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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 87, 27. Januar 2023
Liebe Leser*innen,

abermals beginne ich einen Newsletter mit dem Thema Ukraine. Der Krieg dauert an - und verwandelt sich zusehends in einen Abnutzungskrieg. Und es wird immer unklarer, was die eigentlichen Kriegsziele sind: was will Putin in der Ukraine, wie will die Ukraine Frieden gewinnen?  Mit dem Beschluss der Bundesregierung in Berlin am Mittwoch, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern, also Offensivwaffen, und dies auch anderen Staaten zu gestatten, ist klar, dass der von Russland begonnene Aggressionskrieg eine weitere Eskalationsstufe erreicht. Schon jetzt werden Rufe laut, weiteres Kriegsgerät - wie Kampfflugzeuge - in die Ukraine zu schicken. Und erste Forderungen werden laut, dass auch Truppen zur Unterstützung der ukrainischen Armee entsandt werden sollten. In diesem Kontext plant die ECR-Fraktion im Europarlament am 31. Januar ein Hearing „Das imperiale Russland: Eroberung, Genozid und Kolonialisierung. Aussichten auf De-Imperialismus und Dekolonialisierung“.  

Ich weiß, dass die Lieferung von immer mehr und schwererer Rüstungen in unserer Gesellschaft, und auch in linken Kreisen kontrovers diskutiert wird. Wie soll einem überfallenen Staat geholfen werden, wie kann dieses Blutvergießen, die Vernichtung der Infrastruktur eines souveränen Staates so schnell wie möglich beendet werden. Diese Fragen durchziehen die politische, mediale und gesellschaftliche Debatte - auch weil es so viel solidarische Unterstützung für die vor Krieg und Zerstörung geflohenen Ukrainer*innen in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten gibt. Die Tragik dabei ist, dass es dabei inzwischen nur noch um Aufrüstung geht. Diplomatie scheint keinen Platz mehr zu haben - weder im Berliner Außenministerium, noch bei EU-Kommission und EU-Parlament, schon gar nicht in Washington oder bei der Nato. Der Auftritt von Außenministerin Baerbock im Europarat, dem die Russische Föderation nicht mehr angehört und in dem auch Belarus suspendiert ist, spricht Bände. Dabei ist meines Erachtens völlig klar: Eine militärische "Lösung" des Konflikts wird weiter unermessliches Leid bringen, auf beiden Seiten, und durch die Eskalationsspirale letztlich auch die Gefahr weiter erhöhen, dass jederzeit ein Funken genügt, den Weltenbrand zu entzünden. Ich schreibe das nicht um nur zu dramatisieren oder zu alarmieren. Ich schreibe das, weil ebenso klar ist, dass ein Sieg auf dem Schlachtfeld nie zu einem dauerhaften Frieden führen kann. Jetzt, gerade jetzt, ist die Stunde der Diplomatie, und nicht ihr Ende. Natürlich macht es Mühe, in einer inzwischen schier ausweglosen Situation der Überwindung des Denkens in Kategorisierung von Sieg und Niederlage in einem solchen Konflikt zu vermitteln; und je weiter sich die Kriegsspirale dreht, umso schwieriger wird es. Aber es geht um die Zukunft der Ukraine (und von Russland), es geht um eine neue europäische, ja, auch globale Friedensordnung, in der die Achtung des Völkerrechts das oberste Gebot sein muss.

Für mich ist bei diesen Diskussionen wichtig, dass die LINKE im Ukraine-Konflikt sich immer "auf die Seite" des Völkerrechts stellt. Das heißt klar zu benennen, wer der Aggressor ist. Das heißt für mich an die noch im Dezember 2021 von den Atommächten erreichte gemeinsame Erklärung des Nichteinsatzes von Atomwaffen als Möglichkeit politischer Diplomatie anzuknüpfen. Das heißt zu verhindern, dass EU-Staaten offenbar die von den meisten Staaten geächtete Streumunition an Kiew liefern wollen und jeglichen Einsatz durch die kriegführenden Seiten als Völkerrechtsbruch zu benennen. Das heißt für mich ebenso, Kriegsverbrechen zu benennen und zu verfolgen - von welcher Seite sie auch begangen werden, einschließlich ihrer strafrechtlichen Aufarbeitung. Völker- und Menschenrechte gelten universell, jederzeit und uneingeschränkt. Dafür einzutreten, ist ein "Markenzeichen" der LINKEN.

