|
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 73, 07. Oktober 2022
Liebe Leser*innen,
das Parlament hat in dieser Woche mehrheitlich dafür gestimmt, dass das USB-C Ladekabel für mobile Endgeräte zum Standard wird. Nach Umsetzung in nationales Recht greift die Richtlinie in ungefähr zwei Jahren für Mobiltelefone, Tablets, Digitalkameras, Kopfhörer, Headsets, tragbare Videospielkonsolen, tragbare Lautsprecher, E-Reader, Tastaturen, Computer-Mäuse und tragbare Navigationsgeräte. Für Laptops gilt eine längere Frist der Umstellung von 40 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes. Damit können in etwa 1.000 Tonnen Elektroschrott pro Jahr vermieden werden. Angesichts des zunehmenden Abfallaufkommens und insbesondere der enormen Höhe an Elektroschrott in der EU und der damit verbundenen Ressourcenverschwendung ist dies ein wichtiger und sinnvoller Schritt um einen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakatastrophe zu leisten. Des Weiteren hat das Europäische Parlament über eine Reaktion der EU auf die steigenden Energiepreise in Europa abgestimmt. Rechte Kräfte und die AfD versuchen die Thematik für sich nutzen. Dagegen müssen wir mit differenzierten Erklärungen und klar formulierten, realistischen Forderungen entgegenwirken. In Brasilien hat der linke Ex-Präsident Lula mit einem kleinen Vorsprung von 48,43 Prozent vor dem Amtsinhaber Bolsonaro (43,20 Prozent) die erste Runde der Präsidentschaftswahl für sich gewinnen können. Die Stichwahl findet am 30. Oktober statt – ich hoffe weiterhin auf einen Sieg Lulas, damit die Zerstörung der Umwelt und gewachsene Armut schnellstmöglich ein Ende finden. Die kommende Woche verspricht auch wieder spannend zu werden. Am Montag starte ich mit der Teilnahme am INTA-Ausschuss. Weiter geht es am Dienstag mit den Studientagen in Ostrava. Am Freitag und Samstag bin ich mal wieder im Wahlkreis Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Ich freue mich auf die Debatten zur aktuellen Lage der EU und Europas mit den Genoss*innen und Bürger*innen vor Ort. Mehr lesen Sie in den einzelnen Beiträgen.
Ihr Helmut Scholz |
10. Oktober: Der Handelsausschuss tagt in Brüssel
Heute bekommen wir die „Gemeinsame Initiative zur internen Regulierung von Dienstleistungen“ auf den Tisch. Innerhalb der WTO haben sich 67 ihrer Mitgliedstaaten auf dieses Abkommen verständigt, mit dem einheitliche Regeln für die Erbringung von Dienstleistungen durch private Unternehmen vereinbart werden. Bedenkt man, dass die 67 Staaten für mehr als 90 Prozent des Welthandels mit Dienstleistungen stehen, dass sowohl die USA als auch China dabei sind und dass es sich um das erste plurilateral verhandelte Abkommen zu Dienstleistungen handelt, das seit über 20 Jahren zu einem Verhandlungsabschluss gebracht werden konnte, dann erstaunt es doch, warum die Zustimmung nun im Eilverfahren durch das Parlament gedrückt werden soll. Die Eile entsteht, weil die beteiligten Regierungen beabsichtigen, möglichst noch im Dezember auf einer Konferenz auf Ministerebene das Abkommen formal beschließen zu können. Ich halte es unabhängig von fachlicher und inhaltlicher Substanz des Verhandlungsergebnisses für falsch, so vorzugehen. Denn so wird wieder einmal die Rolle der Parlamente bewusst ausgebremst denn sie können ihrer Aufgabe einer umfassenden Prüfung nicht ausreichend nachkommen, die jedes bedeutende Abkommen verlangt. Die EU-Kommission ist wie viele andere beteiligte