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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 62, 10. Juni 2022
Liebe Leser*innen,
eine Plenarsitzungswoche in Strasbourg, die es in sich hatte, liegt hinter mir. Mit überaus langen und komplizierten Abstimmungen über die geplante Gesetzgebung zum europäischen Klimarettungspaket “Fit für 55” (Senkung der CO2-Emissionen in der EU bis 2030 um 55% im Vergleich zu 1990, um bis 2050 die EU zur klimaneutralen “Großregion” unseres Kontinents und im Weltmaßstab zu machen) und dem Verfehlen einer deutlich mehrheitlichen, wirklich zukunftsfähigen Reform des dafür notwendigen Emissionshandels. Ebenso aufwändig und Nerven kostend waren die Verhandlungsrunden zu einer gemeinsamen fraktionsübergreifenden Resolution des Parlaments für die Anrufung des Artikel 48 der Europäischen Verträge zur Einsetzung eines Konvents, der den Weg für die Umsetzung wichtiger Empfehlungen der EU- Zukunftskonferenz auch durch Vertragsänderungen eröffnen soll und die am Donnerstag deutlich angenommen wurde. Andere Reden und wichtige zur Abstimmung gebrachte Dossiers im Plenum folgten. Zum Ende der Woche war ich im Gespräch mit Schüler*innen einer 5. und 6. Klasse der Europaschule am Fließ – die jungen Menschen hatten insbesondere Fragen rund um die Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine. In der kommenden Woche geht es nun für mich nach Genf zur 12. Ministerialkonferenz der WTO, im Rahmen der Delegation des Europäischen Parlaments. Ich bin gespannt auf die Eröffnungsrede der ersten afrikanischen Generaldirektorin der WTO, Dr. Ngozi Okonjo-Iweala. Wie auch im Rat müssen bei der WTO Beschlüsse einstimmig gefasst werden. Das ist angesichts der immer noch laufenden Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ein schwieriges Unterfangen. Dabei zeigen insbesondere die Auswirkungen dieses Krieges auf die Lieferketten von Nahrungsmitteln wie bspw. Getreide, dass hier dringend Handlungsbedarf ansteht genauso wie in puncto nachhaltiger Handel. Die Themen Handel und ökologische Nachhaltigkeit müssen in der WTO endlich zusammengebracht werden - das zeigen diese Lieferengpässe beim Getreide in Verbindung mit den Dürreperioden auf dem afrikanischen Kontinent und die daraus resultierenden Hungersnöte bei Millionen von Menschen mehr als deutlich. Und auch der Themenstrang Handel und Gesundheit, die globale Impfstrategien und die Unterstützung gerade einer Reihe von Entwicklungsländern im Kampf gegen die Pandemie, ist ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung dieser durch die Corona-Auswirkungen bereits dreimal verschobenen Ministerialkonferenz, deren Vorsitzender aus Kasachstan kommt - denn in Nur-Salaten sollte dieses höchste Entscheidungsgremium der Welthandelsorganisation 2020 eigentlich zusammentreten. Zum Ende der Woche stehen dann Gespräche mit der neu gewählten Parteispitze in Mecklenburg-Vorpommern an. Dabei wird es sicherlich unter anderem um die Auswirkungen des Ukrainekriegs wie auch der Corona Krise auf die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern gehen. Zudem rückt der Bundesparteitag immer näher, der im Vorfeld auch gemeinschaftlich besprochen werden muss. Unser Ko-Fraktionsvorsitzender der Fraktion THE LEFT im EP, Martin Schirdewan, bewirbt sich als Kandidat um den Parteivorsitz der Bundespartei DIE LINKE. - vielleicht ein ganz gutes Signal in die Partei, denn so viele zu beantwortende Fragen hängen ja mit der EU-Realität zusammen. Wir arbeiten und leben beileibe nicht in einer Glocke, oder einer Blase, wie es so oft kolportiert wird. Und vielleicht hilft gerade diese EU-Sicht, die Erfahrung des Zusammenarbeitens von Abgeordneten sehr unterschiedlicher linker Parteien oder aus progressiven Strömungen aus der EU27, auch “zu Hause”, einen Erneuerungsschub in die deutsche LINKE zurückzugeben.
