Wird dieser Newsletter nicht richtig dargestellt? Link zur Online-Version
Helmut Scholz, MdEP
Liebe Leser*innen,

ich möchte Sie nun doch gerne wissen lassen, warum ich mich in den vergangenen Tagen etwas rar machen musste und auch durchaus viele Termine nicht wahrnehmen konnte. Denn es gab schon Nachfragen, "was los ist". Die Erklärung ist einfach: Ich bin während der letzten Plenarwoche im März in Strasbourg ernsthafter erkrankt, musste in die dortige Uni-Klinik, aber bin inzwischen auf dem Wege der Besserung und hoffe, bald wieder aktiv in das "Brüsseler parlamentarische Geschehen" und in die Wahlkreisarbeit eingreifen zu können.

Während meiner Genesungszeit habe ich mich jedoch an der lange geplanten, durch die akute Phase der Krankheit zweimal verschobenen digitalen Vorstellung einer durchaus wichtigen Studie beteiligt, die ich für die Fraktion THE LEFT in Auftrag gegeben habe. Diese Untersuchung unter dem etwas sperrigen Titel "EU Digital Trade Rules: Undermining attempts to Rein in Big Tech"   – was in etwa bedeutet: ‚Höhlen die EU-Regeln für den digitalen Handel die Bestrebungen aus, die großen Daten-Konzerne zu kontrollieren‘ – geht es um die brandaktuelle Frage, wie die Macht von Google & Co. In den der Digitalwirtschaft - auch weltwirtschaftlich und im Rahmen der multilateralen Handelsordnung - begrenzt werden kann. Im Rahmen der WTO werden intensive Gespräche und Verhandlungsmuster zum Bereich des „e-commerce“ - also dem digitalen Handel von Waren und v.a. Dienstleistungen - geführt. Die EU ist einer der großen, wichtige Kernelemente für Regulierungen und das Setzen gemeinsamer Standards setzenden Akteure zu diesem Punkt in Genf. Wenn es um die Regulierung der digitalen Wirtschaft geht, zeigt das Agieren der Europäischen Institutionen, allen voran von Rat und Kommission, letztere als Verhandlungsführerin, deutliche Anzeichen für politische Inkohärenz. Einerseits führt Brüssel im internationalen Maßstab weitergehende strenge Gesetze zur Regulierung der globalen digitalen Wirtschaft und der Big-Tech-Unternehmen ein. Auf der anderen Seite fördert es Handelsabkommen, bei denen vereinbarte Regeln dann den jeweiligen Regierungen sinnbildlich Handschellen anlegen, um Big Tech de facto und de jure zur Verantwortung zu ziehen. Und damit erweist sich die EU auch als parteiischer Verhandlungspartner im Rahmen der WTO, dem von anderen Mitgliedern dann Misstrauen entgegengebracht und strengere Vorschläge für digitale Handelsregeln las nichttarifäre Handelshemmnisse charakterisiert werden.

Die Fakten, die die Studie aufzeigt, sind entlarvend: Heute zahlen die Big-Tech-Konzerne die geringsten Steuern und die Branche ist praktisch die am wenigsten regulierte in der EU. Das schafft zugleich Ungleichgewichte zwischen Big Data und vielen kleinen oder mittelständischen Unternehmen hier in der EU, v.a. der neuen Start-up Unternehmen Die jetzt vorgeschlagenen EU-Regeln für den digitalen Handel könnten Möglichkeiten zur Besteuerung von Tech-Giganten jedoch noch weiter untergraben und eine weitreichende internationale Regulierung behindern. Diese beabsichtigten EU-Regeln für den Digitalhandel erweisen sich auch hinsichtlich der – ebenfalls von der EU eingeführten – Vorgaben für künstliche Intelligenz und Datennutzung als kontraproduktiv. Dazu kommt auch ein sehr oft ausgeblendeter Fakt, von großer Relevanz für sozial und ökologisch nachhaltige Produktion und fairen Handel, dass der digitale Handel der EU die Macht von Big Tech über die Arbeitnehmer*innen der Plattformen ausweitet und zugleich die eigentlich beabsichtigte Förderung der notwendigen eigenständigen digitalen Industrialisierung der EU und insbesondere das Engagement und die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) behindert.