Seiten mit dem Erreichten mehr als zufrieden. Mit dieser Initiative würden Qualifikationserfordernisse und -verfahren, technische Normen sowie Zulassungserfordernisse und -verfahren für Dienstleister angeglichen. Damit würden besonders den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), sowie den von Frauen betriebenen Unternehmen ein großer Teil der Schwierigkeiten und Kosten erspart bleiben, vor denen sie bislang standen, wenn sie eine Dienstleistung in einem anderen Land anbieten wollen. Aber ist das auch so? Sind es nicht eher die sehr großen Unternehmen, die profitieren werden? Und gibt es nicht Zulassungsbestimmungen, die in einem bestimmten Land sehr viel Sinn machen können, insbesondere wenn ein Land den Zugang zu bestimmten Dienstleistungen - zum Beispiel Trinkwasser - für seine gesamte Bevölkerung garantieren möchte? Viele Nicht-Regierungsorganisationen, die sich ausführlich mit spezifischen handelspolitischen Themenstellungen beschäftigen, haben sich überaus kritisch zu diesem Abkommen geäußert. Ich fordere deshalb ein, dass wir nicht im Eilverfahren vorgehen, sondern angemessen den Inhalt prüfen können. Leider scheinen dies sehr viele Mitglieder des Handelsausschusses, auch der Ausschussvorsitzende Bernd Lange von der SPD und zugleich Berichterstatter für dieses Ratifizierungsverfahren, anders zu sehen. Denn in der gegenwärtigen überaus komplexen und widersprüchlichen geowirtschaftlichen Situation, in der internationale Abkommen fast unmöglich scheinen, ist mit dem plurilateralen Abkommen zumindest nominell ein Schritt in Richtung internationaler Vertragsrealität gegangen worden, dem eben auch die Handelsgroßmächte USA, China und EU und andere OECD Staaten und Schwellenländer im Rahmen der internationalen Handelspolitik Zustimmung signalisiert haben. Und es war China, das noch unmittelbar vor der 12. WTO Ministerialkonferenz den Verhandlungen einen positiven Abschluss ermöglichte. Im weiteren Verlauf der Sitzung geht es ganz wesentlich um die Instrumente der Europäischen Union im Zusammenhang mit Handelskonflikten. Die EU-Kommission wird ihren Jahres-Bericht darüber vorlegen, welche anti-Dumping Maßnahmen, welche Maßnahmen gegen unerlaubte Subventionierung und welche Schutzmaßnahmen für europäische Produzenten sie in 2021 veranlasst hat. Das macht der „Chief Trade Enforcement Officer“ Redonnet. Er berichtet dann auch gleich, was der neue Überwachungsmechanismus für ausländische Direktinvestitionen im vergangenen Jahr ergeben hat. Wir werden auch noch über das neue FLEGT-Abkommen mit Guayana beraten, mit dem nachhaltige Forstwirtschaft gefördert und der Raubbau von Tropenholz verhindert werden soll. Das ist eine sehr positive Initiative. Skeptischer bin ich, was den Inhalt des ersten AfD-Berichtes im Handelsausschuss zur Absicherung der Lieferketten bringen wird, der uns dann vorgestellt werden wird. Die Fraktion der EU-kritischen Konservativen, der bis zum Brexit auch die Tories angehörten, konnte durch die nach dem d’Hondt-Zählverfahren, das auch bei der Arbeitsverteilung in den Ausschüssen zur Anwendung kommt, konnte sich die Beauftragung, eine Stellungnahme des Handelsausschusses zum „Chips Act“ zu erarbeiten, sichern. Federführend bei dieser wichtigen Gesetzgebung ist der Industrieausschuss, aber natürlich spielen da eben auch wichtige handelspolitische Fragestellungen eine zentrale Rolle. Die von der Leyen-Kommission möchte Milliarden mobilisieren, um in der EU eine