Sicher wird es um die Haltung der Linken zum Krieg auch auf dem Presseempfang gehen, den unsere Delegation am Dienstagabend in Brüssel veranstaltet. Wir werden damit unsere Tradition eines informellen Treffens zwischen Korrespondent*innen und Journalist*innen und den Mitgliedern der deutschen Delegation in der Linksfraktion THE LEFT um den Jahreswechsel herum wiederaufnehmen, die leider seit Ausbruch der Corona-Pandemie pausieren musste. Wir wollen die Gelegenheit vor allem nutzen, um über die (politischen) Herausforderungen des neuen Jahres der Delegation und der Fraktion zu informieren, Einblick in konkrete Arbeitsvorhaben in der parlamentarischen Arbeit im letzten vollen Kalenderjahr dieser 9. Legislaturperiode des Europa-Parlaments zu reden. Und ich verrate Ihnen damit nicht zu viel: Es wird sicher auch um die Europawahl im kommenden Jahr gehen.

Aber auf dem Weg dahin haben wir Abgeordnete noch viel vor: noch haben die drei EU-Institutionen keine klare Antwort auf die Empfehlungen der Konferenz über die Zukunft Europas gegeben. Und Sie wissen ja aus den vergangenen Newslettern, dass ich im Verfassungsausschuss einer der Berichterstatter für die Erarbeitung der konkreten Formulierungen für die Parlamentspositionierung hin zu Vertragsänderungen bin. Steht eine Einigung von Rat und Parlament auf die Modernisierung des Wahlrechts aus, sind viele wichtige grundlegende Gesetze bzw. Rahmen-Regelungen auf den Weg zu bringen, wie das EU-Lieferketten-Gesetz, die Gesetzgebung gegen Zwangsarbeit, ... die Liste ist lang.

Apropos Wahlen also: Am Mittwoch wird Eva-Maria Kröger ihr Amt als neue Oberbürgermeisterin in Rostock antreten. Ende November hatte die LINKE-Politikerin mit fast 60 Prozent der Stimmen die Stichwahl gegen ihren konservativen Herausforderer gewonnen.

"Ich will in Rostock keine neuen Luftschlösser bauen oder neue Pläne für die Schublade machen, sondern endlich umsetzen, was lange vorgesehen ist", sagt Eva-Maria auf ihrer Webseite. Die Sanierung von Schulen und Kitas gehört dazu, der Klimaschutz, ein guter und günstiger Öffentlicher Nahverkehr, lebendige Stadtteilzentren und Sportstätten. Das sind linke Themen und Anliegen im besten Sinne. Meine Unterstützung hat Eva-Maria dafür - und Ihre sicher auch.

Mehr über die kommende Woche erfahren Sie, wie stets, unten.

Ihr
Helmut Scholz

1. Februar: Plenarsitzung - Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung

Am Mittwochnachmittag findet eine Debatte zum Gesetzesvorschlag zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung statt. Diese Aussprache greift in die laufende politische Initiative der Europäischen Institutionen ein, eine EU-Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche einzurichten. Bisher liegt die Kontrolle der Europäischen Geldflüsse auf dubiose Aktivitäten hin bei den Mitgliedstaaten. Der Alltag zeigt jedoch leider: dies reicht offensichtlich nicht; ein konsequentes Schließen der noch immer existierenden Schlupflöcher funktioniert mit den bestehenden Regelungen und Institutionen nicht. Deshalb hat die Kommission einen Vorschlag initiiert, auch auf europäischer Ebene ein zentrales Bindeglied für die eigenständige Überwachung und die bessere Koordinierung der nationalen Einrichtungen zu schaffen. Wie üblich, haben nun zu diesem Vorschlag der EU-Kommission die beiden Gesetzgebungsorgane der EU, das Europäische Parlament und der Rat, ihre Position zu bilden und damit eine gemeinsame Entscheidung auf den Weg zu bringen. Wir haben also einen wichtigen Schritt am Mittwoch vor uns: wie genau wird eine Mehrheit der Abgeordneten im Plenum die Parlamentsposition bestimmen hinsichtlich dieser neuen EU-Behörde. Nach der Abstimmung dürfte dann der Wirtschafts- und Finanzausschuss vom Plenum beauftragt werden, die Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission unmittelbar zu beginnen.

Federführend mit der Erarbeitung und Verhandlung des Dossiers sind die Ausschüsse für Wirtschaft und Währung (ECON) sowie für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) im Parlament betraut. Aber auch der Ausschuss für konstitutionelle Angelegenheiten (AFCO) hat eine Stellungnahme erarbeitet. Ich habe damals als Berichterstatter im Ausschuss für dieses Thema die Verantwortung für dieses Thema übernommen und den Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Eckpunkte für das Funktionieren einer solchen Behörde auf die Stärkung der Schutzmechanismen gegen einen potenziellen Missbrauch der Behörde gelegt.

