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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 84, 06. Januar 2023
Liebe Leser*innen,
ich hoffe, Sie sind gut in das neue Jahr gekommen. Für das begonnene 2023 wünsche ich Ihnen Gesundheit, Wohlergehen, persönlich Glück sowie viel Kraft und Zuversicht zum Meistern der kleinen und großen Vorgaben und anstehenden Herausforderungen – und für uns alle vor allem Weitsicht, Mut und Ideen zum Wiedergewinnen des Friedens – auch auf unserem Kontinent. Gerade letzteres ist für mich – und sicherlich auch für Sie – das zentrale Thema im gerade begonnenen neuen Jahr. Ich muss leider davon ausgehen, dass wir 2023 noch sehr oft auch in diesem Newsletter auf die Fragen von Krieg und Frieden zurückkommen müssen. Während ich diese Zeilen schreibe, laufen die Nachrichten über den „Ticker“, dass die Kampfhandlungen und die massiven russischen Drohnenangriffe auf die ukrainische Infrastruktur, mit der die ohnehin durch den Krieg dramatischen Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung weiter verschlechtert werden sollen, fortdauern. Über die Ticker laufen auch die Meldungen, dass nicht nur Frankreich nun auch Panzer, also ganz klar Offensivwaffen (obwohl diese Unterscheidung nicht immer einfach ist), an die Ukraine liefern will. Auch die USA werden modernste Schützenpanzerwagen bereitstellen. Und mit Verweis auf die mit den NATO-Verbündeten abgestimmte Position wird auch die deutsche Ampelregierung sofort Panzerfahrzeuge für Kiew bereitstellen und ukrainische Armeeangehörige ausbilden. Die Bundesregierung hat auf ihren Internet-Seiten die bisher geleistete solidarische Unterstützung der Ukraine - militärisch, wirtschaftlich und politisch - in diesem Zusammenhang veröffentlicht und zugleich wird über die Ausweitung der militärischen Unterstützung innerhalb der „Ampel“ und von Seiten der CDU/CSU-Opposition diskutiert. Man braucht kein Prophet zu sein um zu wissen, dass all dies den Krieg weiter eskalieren lassen wird. Langfristige, aber auch kurz- wie mittelfristige Strategien für eine Beendigung des Krieges sind nicht erkennbar. Wie also ist Frieden zu gewinnen in diesem Krieg in der Ukraine, der zum Weltkrieg zu werden droht? Ich habe in meinen Newslettern in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hingewiesen: Nichts rechtfertigt den vom russischen Präsidenten Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine. Der 24. Februar 2022 hat alle Vorgeschichte des Konflikts brutal beendet. Das Unvermögen, bzw. die Nichtbereitschaft aller politisch Verantwortlichen nach 1989 ernsthaft eine neue sicherheitspolitische Gesamtstruktur auf dem europäischen Kontinent zu schaffen und real zu bauen gehört zu dieser Vorgeschichte ebenso wie die Fortsetzung des Denkens in Einflusszonen und der Negierung des Rechts von Völkern auf eine souveräne selbständige Entwicklung. Und so eskalieren jetzt mehr und mehr die Spannungen und es wird immer deutlicher, dass nach Kriegsbeginn praktisch keinerlei wirkliche Anstrengungen unternommen wurden, das Blutvergießen auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Denn richtig ist wohl die Einschätzung Julian Nida-Rümelins, dass der Ukraine-Krieg in einem größeren geopolitischen Kontext steht, den man nicht ausblenden darf, wenn ein realistisches Bild der Konfliktlage gewonnen werden soll und damit auch ein Perspektivwechsel, wie ein künftiger Frieden erreicht werden könnte. Ich sehe die EU als einen der geopolitischen Akteure gerade hier in der Verantwortung, ihre so oft beschworene „Soft Power“, also ihren diplomatischen Einfluss und ihr wirtschaftliches Vermögen Konflikt beseitigend zum Einsatz zu bringen. Der Fingerzeig auf die Verhandlungsunwilligkeit Putins ist wohlfeil, wenn Gespräche offensichtlich nicht ernsthaft gewollt sind. Denn mit der gegenwärtigen Politik setzt die EU ihren Kurs aus der Zeit vor Kriegsbeginn fort: Seit Jahren gibt es keine hochrangigen Kontakte zu Moskau, und auch das Europäische Parlament hat beispielsweise keinerlei Kontakte zu Duma oder Föderationsrat seit 2014. Ich bleibe dabei: Der Krieg muss sofort beendet und eine Konfliktlösung am Verhandlungstisch erreicht werden, die die legitimen Interessen aller Seiten berücksichtigt. Was hindert Brüssel, Moskau und Kiew, aber auch Washington, Beijing, Dehli und Tokio daran diese Interessen neu auszuloten und zu bestimmen? Letztlich kann und muss dies auch die Grundlage sein, auf der eine neue europäische, ja globale Sicherheitsarchitektur errichtet werden kann und muss. Übrigens, viel Zeit dafür haben wir nicht: Klimawandel und Artenverlust schreiten voran - und damit wären vielleicht die Eckpunkte umrissen, auf die es ankommt. Gemeinsam Sicherheit wagen. Nichtmilitärisch und deshalb politisch und wirtschaftlich auf die gemeinsamen Herausforderungen ausgerichtet. Natürlich wird es auch beim Jahresauftakt der LINKEN am kommenden Freitag – traditionell am Wochenende der Ehrung für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – um den Ukraine-Krieg gehen. Und ebenso um dessen Folgen, die sich in der Bundesrepublik und in ganz Europa in Inflation und Energiekrise zeigen. Zugleich sollte dies unsere Forderung nach einem konsequenten sozial-ökologischen Umbau forcieren, um endlich (!) unabhängig von fossilen Energien zu werden. Ich halte dies im globalen Kontext, auch für eine sicherheitspolitische Verantwortung. Denn EU-LNG-Käufe reißen weltweit Lücken, zu Lasten gerade des Globalen Süden. Auf dem kurzfristigen LNG-Markt entscheidet, anders als bei langjährig laufenden LNG-Lieferverträgen, der Preis und wer angesichts steigender Nachfrage das Vermögen hat, das meiste Geld zu bieten. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens ICIS habe lt. Handelsblatt vom 05. Januar, dem diese Informationen exklusiv vorlägen, Deutschland über seine Nachbarländer, da selbst bislang keine LNG-Terminals existierten, so viel LNG am Weltmarkt eingekauft, wie nur irgendwie zu bekommen war, koste es was wolle. Und so nahmen EU-Staaten nicht nur riesige Gasmengen vom Weltmarkt, sondern trugen zum Anstieg der Preise für Gas auf Rekordhöhen bei. Die Folge: deutliche Importrückgänge von Schwellenländern, u. a. von Indien minus 17 Prozent, Brasilien minus 72 Prozent. Beim Jahresauftakt werden wir auch über weitere Herausforderungen im Jahr 2023 beraten. Wichtig wird dabei sein, wie wir uns als Partei für die kommenden Wahlen aufstellen und wie wir mit unseren politischen Angeboten sichtbar werden. Das beginnt mit der regionalen Ebene – im Februar wird bekanntlich erneut in Berlin abgestimmt – und geht bis zu den im Frühjahr 2024 bevorstehenden Europawahlen. Apropos: Auch in Brüssel läuft ab der kommenden Woche die parlamentarische Arbeit wieder auf Hochtouren. Zum einen werden wir als LINKE-Europaabgeordnete auf unserer Delegationssitzung am Mittwoch die nächsten Schritte zur Umsetzung der Schwerpunkte unserer Arbeit in diesem Jahr abstecken, dem letzten vollständigen Jahr parlamentarischer Arbeit in dieser Legislaturperiode vor dem dann folgenden Europa-Wahl-Jahr 2024. Das gilt auch für die Fraktionssitzung am Mittwoch. Zum anderen stehen auch in den Ausschüssen wichtige Themen auf der Tagesordnung. So stellen wir uns der weiteren Aufarbeitung des Korruptionsskandals um die S&D-Abgeordnete und Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili. Dieser skandalöse Vorgang prägt auch die wiederbeginnende Arbeit im Ausschuss für konstitutionelle Angelegenheiten (AFCO). Noch kurz vor Weihnachten ist ein Entwurf für einen Bericht zur Änderung der parlamentarischen Geschäftsordnung in Bezug auf die Immunität und Privilegien von Abgeordneten auf den Weg gebracht worden. Im Eilverfahren werden wir diesen bereits kommende Woche besprechen und anschließend direkt in einer außerordentlichen Sitzung des Ausschusses abstimmen. Aber auch die Ausschuss-interne Arbeit zu den zwei Gesetzgebungsakten, der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) sowie den Eigenmitteln der Europäischen Union nimmt in den kommenden Tagen Fahrt auf. Bei dem letzteren bin ich Berichterstatter des Ausschusses für seine Stellungnahme für den federführenden Haushaltsausschuss. In beiden Fällen ist es mir wichtig, dass wir in diesen wichtigen Bereichen partizipativer Demokratie und eigener haushälterischer Handlungsfähigkeit der EU einen deutlichen Schritt hin zu Transparenz, gesetzgeberischer Entscheidungsfähigkeit auch des Europa-Parlaments und Stärkung des Vertrauens der Menschen in der EU27 gehen können und so zur Stärkung demokratischer Werte in der Europäischen Union beitragen. Konkret sollen die beiden Initiativen also eine stärkere Mitbestimmung des Europäischen Parlaments in Haushaltsangelegenheiten, und andererseits eine größere Verpflichtung der Kommission, die Anliegen von Bürgerinitiativen im Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen, festschreiben. Vergangenes Jahr habe ich eine Studie zur möglichen Reform der EBI in Auftrag gegeben. An den Lehren aus den demokratischen Defiziten dieses grundsätzlich sehr sinnvollen Instruments werde ich mich im Rahmen der anstehenden Verhandlungen orientieren. Schließlich erwartet mich auch im Handelsausschuss eine entscheidende Phase der Beratungen über mögliche Kompromissformulierungen zur Stellungnahme des INTA für die laufende Arbeit am EU-Lieferketten-Gesetz. Leider wollen die beiden Fraktionen von EVP und ECR entscheidende Punkte verbindlicher Einklagbarkeit von entsprechenden menschenrechtlichen, sozialen und umweltpolitischen Auflagen für Unternehmen, die sie in ihren Wertschöpfungs- und Lieferketten berücksichtigen sollen, soweit wie möglich abschwächen. Das aber würde diese Gesetzgebung dramatisch schwächen. Ich hoffe, wir finden entsprechende Möglichkeiten, hier den Ansatz der Agenda 2030 der UNO mit den 17 Nachhaltigkeitszielen entsprechend in konkrete Verbindlichkeit überführen zu können. Geredet haben wir genug dazu, es ist an der Zeit, real zu handeln. Mehr darüber werden Sie sicher in den nächsten Newslettern und auf meiner Webseite lesen. Ihr Helmut Scholz |
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