eigene Chip-Herstellung in den entsprechenden Mega-Fabriken zu errichten. Das alles ist bereits heute mit einem Subventions-Wettrennen um die Standorte verbunden, bei dem die großen Tech-Unternehmen aus den USA, vor allem aber der Weltmarktführer aus Taiwan sich eine goldene Nase verdienen. Fast alle neuen Standorte wurden bislang an Orte in Deutschland vergeben, aber zunehmend geraten die ASEAN-Staaten ins Blickfeld der internationalen Investoren - da dort aufgrund der Lohnsituation die Produktion lukrativer ist, weil Gewinnmargen höher sind. Um mit den USA und China in diesem Technologie-Wettrennen bestehen zu können, bräuchte es tatsächlich erheblich höhere, eigene Investitionen und eine Vielfalt von Produktionsstandorten in Europa, die mit den Hochschulen und Forschungszentren der Region kommunizieren können. Abends um 18 Uhr geht es dann um den Brexit. Die Ausschussmitglieder vom Auswärtigen Ausschuss, vom Handelsausschuss und vom Verfassungsausschuss werden gemeinsam über ein neues gesetzliches Instrumentarium abstimmen, dass der Kommission in die Hand gegeben werden soll, um im bevorstehenden Konflikt mit dem Vereinigten Königreich mit harten Bandagen wie unter anderem Sanktionen kämpfen zu können. Es ist leider zu erwarten, dass die britische Regierung sich nicht an alle Verpflichtungen halten will, die sie im Austrittsabkommen und im Kooperationsabkommen mit der EU vertraglich bindend eingegangen ist. Sie können die Ausschusssitzung ab 15 Uhr hier live verfolgen. |
11. - 13. Oktober: Study Days der Europäischen Linksfraktion in Ostrava
Neben der Beratung des Handelsausschusses am Montag mit den wichtigen Abstimmungen und der Beratung der Koordinator*innen zur weiteren Arbeitsplanung 2022 und 2023 ist der „Rest der Woche“ durch die Teilnahme an den Studientagen der Fraktion THE LEFT geprägt, die im Land der EU-Ratspräsidentschaft, diesmal also in Tschechien, und zwar im Zentrum der Schwerindustrie Ostrava auf Vorschlag unserer tschechischen MdEP von der KPBM durchgeführt werden. Wie immer dienen diese „Study Days“ dem Kennenlernen der Auswirkungen von Europapolitik auf regionale und nationale Entwicklungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten, des Programms der Ratspräsidentschaft für die Entwicklung der EU, also hier des Ansatzes der tschechischen Regierung mit ihrem Vorsatz „Europa als Aufgabe; Neu Denken, Neu Bauen, Neu Kraft geben“. Und sicherlich wird es in dieser Situation der Energiekrise, der gravierenden Auswirkungen des andauernden Krieges Russlands gegen die Ukraine auf Industrie, Wirtschaft, Arbeitsplätze, Versorgungssicherheit und weit darüber hinaus generell auf die soziale Lage der Menschen auch in Tschechien, hochaktuelle Diskussionen und Einsichten vor Ort geben. Die Europaabgeordneten, ihre Mitarbeiter*innen und die unserer Fraktion werden aber auch die Gelegenheit haben gemeinsam die Geschichte und heutige Entwicklung eines bestimmten europäischen Ortes näher kennenzulernen. Den Dienstag nutzt die Fraktion dafür, mehr zu erfahren, ob und wie EU-Gelder für die Restrukturierung der Mährisch-Schlesischen Region verwendet werden konnten. Der Input, den man hier auf lokaler Ebene bekommt, ist essenziell dafür, um sich zurück in Brüssel für eine sinnvollere Haushaltspolitik einsetzen zu können – die Kommissionspräsidentin hatte ja erst am Mittwoch dieser Woche hinsichtlich eines EU-weiten Preisoberdeckels für Strom und Erdgas frisches Geld gefordert, damit