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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 81, 02. Dezember 2022
Liebe Leser*innen,

diesen Newsletter beginne ich mit einem sehr, sehr herzlichen Glückwunsch an Eva-Maria Kröger, die am vergangenen Sonntag die Stichwahl um das Oberbürgermeister*innemamt in Rostock mit klarem Vorsprung gewonnen hat. Künftig wird die größte Stadt im Nordosten von einer LINKE-Politikerin regiert! Die Genoss*innen in der Ostsee-Metropole und Eva-Maria haben einen tollen Wahlkampf absolviert und konnten mit ihren Konzepten zur Entwicklung der Stadt und des Umlandes überzeugen. Ich bin mir sicher, dass Eva-Maria und ihre Mitstreiter*innen die hohen in sie gesetzten Erwartungen erfüllen werden.

Stichwort Erwartungen. Am Freitag haben die EU-Organe den Bürger*innen, die an den europäischen und nationalen Bürger*innenforen der EU-Zukunftskonferenz teilgenommen haben, ihre Folgemaßnahmen zu dieser wichtigen Konferenz vorgestellt. In einem interaktiven Dialog haben Europäisches Parlament, Rat der EU und Europäische Kommission erläutert, welche Maßnahmen sie im Anschluss an die Konferenz und auf Grundlage der unterbreiteten Vorschläge ergreifen werden. Wie ich Ihnen berichtet habe, hatte die Zukunftskonferenz 49 Vorschläge mit über 300 Einzelmaßnahmen zu neun Themenbereichen unterbreitet, die auf den Empfehlungen der Foren der Bürger*innen basierten. Ich werde mir die nun von Parlament, Rat und Kommission vorgelegten Maßnahmen sehr genau anschauen und sie bewerten. Wie Sie wissen, habe ich immer darauf gedrängt, dass die Resultate der Zukunftskonferenz nicht in der Schreibtischschublade verschwinden dürfen. Vor diesem Hintergrund haben die sechs Ko-Berichterstatter*innen des Parlaments für die Konferenz in dieser Woche auch über eine Resolution zum Artikel 48 beraten, mit dem die Europäischen Verträge geändert werden können und sollen. Ergebnis: Wir werden unabhängig von den am Freitag vorgestellten Schritten eine Positionierung des Europaparlaments zu Vertragsänderungen mit konkreten Textvorschlägen vorbereiten.

Weniger Positives gibt aus dem Bereich der internationalen Handelsbeziehungen zu berichten. Am Donnerstag hat der Bundestag – gegen die Stimmen der LINKEN und trotz starker Proteste von Nichtregierungsorganisationen – dem CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada zugestimmt. Das Abkommen ist bereits seit September 2017 vorläufig in Kraft, allerdings nur in den Bereichen, für die allein die EU zuständig ist und nicht deren Mitgliedstaaten. Die anderen Teile liegen auf Eis, bis die Ratifizierung abgeschlossen ist. In der EU fehlte noch die Zustimmung aus mehreren Staaten, darunter aus Deutschland.

Dabei ist völlig klar, dass das CETA-Abkommen Ausdruck einer Handelspolitik ist, die längst hätte radikal geändert werden müssen. Dass die Klauseln für das Recht von Investor*innen, entgangene Profite vor privaten Schiedsgerichten einzuklagen, minimal entschärft wurden, ändert nichts am Charakter von CETA. Leider sehen wir gerade, dass die neoliberale Freihandelslogik einen neuen Aufschwung erlebt. So habe ich Ihnen in der vergangenen Woche einige kritische Punkte aufgelistet, die das Handelsabkommen zwischen der EU und Indien betreffen. Ähnliches könnte ich auch über die derzeit verhandelten Abkommen mit den Mercosur-Staaten oder die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten berichten. Der Erfolg dieser Abkommen wird bislang am Wachstum des Bruttosozialproduktes in Europa, am Ausbau der Exportwirtschaft und an der Steigerung der Profite großer Unternehmen gemessen. Ich bin jedoch überzeugt, dass der Beitrag zum Erreichen der 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele der neue Maßstab für den Erfolg von Handelspolitik sein muss. Übrigens: Demnächst wird mein Büro ein Poster mit dem aktuellen Stand der Verhandlungen und linken Einschätzungen dazu veröffentlichen, das Sie über meine Kontaktadresse beziehen können. Oder Sie schauen auf meine Webseite https://www.helmutscholz.eu/ bzw. die Seite https://www.fair-handeln-statt-ttip.eu/, wo das Plakat bald in interaktiver Form zur Verfügung stehen wird. Sobald es fertiggestellt ist, werde ich hier nochmals informieren.

