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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 58, 13. Mai 2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
es war schon feierlich, als am letzten Montag, dem Europatag, die Empfehlungen der EU-Zukunftskonferenz (CoFoE) an die Präsident*innen der europäischen Institutionen übergeben wurden. Ein Jahr lang hatten EU-weit und darüber hinaus Bürger*innen und Bürger in Hunderten Panels auf EU und mitgliedstaatlichen Ebenen diskutiert; kamen Parlamentarier*innen, Regierungsvertreter*innen, Abgesandte der Zivilgesellschaft zusammen – ich habe Ihnen immer wieder über die verschiedensten Aktivitäten berichtet. Vor allem, weil es ein bisher einzigartiger Prozess der Einbeziehung von in der EU lebenden Menschen in einen offenen Verständigungsprozess über "europäischen Angelegenheiten" und dies das Kernanliegen der COFE war. Die Verschränkung von solch partizipativen Formen mit traditionellen demokratischen Entscheidungsprozesse, die bisher die repräsentative Demokratie der EU ausmachten, hat zu erstaunlichen Ergebnissen geführt: die final vorgelegten Empfehlungen sowohl institutionell wie vor allem auch politisch, bestätigen den ergebnisoffenen Ansatz der Konferenz, dass viele Bürger*innen quer durch die EU27 Veränderungen der EU-Politik wollen. Der 15 Jahre alte Lissabon-Vertrag mit seinem ordnungspolitischen neoliberalen Politikkorsett entspricht erstens nicht mehr den Handlungsnotwendigkeiten und Herausforderungen unserer Zeit. Und zweitens haben sich Sichten auf die EU und die Interessen der Menschen am „Funktionieren“ der EU mit all den Erfahrungen der Menschen seit der Finanzkrise 2009/2010, den Flüchtlingsdramen an den EU-Außengrenzen, dem Handeln in der Corona-Pandemie usw. vor dem Hintergrund der Umsetzung verändert und verändern sich laufend weiter. Nun hat die Zukunftskonferenz geliefert. 325 konkrete Ideen bzw. Empfehlungen, gruppiert in 9 Kapiteln mit 49 Zielsetzungen liegen auf dem Tisch – hier finden Sie das zusammengefasste Paket. Die Aggression Russlands in der Ukraine hat auch die Debatten in der Konferenz über die Rolle der EU in der Welt, wie Frieden und Sicherheit, Internationaler Handel, Migrations- und Flüchtlingspolitik solidarisch und gemeinsam konzipiert und in der/durch die EU umgesetzt werde kann, beeinflusst. In den vielen Veranstaltungen auf nationaler und regionaler Ebene oder durch Beiträge auf der digitalen Plattform forderten die vielen engagierten Menschen das soziale Europa zu stärken, eine Gesundheitsunion zu schaffen, Umwelt- und Energiepolitik gemeinschaftlich zu gestalten, gleiche Standards in der Bildungspolitik durchzusetzen oder die Asyl- und Migrationspolitik neu auszurichten. Deutlich wurde aber auch: Die EU 2.0 braucht neue demokratische Strukturen, die die Menschen dauerhaft an EU-Entscheidungen beteiligen, und eine veränderte Arbeitsweise der EU-Institutionen. Deshalb haben die Bürger*innen-Versammlungen und Arbeitsgruppen gerade Vorschläge herausgearbeitet, wie die Entscheidungsstrukturen und Mechanismen der EU verändert werden sollen. Viele Beteiligte wollen mehr solidarisches Handeln der EU – sie soll die Rechtsstaatlichkeit schützen, die in der Grundrechtecharta garantierten Werte umsetzen, eine echte Informations- und Medienpolitik und Instrumente einführen, die diese auch gewährleisten können. Auch die Transparenz der Politik ist für viele grundlegend. Jetzt müssen die EU-Institutionen liefern. Und ich setze mich dafür ein, dass dies weiterhin mit den Bürger*innen in diesem Folgeprozess geschieht, den wir, wie in der vergangenen Ausgabe meines Newsletter berichtet, mit einer Parlamentsresolution angeschoben haben. Die Zukunftskonferenz und ihre Ergebnisse werden uns weiter "auf Trab halten". Gleiches gilt natürlich auch für andere Themenstellungen meiner parlamentarischen Arbeit. So stehen an den beiden Sitzungstagen Montag und Dienstag des Ausschusses für Internationalen Handel wichtige Themen und Abstimmungen auf der Tagesordnung. Es geht um legislative Arbeit bis ins Detail und eigene Initiativen: Schutzmechanismen der EU und ihrer Mitgliedstaaten für ihre Ökonomien vor unlauterem Wettbewerb