das sogenannte „Re-power EU“ Programm der EU für eine neue Energiepolitik nicht nur Umverteilung aus einem Haushaltstitel in einen anderen bleibt - was bislang leider die Perspektive zu sein scheint. D.h. der Blick vor Ort gibt sicherlich auch genügend „argumentatives Futter“ für die politischen Anstrengungen zur wirklich alternativen Politik. Und damit die gesamte Diskussion nicht nur theoretisch bleibt, verwenden wir den Nachmittag für den Besuch eines nahegelegenen Stahlwerks. Der zweite Tag wird dann ganz im Zeichen von „Alternativen zu fossilen Brennstoffen“ stehen. Auch, wenn das Thema bewusst sehr breit gehalten wurde, werden wir hier erneut eine explizit tschechische Perspektive kennenlernen. Mich interessiert am meisten, wie genau eine Transformation hin zu nachhaltiger Mobilität in Tschechien überhaupt möglich wäre und was eine Abkehr vom individuellen Personennahverkehr für die tschechischen Arbeiter*innen in der Autoindustrie bedeuten würde. Wir Linke sind uns dabei vollkommen einig, dass es für die Bewältigung der Klimakrise eine grundlegende „sozial-ökologische“ Veränderung bestehender Strukturen bedarf - und vor allem, dass dies auch eine demokratische Dimension hat, die allen Menschen die Möglichkeit geben muss, sich an dieser Transformation gleichberechtigt, innovativ und aktiv einzubringen. Warum nicht auch die Mobilitätswende einbinden? Und was dies dann für die Arbeitsplätze in der traditionellen Industrie bedeutet, wie Investitionen mit Blick auf die Region demokratisch entschieden und realisiert werden können und müssen und wie der technologische Wandel mitgedacht und vor Ort umgesetzt wird. Neben dem theoretischen Input zu genau dieser Frage soll aber auch hier die Praxis wieder nicht zu kurz kommen: am Abend ist daher der Besuch einer tschechischen Autofabrik angesetzt. Ich freue mich auf erhellende Gespräche mit vielen Beschäftigten in Ostrava - auch wenn ich keinen Skoda mein Eigen nenne. Bevor wir alle wieder nach Brüssel bzw. nach Hause oder in die Wahlkreise zurückkehren, bietet der Donnerstagmorgen noch die Gelegenheit, ein erstes Fazit für die zukünftige parlamentarische Arbeit zu ziehen. Ich freue mich sehr auf die vielen politischen, aber auch persönlichen Begegnungen und möchte mich an der Stelle jetzt schon bei unseren tschechischen Genoss*innen für ihre organisatorische Arbeit bedanken. Dobrý Den! |
15. Oktober: EU-Parlamentswahlen - Welchen Weg wollen wir gehen?
Am Samstag bin ich zur Diskussion bei einer Veranstaltung des kommunalpolitischen forums Mecklenburg-Vorpommern. Es wird um die aktuellen Herausforderungen gehen und welche Antworten die EU finden kann. Krieg auf dem europäischen Kontinent, Energiekrise, Pandemie, Klimawandel, Inflation, Rechtsruck in vielen Mitgliedstaaten: Wie kann die Europäische Union antworten? Wie geht es weiter in Europa? Welche politischen und wirtschaftlichen Alternativen für eine friedliche, sozial gerechte und gleichberechtigte Perspektive der EU sind zu entwickeln? Wann: Samstag, den 15. Oktober 2022, um 10.00 Uhr Wo: „Ehm Welk-Haus“ in Bad Doberan, Dammchaussee 23 |
Büro in Brüssel Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin Europa- und Bürgerbüro Rostock Europa- und Bürgerbüro Schwerin Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder) Europäisches Regionalbüro Spremberg |
Wenn Sie diesen Newsletter nicht weiter beziehen wollen, können Sie hier ihre E-Mail-Adresse aus dem Verteiler austragen