitrag zu leisten, auf dem Prüfstand. Die Regierung der Ukraine hat jüngst die Zusicherung erteilt, gewährleisten zu können, dass die ukrainischen Waren wirklich nur noch im Transit durch Polen transportiert werden. Kann sie das? Wie und wieso eigentlich? Und warum erhalten die Landwirt*innen in der Ukraine für ihre Erzeugnisse selbst viel weniger als vor dem Krieg, während die monatlichen Exportmengen aus der Ukraine das Vorkriegsniveau inzwischen deutlich übersteigen. Ich erwarte von der EU-Kommission Aufklärung und habe einmal mehr den Eindruck, dass das Überlassen von Nahrungsproduktion allein an die Marktkräfte nicht dem Bedarf der Bevölkerung - hier wie dort - hilft.

Ein anderer Irrweg des Kapitalismus wird uns nach den Abstimmungen beschäftigen: die gescheiterte Reform des offenbar nicht reformierbaren Energiecharta-Vertrages. Die EU-Kommission wird erläutern müssen, wie sie den Ausstieg der gesamten EU aus dem Vertrag organisieren möchte, nachdem die Zahl der einzelnen EU-Mitgliedstaaten immer größer wird, die für sich diese Entscheidung getroffen haben. Die jüngste Entscheidung zu diesem Schritt kam gerade von Dänemark. Der rechtliche Status von Mitgliedstaaten und EU zueinander bezüglich der Vertragsmitgliedschaft ist unhaltbar und das Problem muss aufgelöst werden.

Am Ende des Tagungsmarathons haben alle Mitglieder des Ausschusses die Möglichkeit an diesem Tag gemeinsam mit den internationalen Gästen aus dem Lenkungsausschuss der Parlamentarischen Versammlung bei der WTO zu diskutieren. Auch ich wirke seit 14 Jahren in diesem Gremium mit, das darum bemüht ist, der WTO eine parlamentarische Dimension zu geben. Im Mittelpunkt dieser „Parlamentarisierung“ und damit auch Demokratisierung  einer unter den nationalen Egoismen vieler Länder in den letzten Jahren immer stärker in ihrer operativen Funktionalität beeinträchtigten multilateralen, die Handelsregeln festlegenden Institution steht sicherlich die Aufgabe, die WTO Agenda und Mechanismen näher an die heutigen neuen Herausforderungen von Klimawandel, technologischen Umbrüchen in der Industrieentwicklung, die Überwindung von Armut und Unterernährung mit den Regeln des internationalen Handels verbindlich zu verknüpfen. Heute wird die stellvertretende Generaldirektorin der WTO Angela Ellard bei uns zu Gast sein, um über den Stand der Dinge im Vorlauf der 13. Ministerialkonferenz der WTO zu berichten, die Anfang 2024 stattfinden soll.

Hier können Sie die Ausschusssitzung ab 10 Uhr live in Deutsch oder einer anderen im Ausschuss gesprochenen Sprache verfolgen.

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