Die US-amerikanischen Amazon, Google, META, Microsoft, Apple aber auch die großen chinesischen Wettbewerber wie Alibaba, JD.com, Baidu, Tencent unternehmen zwar sehr unterschiedlich aber als global agierende Tech-Giganten vieles, um weitere Vorschriften zu umgehen und die verfügbaren Schlupflöcher zu nutzen. So ist es nicht verwunderlich, dass die großen Technologiekonzerne, auch im Machtkampf untereinander um die größten Marktanteile eit Jahren aggressiv Lobbyarbeit betreiben, um politisch im öffentlichen Interesse angestrebte und entworfene Vorschriften durch entsprechende Festlegungen in Handelsabkommen zu verwässern, denn diese wären dann verbindlich und dauerhaft sind. Sie treiben ihre Agenda durch Hintertürchen und versuchen durch Einflussarbeit auf zu verhandelnde Kapitel in bilateralen oder regionalen Handelsabkommen in ihrem Interesse Einfluss zu nehmen. Die Autorin der Studie, Deborah James, Direktorin für internationale Programme des Zentrums für Politische und Ökonomische Forschungen in Washington, meint, dass auch die Europäische Kommission dieses fragwürdige Spiel der Tech-Giganten mitspielt. Und zugleich betont sie, dass die US-Administration da noch viel weiter hinterherhinkt und sich auch auf internationaler Bühne weitgehend gegen Versuche und ernsthafte Bemühungen um verbindliche multilaterale verbindliche Standardsetzungen und Regulierungen sperrt. Ich meine, es ist dringend notwendig, dass die Kommission die Regeln für den digitalen Handel auf den Prüfstand stellt – und so verändert, dass eine Kontrolle der Big-Data-Unternehmen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger möglich und nicht durch Handelsverträge ausgehebelt wird. Ich merke hier schon Mal werbetechnisch an: am 03. Mai 2023, 15:00-18:30 Uhr wollen wir in Brüssel in einer Präsenzveranstaltung - zugleich mit Webstreaming - diese und weitere Fragen in einer breiten Runde mit Experten, Vertreter*innen auch der EU-Kommission und internationalen Gästen weiter ausloten. Genaueres dazu in den kommenden Newslettern.

Auch bei einem anderen Thema finde ich das Agieren - gerade vor dem Hintergrund der notwenigen Beschleunigung des Kampfes gegen den Klimawandel und einen weiteren Verlust unserer Artenvielfalt - der Europäischen Kommission enttäuschend und zwiespältig. Vor wenigen Tagen habe ich die Antwort von Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius auf meine parlamentarische Anfrage zum LNG-Terminal vor Rügen erhalten. Diese Planungen des Wirtschaftsministeriums unter Robert Habeck sind nun seit Wochen in den Schlagzeilen und auch deshalb hatte ich mich an die EU-Kommission hinsichtlich der ökologischen und auch sozialen Dimension dieser Vorhaben gewandt. Wie Sie vielleicht wissen, hat die Bundesregierung mit einem Gesetz den Aufbau einer LNG-Infrastruktur (Flüssiggas) alternativ zum Erdgas beschleunigt. Geplant ist in diesem Rahmen das größte bundesdeutsche LNG-Terminal vor der Insel Rügen, gegen das sich verständlich und zu Recht starker Widerstand von regionaler Politik und Wirtschaft, Umweltverbänden sowie weiten Teilen der Bevölkerung regt. Nicht nur dass die Umstellung auf LNG in solch hohen Mengen, wie von der Bundesregierung geplant, das Ziel einer Abkehr von fossilen Energieträgern und die Erreichung der vereinbarten Klimaziele unterläuft sondern auch weil eine normalerweise durchzuführende Umweltverträglichkeitsprüfung vor Planung solcher Vorhaben mit Verweis auf das im Bundestag beschlossene Beschleunigungsgesetz für die LNG-Thematik außer Kraft gesetzt wurde. Vor diesem Hintergrund hatte ich die EU-Kommission gefragt, inwieweit die Bundesregierung vorab um Ausnahmen von den Umweltauflagen der entsprechenden EU-Gesetzgebung beantragte bzw. angezeigt hat und wie sich die EU-Kommission zur Aussetzung der vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfung für ein solches Großvorhaben positioniert.