Ihr Helmut Scholz |
12. Juni, 15 Uhr: Eröffnung der 12. Ministerialkonferenz der WTO in Genf (MC12)
Als Teil der Delegation des Europäischen Parlaments zur MC12 reise ich nach Genf. Ich werde sogar einer der beiden Abgeordneten sein, die an der Eröffnungsveranstaltung im Gebäude der WTO direkt teilnehmen dürfen. Wegen der Pandemie ist die maximale zugelassene Anzahl der Personen im Saal stark beschränkt worden. Im Unterschied zu den meisten nationalen Delegationen zur Ministerialkonferenz ist das Europäische Parlament mit seiner Abordnung, als Vertreter des Ko-Gesetzgebers in der EU-Außenhandelspolitik immer Teil der EU-Delegation. Wir können also die Arbeit der Verhandlungsführer seitens der EU-Kommission vor Ort verfolgen - Briefings, Informationsrunden, Treffen mit anderen nationalen Delegationen, um deren Sichten auf die drängenden Probleme und Erwartungshaltungen kennenzulernen, und nicht zuletzt viele “Neben”-Veranstaltungen von Wissenschaft, Wirtschaft, NGOs, erwarten uns also kommende Woche als ein wirklich vielgestaltiges Unterfangen. und für mich kristallisiert sich schon die Frage heraus: wird die 12. Ministerialkonferenz den riesigen Erwartungsdruck, angesichts der realen Wirtschafts- und handelspolitischen Situation und den damit einhergehenden Tendenzen einer sogenannten De-Globalisierung, der zunehmenden Blockbildung von Staaten /Regionen, und vieler anderer noch nicht gelöster bzw. neu entstehender Fragestellungen standhalten können? Auf die Eröffnungsrede der ersten afrikanischen Generaldirektorin der WTO, Dr. Ngozi Okonjo-Iweal, knapp ein Jahr im Amt, bin ich besonders gespannt. Sie hat intensiv an der Vorbereitung der Konferenz gearbeitet, viele Verhandlungen selbst geleitet, in denen Beschlüsse vorbereitet wurden. Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine kam nun jedoch alles anders. WTO-Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden. Auch Russland und einige der Regierung Putin nahestehende Staaten sind WTO Mitglieder. Um einen Eklat zu vermeiden, wird MC12 auf Beschlüsse nun wohl weitgehend verzichten. Man wird versuchen, das in den Vorverhandlungen und in den Gesprächen auf höchster Ebene in Genf Erreichbare in einer Abschlusserklärung des Vorsitzes festzuschreiben. Zu einem späteren Zeitpunkt der Geschichte könnten neue multilaterale Verhandlungen davon profitieren. Bis dahin werden sich jedoch vermutlich jeweils Gruppen von Staaten aufmachen, um weitergehende Vereinbarungen in so genannten “plurilateralen Verhandlungen” zu erreichen. Wie mir die Kommission versicherte, wird sie sich weiterhin sehr darum bemühen, dass die Themen Handel und ökologische Nachhaltigkeit in der WTO endlich zusammengebracht werden. Im Abschlussdokument soll es dazu erstmals überhaupt einen Paragraphen geben. Zudem wird die Kommission in Genf eine Frühstückskonferenz organisieren, zu der eine große Zahl von Regierungen eingeladen wurden, um Umweltschutz und Klimaschutz in den Regeln der globalen Handelspolitik zu verankern. Ich werde versuchen, auch als Ständiger Berichterstatter des EP für ein Umweltgüter-Abkommen einschließlich von Dienstleistungen, die in diesem Bereich getätigt werden, in vielen Gesprächen in und neben Ministerialkonferenz die uns Abgeordneten so wichtige Bedeutung der Unterstützung der ökologischen und sozialen Transformation durch eine inklusive wirtschaftliche Entwicklung im Rahmen eines multilateral vereinbarten Regelwerkes des Welthandels zu betonen. |
13. Juni und 14. Juni: WTO MC12 und Parlamentarische Begleitung