Für mich selbst stehen in den nächsten Tagen neben den parlamentarischen Terminen – eine Auswahl finden Sie wie stets unten – einige Reisen an. Dieses Wochenende bin ich in Washington, wo ich mich unter anderem mit Vertreter*innen den progressiven Demokraten treffen werde. Und vom 9. bis 11. Dezember findet in Wien der Wahlkongress der Partei der Europäischen Linken statt. Aber dazu in der kommenden Woche mehr.

Ihr

Helmut Scholz

5. Dezember: Letzte AFCO-Sitzung vor der Winterpause zu Subsidiarität, Proportionalität und EU-Eigenmitteln

Bevor es in die Winterpause geht, soll die letzte Sitzung des Ausschusses für konstitutionelle Fragen (AFCO) in diesem Jahr noch einmal genutzt werden, um über zwei absolute Grundprinzipien der europäischen Gesetzgebung zu reflektieren: Subsidiarität und Proportionalität. Während die Proportionalität dafür sorgen soll, nur auch wirklich angemessene Maßnahmen zum Erreichen der politischen Ziele zu treffen, zielt Subsidiarität darauf ab, Kompetenzen so nah wie möglich bei den Bürger*innen zu belassen. Auf europäischer Ebene sollen keine Belange reguliert werden, die auf einer geringeren Ebene – etwa der Stadt, dem Bundesland oder dem Mitgliedstaat – besser geregelt werden könnten. Letzteres ist mir gerade vor dem Hintergrund der Demokratisierung der politischen und auch wirtschaftlichen Strukturen in der EU ein wichtiges Anliegen. Gemeinsam mit anderen MEPs engagiere ich mich übrigens - wie berichtet - in der interparlamentarischen Spinelli-Gruppe, auch im aktiven Aufgreifen der Ideen A. Spinellis und seiner Mitstreiter*innen für eine vertiefte europäische Integration, die eben auch Aspekte der Förderalisierung der EU zur Diskussion stellt. Das legitime Ansprechen der Souveränität der verschiedenen Länder, aber auch die Souveränität der gesamten Union kann wohl so am besten gesichert werden kann. Das braucht noch viele, gerade öffentliche Debatten darüber, ob und wie die EU mehr als ein funktionierender Binnenmarkt sein kann und muss. Damit wir ein soziales und demokratisches Europa, getragen und akzeptiert von allen Menschen in der EU, schaffen. Nach dem Input von drei Expert*innen wollen wir diese Diskussion im Ausschuss führen.

Als letzter Tagesordnungspunkt, also am Ende der Sitzung, habe ich noch einmal die Möglichkeit zu einem wichtigen Punkt zu Wort zu melden: Ich habe die berichterstattende Verantwortung für eine Stellungnahme unseres Verfassungsausschusses zu einem Berrichtsentwurf des Haushaltsausschusses zu den EU-Eigenmitteln übernehmen. Es geht in diesem Fall um die Gelder, die der Union für ihre Ausgaben zur Verfügung stehen. Die größten Quellen für diese eigenen finanziellen Mittel resultieren neben Zollabgaben und direkten Beiträgen der Mitgliedstaaten auch aus einem Anteil aller aus Mehrwertsteuern entstehenden Einnahmen. Die aber nehmen ab, während die Aufgaben für und Erwartungen an die EU zunehmen. Das zeigt ja gerade auch die EU-Zukunftskonferenz. Meine Aufgabe ist, die gesetzlichen Grundlagen für das Aufbringen und die Entscheidungskompetenzeen für weitere notwendige Eigenmittel aufzuzeigen. Denn wie soll z.B. die Finanzierung der Schaffung einer Energie-Union insbesondere durch die konsequente Umstrukturierung hin zu erneuerbaren Energiequellen in den nächsten Jahren ermöglicht oder die anvisierte Gesundheits-Union auf den Weg gebracht werden? Ein Beispiel hierfür könnte die bereits seit langem diskutierte Finanztransaktionssteuer sein, die aber noch immer nicht real existiert. Grundsätzlich wichtig ist mir bei all diesen Fragen aber die Verankerung des Rechts auf eine Ko-Gesetzgebung – das Europäische Parlament muss ein Recht darauf haben, über die Finanzen der Europäischen Union mitzuentscheiden. 

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