durch wirtschaftlichem Zwang seitens Drittländern, die zeitweilige Aussetzung von Zöllen im Handel mit der Ukraine, die Investitionspolitik der EU in Drittstaaten, der Kampf gegen globale Entwaldung, EU-Gesetzgebung gegen Zwangsarbeit oder auch die Handelsstrategie für den indopazifischen Raum. Ein geballtes Paket. Auch mein Berichtsentwurf zur Zukunft der Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen der EU und Afrika kommt zur Abstimmung. In den letzten Wochen haben ich und mein Team mit den Schattenberichterstatter*innen aus den anderen Fraktionen daran gearbeitet, aus den eingebrachten etwa 300 Änderungsanträgen, davon ein Drittel als Ergänzungen von mir selbst, einen geschlossenen Berichtstext zu erarbeiten. Kompromisse zu finden oder Abstimmungen zu kontroversen Vorstellungen und Vorschlägen aufzuzeigen. Mein Anliegen ist klar: Mir geht es um eine Abkehr von einer europazentrierten Handelspolitik, die bis heute an historischen Linien aus der Kolonialzeit festhält, die mit dazu beitrugen, afrikanische Staaten nicht über den Status des Rohstofflieferanten hinauskommen zu lassen. Mehr zum Bericht und zu den notwendigen Veränderungen im Handelsgeflecht zwischen afrikanischen Staaten und der EU können Sie unten lesen. Vor diesen wichtigen Beratungen im INTA-Ausschuss werde ich jedoch am Wochenende gespannt nach Nordrhein-Westfalen schauen. Gilt die dortige Landtagswahl doch als "kleine Bundestagswahl", sozusagen als Stimmungsindikator. Natürlich richtet sich mein Blick insbesondere auf DIE LINKE. Ich brauche Ihnen nichts darüber zu erzählen, dass sich unsere Partei in einer tiefen Krise befindet. Das wird sich auch „vor Ort“ widerspiegeln. Der Wahltag wird also auch ein weiterer Anlass sein, dringlich die weitere strategische Ausrichtung unserer Partei zu beraten. Wie auch immer der Wahlabend im Einzelnen ausgeht: Beim Parteitag Ende Juni müssen die Konflikte und Streitpunkte auf den Tisch, nur so kann ein Lösungsweg erarbeitet bzw. aufgezeigt werden. Unser Verhältnis zur europäischen Integration gehört für mich dazu. Denn welche Kraft, welche Partei kann und muss sich so nachdrücklich v.a. für ein soziales, solidarisches, friedliches und nachhaltiges Europa einsetzen wie DIE LINKE? Womit ich wieder beim Anfang dieses Textes wäre. Ihr Helmut Scholz |
16. Mai: Der Ausschuss für internationalen Handel (INTA) tagt
Im INTA diskutieren wir heute den Gesetzentwurf der EU-Kommission für das „anti-coercion instrument“. Es geht um die Schaffung von Möglichkeiten der Gegenwehr durch die EU-Kommission, falls wir in Europa von anderen Staaten durch Handelsmaßnahmen gezwungen werden sollen, etwas zu tun oder zu lassen. Angeregt wurde die Forderung nach Schaffung eines solchen Instrumentariums durch Maßnahmen der Regierung Trump, der Europa den Wirtschaftsverkehr mit Iran und Kuba verbot und beteiligte Unternehmen vom US-Markt ausschloss. Die Maßnahmen richteten sich auch gegen den Bau von NordStream 2. Mit dem Wechsel an der Spitze im Weißen Haus in Washington verschob sich dann allerdings auch in Brüssel der Fokus auf Maßnahmen der Regierung von Xi Jinping, darunter Handelssanktionen gegen Australien als Strafe für die anhaltenden Schuldvorwürfe gegen China für den Ausbruch der COVID-19 Pandemie, oder auch das faktische Einfuhrverbot für Waren aus Litauen, nachdem das Land Taiwan die Eröffnung einer Vertretung in Vilnius erlaubt hat. Aus meiner Sicht werden wir dieses Instrument leider bald noch mehr benötigen, wenn bei den Wahlen in den USA im November 2024 das Pendel wieder in die andere Richtung schlägt. Dennoch sehe ich es kritisch, dass die EU-Kommission und wohl auch der Berichterstatter Bernd Lange von der S&D-Fraktion für die Beamt*innen der EU-Kommission die Möglichkeit schaffen wollen, aus eigenem Antrieb und ohne vorherigen Beschluss des Rates - geschweige denn des Parlaments - Maßnahmen gegen Drittstaaten auszulösen. Danach werden wir über den Vorschlag der Kommission sprechen, sämtliche Einfuhrzölle und Quoten für Waren aus der Ukraine aufzuheben. Vor dem Hintergrund der Lage werden wir das noch am selben Tag im Schnelldurchlauf beschließen. Die Debatten können Sie hier live verfolgen.