Den ganzen Tag wird unsere Delegation in der Konferenz und ihrem Umfeld präsent sein. Die Kommission wird uns in einstündigen Briefings über den Stand der Verhandlungen auf dem Laufenden halten. Zusätzlich werden wir bilaterale Gespräche mit Vertreter*innen einzelner Regierung führen. Den Anfang macht an diesem Montag die EU-Kommission mit dem Briefing. Danach werden wir Wang Wentao treffen, den Wirtschaftsminister von China. Ich bin auf das Gespräch sehr gespannt, denn ich erwarte, dass in MC12 der Volksrepublik China selbst, aber auch dem Verhältnis anderer Staaten zu China eine Schlüsselrolle zukommen wird. Später werden wir auch noch die Französische Ratspräsidentschaft und die Delegation der Ukraine treffen. Am Dienstag sind bereits Besprechungen mit Ministern aus Taiwan und aus Bangladesch vereinbart. Weitere Besprechungen werden noch dazukommen. Am Montagnachmittag tagt dann der Lenkungsausschuss der Parlamentarischen Versammlung bei der WTO. Dieses Treffen von Parlamentarier*innen aus Ländern aus allen Kontinenten wird seit vielen Jahren gemeinsam vom Europäischen Parlament und von der Inter-Parliamentary Union (IPU) organisiert. Während MC12 wird es wegen der Pandemie keine Parlamentarische Versammlung vor Ort geben, sondern lediglich diese Sitzung des Lenkungsausschusses. Wir werden eine gemeinsame Erklärung mit Empfehlungen an MC12 diskutieren und annehmen. |
15. Juni: WTO MC12 und Handelsausschuss
Es ist der letzte Tag der Ministerialkonferenz der WTO und wir werden erleben, ob es gelingt, noch gehaltvolle Texte in das Abschlussdokument des Vorsitzes aufzunehmen. Es sind sowohl gute Ansätze möglich, als auch konfliktreiche Momente. So könnte es zum Beispiel mit Indien und anderen Staaten durchaus zu einer heftigen Kontroverse zum Thema Exportkontrollen von Nahrungsmitteln und dem Anlegen von Vorratslagern von Nahrung kommen. Die WTO Regeln behandeln Nahrung wie jedes andere Gut und lassen solche Eingriffe in den Handel eigentlich nicht zu. Seit Jahren wurden diese Verbote in Brückenvereinbarungen mit Indien zeitweilig ausgesetzt. In der nun beginnenden Nahrungsmittelkrise auf dem Planeten wird das Thema wieder akut. Indien, einem der größten Getreideproduzenten der Welt, wurde von einer schlimmen Dürreperiode getroffen. Solche Ereignisse werden zu den Folgen des Klimawandels gezählt. Die Regierung Mohdi reagierte mit einem Exportverbot zur Sicherung der Ernährung der 1,3 Milliarden Menschen zählenden Bevölkerung Indiens. Andere Regierungen, die in Amerika, Europa und Asien über die Geldmittel verfügen, kaufen auf dem Weltmarkt Angebote auf. Das verbietet die WTO nicht. Als Folge des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine werden jedoch auf dem ganzen Planeten die Getreidevorräte knapp. Allein in Ostafrika sind über 80 Millionen Menschen ebenfalls in Folge einer sehr langen Dürreperiode in Kumulation mit den Lieferengpässen in akuter Bedrohung durch Hunger. Ich setze mich seit langem dafür ein, dass Ernährung in der WTO nicht den normalen Regeln des Welthandels untergeordnet bleiben darf. Hoffentlich kann die aktuelle Not, die sich in den kommenden Wochen und Monaten noch zu steigern droht, ein Umdenken und eine Einigung bewirken. Viele Menschenleben könnten gerettet werden. Derweil wird in Brüssel der erste Teil der Sitzung des Handelsausschusses beginnen. Dort wird die EU-Kommission die Europaabgeordneten unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf den internationalen Handel unterrichten. Ich werde versuchen, mich per Videoverbindung zuzuschalten. Nachts geht es dann von Genf zurück nach Brüssel, um am nächsten Morgen vor Ort an der Ausschusssitzung teilnehmen und abstimmen zu können. |
16. Juni: Ausschuss für Internationalen Handel
Am Morgen werden wir uns mit den vielen Änderungsanträgen befassen, die im Gesetzgebungsverfahren für ein Instrument gegen externe wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen (Anti-Coercion Instrument) gestellt wurden. Ich möchte zur Einsicht beitragen, dieses Instrument grundsätzlich nutzbar zu machen und nicht nur auf die aktuelle geopolitische Debatte auszurichten. Das Parlament sollte auch der Versuchung widerstehen, der Kommission gerade in diesen aktuellen Kontexten zu viel Handlungskompetenz aus eigenem Urteil zu übertragen, damit möglichst zeitnah gehandelt werden kann. Die außenpolitischen und wirtschaftlichen Kompetenzen des Rates, aber auch die Position des