Die Antwort von EU-Kommissar Sinkevičius halte ich für sehr ausweichend, im Prinzip wie die alten Anekdoten a la Sender Jerewan. Die Ausnahmeregelungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen seien durch die deutschen Behörden eingehalten worden, heißt es lediglich darin. Und, da wird der Bock zum Gärtner gemacht: Es falle in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten, die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften - gerade zum Umweltschutz und entsprechender Umweltverträglichkeitsprüfungen für Großvorhaben - zu gewährleisten.

Inzwischen scheint es so zu sein, dass das LNG-Terminal nicht vor Sellin, wie ursprünglich vorgesehen, sondern an einem anderen Ort vor der Küste Rügens errichtet werden soll. An den Problemen – der Schaffung weiterer Überkapazitäten für fossile Energieträger und des massiven Eingriffs in die Umwelt, weitere Pipelines durch die Vogelschutzgebiete usw. des Greifswalder Boddens – ändert das aber nichts. Und damit wird auch eine vernünftige EU-gemeinschaftliche Strategie für Gasversorgung in einer so kurz wie möglich zu haltenden Übergangsperiode

hin zu 100%igen erneuerbaren Energien, grenzüberschreitend und solidarisch zu realisieren, Synergien zu schaffen, verhindert. Jeder denkt zuerst an sich. Dann wird auch das riesige Container-Terminal vor Usedoms Küste, neben den beiden bereits existierenden bzw. auch gerade erweiterten LNG-Terminals in Świnoujście, gebaut werden - auch wenn dort seitens der polnischen Behörden an der EU-Kommission wohl vorbei vorab keine Umweltverträglichkeitsprüfung und Information an das benachbarte Mecklenburg-Vorpommern oder die entsprechenden Ministerien in Berlin erfolgte.

Das ist das Gegenteil von dem, was die Bürger*innen in der EU-Zukunftskonferenz hinsichtlich einer neuen konsequent gemeinschaftlichen EU- Politik gefordert haben. Ich kann Ihnen versichern, dass ich an dem Thema dranbleiben werde.

Auf vieles müsste jetzt kurz vor dem Osterfest - traditionell als gerade dem Frieden verbunden und wichtige Gelegenheit für die unverzügliche Beendigung des Krieges in der Ukraine zu demonstrieren, sich für Abrüstung und friedliche Konfliktbewältigung einzusetzen - eingegangen werden. Auch, dass am heutigen Karfreitag sich der Abschluss des mit diesem Namen in die Geschichte eingegangenen legendäre Abkommens zur Beendigung des blutigen Bürgerkriegs in Nordirland zum 25. Mal jährt. Oder auf die Entwicklungen im Nahen Osten, die Gespräche in Beijing von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping… . Sicherlich wird es Gelegenheiten geben, auf diese oder andere Aspekte in den kommenden Wochen zurückzukommen.

Zunächst aber wünsche ich Ihnen schöne und entspannte Ostertage.

Ihr

Helmut Scholz

Foto: Marco Urban


 

 

Facebook  Twitter  YouTube
DIE LINKE im Europaparlament

Büro in Brüssel
Europäisches Parlament
ASP 02G354
Rue Wiertz 60
B-1047 Brüssel
Telefon: +32 228-45 89 3
Telefax: +32 228-49 89 3
helmut.scholz@ep.europa.eu

Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin
Postanschrift:
Helmut Scholz MdEP
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Besuchsanschrift:
Unter den Linden 50
10117 Berlin
wk@helmutscholz.eu

Europa- und Bürgerbüro Rostock
Kröpeliner Straße 24
18055 Rostock
Telefon: 0179 758 41 26
wk@helmutscholz.eu

Europa- und Bürgerbüro Schwerin
Martinstraße 1A
19053 Schwerin
Telefon: 0179 758 41 26
wk@helmutscholz.eu

Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder)
Zehmeplatz 11
15230 Frankfurt (Oder)
Telefon: 0151-53 69 84 15 und 03563-99 93 92 6
wk@helmutscholz.eu

Europäisches Regionalbüro Spremberg
Europejski regionalny běrow Grodk
Bauhofstraße 1
Twaŕski dwór 1
03130 Spremberg
03130 Grodk
Telefon: 0151-53 69 84 15 und 03563-99 93 92 6
wk@helmutscholz.eu

Wenn Sie diesen Newsletter nicht weiter beziehen wollen, können Sie hier ihre E-Mail-Adresse aus dem Verteiler austragen