Ohnehin ist es ein Tag der Beschlüsse im INTA. Mehrere große Berichte werden zum Abschluss gebracht werden, darunter auch mein Bericht über die Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen unserer EU und Afrika. Ich konnte mich mit den Abgeordneten von fünf anderen Fraktionen bereits auf etwa 50 Kompromissanträge einigen, die aus dem Großteil der 297 gestellten Änderungsanträge hervorgingen. Entstanden ist dabei ein Bericht, der sehr viele der Anregungen aufnimmt, die überwiegend von afrikanischen Expert*innen an uns Europaabgeordnete und unsere Teams herangetragen worden sind. Wie noch nie zuvor legt der Bericht den Schwerpunkt auf die Förderung des Handels innerhalb des afrikanischen Kontinents. Produktion und Wertschöpfung in Afrika sollen ausgebaut werden und dabei nachhaltige Methoden und Technologien zum Einsatz gebracht werden. Die Kooperation unserer beiden Nachbarkontinente soll sich gesellschaftlichem Fortschritt, dem Klimaschutz und dem Erreichen der UNO Nachhaltigkeitsziele verschreiben und dabei die Handelsbeziehungen als Mittel nutzen. Ich wünsche mir sehr, dass der Bericht am Montag mit breiter Mehrheit vom Handelsausschuss angenommen werden wird. Die Abstimmung im Plenum wird dann am 23. Juni erfolgen. |
17. Mai: unsere Parlamentsarbeitsgruppe zu Fairem Handel tagt
Abgeordnete und Mitarbeitende aus verschiedenen Fraktionen und engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft stimmen die weitere Arbeit ab, um Fairen Handel innerhalb der EU und in der Welt zu fördern. Der Handelsausschuss empfängt Kommissionsspitzen Am frühen Morgen, bereits um 7:45 Uhr, wird uns unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Generaldirektorin Handel, Sabine Weyand, über den Stand der internationalen Verhandlungen der EU-Kommission über Handelsabkommen unterrichten. Öffentlich wird es dann wieder am Abend, wenn Vize-Präsidentin Margrethe Vestager und Viz-Präsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis uns über den gerade beendeten zweiten Handels- und Technologierat zwischen EU und den USA berichten. Die Bedeutung dieses Rates für die Abstimmung der Politiken zwischen den beiden wichtigen Akteur*innen in der Weltpolitik nimmt zu. Im Anschluss wird uns Dombrovskis dann noch etwas zum Stand der Dinge am Vorabend zum Gipfel der Welthandelsorganisation sagen, der vom 12. - 15. Juni in Genf stattfinden wird. Es scheint sich abzuzeichnen, dass in einer Versammlung, die alles einstimmig beschließen muss, die Anwesenheit Russlands und befreundeter Staaten wenig konkrete Vereinbarungen zulassen wird. Erwartet wird stattdessen eine Art Erklärung des Vorsitzes, die zu einigen wichtigen Themen dann zumindest den Diskussionsstand festhalten wird. Hier können Sie die Debatte live mitverfolgen. |
17. Mai: „Erste Ergebnisse der Konferenz zur Zukunft Europas“
Am 9. Mai haben die an der Konferenz zur Zukunft Europas beteiligten Personen ihren Bericht mit 49 Vorschlägen und 325 konkreten Maßnahmen den EU-Institutionen zur Umsetzung vorgelegt. Die Konferenz ist nun offiziell abgeschlossen, doch beendet ist die Diskussion um die zukünftige Gestaltung der EU nicht und wird sie auch niemals sein, wenn sie sich stets an gesellschaftlichen Wandel anpassen will um immer wieder Antworten auf neu entstehende Herausforderungen zu finden. Und es bleibt die Frage, wie die Bürger*innen der EU auch zukünftig an Politikgestaltung beteiligt werden. Daher trifft sich der Ausschuss für Konstitutionelle Angelegenheiten (AFCO) am 17.05. zu einem interparlamentarischen Austausch mit den nationalen Parlamenten, um erste Schlussfolgerungen aus den vorgelegten Empfehlungen der Konferenz zur Zukunft Europas zu diskutieren. Meine Erwartung gilt der klaren Positionierung für die Einberufung eines Europäischen Konvents und für die Erarbeitung von Vertragsänderungen. Hierfür muss sich zum einen das Europäische Parlament in seiner Sitzung im Juni stark machen und die Nationalstaaten haben die Aufgabe, sich im Rat dafür einzusetzen. Von der Bundesregierung erwarte ich, dass sie sich für einen Konvent und Vertragsänderungen ausspricht – die Bundesländer, auch solche, die von LINKEN regiert werden, sollten im Bundesrat einen entsprechenden Auftrag an die Bundesregierung auf den Weg bringen. Ganz konkret erwarte ich hier eine Unterstützung der Entschließung des Europäischen Parlaments für einen verbindlichen Folgeprozess auf Basis des Artikel 48 (2) des EU-Vertrags. Dieser besagt, dass die Regierung jedes Mitgliedstaats, das Europäische Parlament oder die Kommission dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge vorlegen können. Da die Konferenz zur Zukunft Europas in ihrem Abschlussbericht auch sehr konkrete Vorschläge vorlegte, die Vertragsänderungen erfordern, heißt es nun Position zu beziehen. Konkrete Arbeit ist nun sowohl auf EU- als auch auf mitgliedstaatlicher Ebene zu leisten um bis zum Juni-Gipfel des EU-Rats entsprechende Umsetzungsschritte der COFE auf den Weg zu bringen. Die Ausschusssitzung kann wie immer live verfolgt werden. Hier kann der Abschlussbericht gelesen werden. |
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