Parlaments in solchen Fragen, dürfen nicht durch ein handelspolitisches Instrument untergraben werden. In diesem geopolitischen Koordinatensystem einzuordnen ist auch ein während der Ausschusssitzung abzustimmender Bericht. Er beschreibt Anforderungen des Europaparlaments an die zukünftige Ausgestaltung der bilateralen Handels- und Investitionszusammenarbeit der EU mit Indien. Beide Partner werden in Kürze bei einem Festakt in Delhi verkünden, ihre Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen wieder aufnehmen zu wollen. Zum einen lockt viele europäische Unternehmen der riesige indische Binnenmarkt von 1,3 Milliarden Menschen. Zum anderen streben europäische und amerikanische Geostrategen unverblümt danach, Indien als Bündnispartner in einer Allianz zur Einhegung der Volksrepublik China zu gewinnen. Die knallhart rechte hindu-nationalistische Regierung Mohdi wird sich allerdings als schwieriger Vertragspartner bei den Verhandlungen über ein Nachhaltigkeitskapitel erweisen. Umweltschutz, Klimawandel, Arbeitnehmer*innenrechte, Frauenförderung sind Themen- und Zielsetzungen, die sie nicht mit wirtschaftlichen und handelspolitischen Interessen zu verknüpfen bereit ist und als Kriterien/Standards für Handelsvereinbarungen ablehnt. Traditionell besteht zudem eine hohe Skepsis in der indischen Bevölkerung gegenüber einer Öffnung des Landes für internationale Konzerne. Tatsächlich würde es die ganze Welt betreffen, wenn Indien im Rahmen der Verhandlungen der Forderung der europäischen Pharmaindustrie nachgeben würde, die Patentschutzzeiten zu verlängern. Den Titel „Apotheke der Welt“ erwarb sich Indien als größter Produzent medizinischer Generika der Welt. An den günstigen Preisen hängt das Überleben vieler Menschen in den in ihrer Mehrheit armen Staaten der Welt. Und wie gehabt wird der Ausschuss auch über die Arbeit der Monitoring-Gruppen, und die Delegationsreisen nach Chile und zur Ministerialkonferenz der WTO in Genf informiert. Ich halte das für wichtig, damit auch öffentlich zumindest nachvollziehbar wird, was in diesen meist ja nicht öffentlichen Beratungen an Arbeit geleistet wird und die Möglichkeit des Nachhakens zu dem einen oder anderen Thema eröffnet. |
17. Juni: Unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern – endlich mal wieder vor Ort.
Am 17. Juni, kann ich an der Beratung aller Wahlkreismitarbeiter*innen, Regionalgeschäftsführer*innen, sowie der Geschäftsführer*innen in den Kommunen, des Landesverbandes DIE LINKE. MV im Schweriner Schloss teilnehmen – eine gute Gelegenheit nach der Zeit des durch Covid-19 bedingten Lockdowns wieder persönlich in Kontakt zu kommen. Unverzichtbar für parlamentarische Arbeit – aber natürlich auch für eine der Gesellschaft zugewandte Parteiarbeit. Im Anschluss geht es weiter mit einem Gespräch mit der neu gewählten Parteispitze in Mecklenburg-Vorpommern - Vanessa Müller und Peter Ritter. Es wird unter anderem um die Auswirkungen des Ukrainekriegs wie auch der Corona Krise auf Gesellschaft und Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern gehen. Was muss Politik hier auf allen Ebenen jetzt in Angriff nehmen: Nordex, Mukran, maritime Wirtschaft und Tourismus, und auch Swinoujscie sind da einige der Stichwörter. Nicht zuletzt treffen wir uns nur eine Woche vor dem Bundesparteitag der LINKEN und diesen Meinungsaustausch halte ich auch wichtig um Fragen des „Wie raus aus der tiefen Krise unserer Partei“ gemeinschaftlich zu besprechen. Nicht zuletzt mit Blick auf das längst überfällige Wiederankurbeln der europapolitischen Debatten. Die Wahlen zum Europaparlament sind schon in 2 Jahren. Und deshalb: Ich freue mich auf viele konstruktive Gespräche in meinem Wahlkreis. |
Büro in Brüssel Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin Europa- und Bürgerbüro Rostock Europa- und Bürgerbüro Schwerin Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder) Europäisches Regionalbüro Spremberg |
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