Vorrangige Aufgabe der Behörde muss das Schaffen und Garantieren von mehr Transparenz im Finanzsektor sein. Diese Funktion wird sie nur erfüllen können, solange auch sie selbst eine außerordentlich integre Praxis entwickelt. In unserer Stellungnahme haben wir deshalb festgehalten, dass es für Glaubwürdigkeit und v. a. auch für die Effizienz einer solchen Behörde unerlässlich ist, transparente Regelungen für die eigene Verwaltung festzulegen. So sollten beispielsweise der Vorsitz und die Geschäftsführung sehr strengen Rechenschaftspflichten unterliegen. Aber auch die Berichterstattung an die Öffentlichkeit und die anderen Institutionen muss gestärkt werden, weshalb der Ausschuss in der Stellungnahme meinem Ansatz folgte, verschiedene Maßnahmen hinsichtlich der Verbesserung der Transparenz zu benennen. Umstritten war mein Vorschlag bei anderen Fraktionen, v. a. von EVP und ECR sowie ID, ein ständiges Beratungsgremium aus Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zu etablieren. Ich denke, dass auch hier eine Einbindung der Bürger*innen nicht nur möglich, sondern auch geboten ist.

Allerspätestens seitdem Geldwäsche-Skandal der Danske Bank muss allen klargeworden sein: Die Europäische Union steht in der Verantwortung, die Finanzierung von kriminellen Aktivitäten zu unterbinden und auch ihre eigenen Institutionen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie Glaubwürdigkeit zurückerlangen will. Ich werde auch in Zukunft alle Bemühungen befürworten, die ein Verfolgen solcher Machenschaften effektiver machen. Institutionell, strukturell und politisch und ich glaube, dass die transparente Aufsetzung von Europäischen Behörden gerade vor dem Hintergrund des „Quatargate/Marokkogate“ Korruptionsskandals der einzig sinnvolle Weg sein kann.

Sich vor diesem Hintergrund erneut Gedanken zur EU-Liste der Drittländer mit hohem Risiko zu machen, befürworte ich daher selbstverständlich. Wichtig bleibt jedoch, die politisch-diplomatische Ebene nicht aus den Augen zu verlieren, da es sich schon allein bei der Einstufung von terroristischen Organisationen auch immer um eine politische Einschätzung handelt: Wenn es Möglichkeiten geben sollte, bewaffnete Konflikte beizulegen oder sogar zu beenden, muss dies immer in die Bewertung der Drittländer mit eingepreist werden. Die Verfolgung von Geldwäsche darf nicht zu einem Hindernis für die Diplomatie werden.

Die Debatte können Sie hier verfolgen.

2. Februar: Plenarsitzung - Vorbereitung des EU-Ukraine Gipfels

Am 3. Februar wird in Kiew das nächste Gipfeltreffen zwischen der Ukraine, vertreten durch ihren Präsidenten Selensky, und der EU stattfinden, die durch Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel vertreten sein wird. Als Geschenk wird die EU-Seite eine um weitere 500 Millionen aufgestockte Militärhilfe mitbringen, sowie Budgethilfe in Höhe von monatlich 1,5 Milliarden Euro als so genannte Makrofinanzielle Unterstützung. Die von fast allen Medien förmlich herbeibeschworenen und nun mit Euphorie gefeierten Zusagen einiger EU-Mitgliedstaaten und der USA, der Ukraine in baldiger Zukunft einige Dutzend schwere Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen, werden den Auftritt der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin wahrscheinlich in ein gewisses Licht setzen. Das Europaparlament wird aus diesem Anlass eine Debatte führen und auch schnell noch eine Resolution formulieren. Mir persönlich ist die hurrapatriotische Stimmlage absolut nicht geheuer, mit der zurzeit in Schlagzeilen und Äußerungen vieler Europaabgeordneter die Aussendung der nächsten militärischen Eskalationsstufe begleitet wird. Im Gegenteil, ich kann nur die Sorgen vieler Menschen teilen, und auch die von durchaus wichtigen Persönlichkeiten, die aber fast alle nicht mehr in aktuelle Entscheidungsfindungen einbezogen sind, die das entscheidenden Moment vermissen: wie soll eine militärische Lösung aussehen? Oder besser gesagt: wo ist der Mut auch im Europäischen Parlament, neue kluge Vorschläge zu erarbeiten und darum zu ringen, wie der Frieden zu gewinnen ist, nicht der Krieg. Das sollte auch in Bezug auf den EU-Ukraine Gipfel thematisiert werden - gerade weil die Ukraine mit ihrem Kandidaten-Status als souveräner Staat eine reale Beitrittsperspektive verdient und kein Mitglied zweiter Klasse werden darf, wenn alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind, inklusive der Umsetzung der Kopenhagener Kriterien. Passend zu dieser Plenarplanung und zum EU-Ukraine Gipfel wurde in Kalifornien fast zeitgleich die deutsche Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Anti-Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ für 9 Oskars nominiert. Der Film bebildert am Anfang die Erinnerung und Mahnung, dass auch 1914 die Bevölkerung mit Hurrarufen die Truppen an die Front entsandte. Und die Vorgeschichte dieser Völkerschlachten, in Belgien als „Der Große Krieg“ benannt, hat der Historiker Christopher Clark in „Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ (siehe auch www.dva.de) aufgearbeitet. Wir brauchen dringend eine internationale Friedensinitiative.

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