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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 28, 1. Oktober 2021
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sie empfinden es sicher genauso wie ich: Der Ausgang der Bundestagswahlen am vergangenen Sonntag war eine herbe Enttäuschung für DIE LINKE. Nun ist eine gründliche, sachliche Analyse notwendig, die die Ursachen des Abrutschens auf gerade einmal 4,9 Prozent schonungslos offenlegt. Was ist falsch gelaufen im Wahlkampf? Warum kamen unsere richtigen - und wichtigen - Botschaften nicht an? Wo liegen die tieferen Ursachen? Gerade letzteres scheint mir wichtig, denn völlig zurecht analysierte Horts Kahrs im "nd": "Tatsächlich sind diese wahltaktischen Schwächen nur die Folge tiefergehender Probleme und anhaltender strategischer Schwächen." Diese zeichneten sich bereits im Ergebnis der EU-Wahl 2019 ab, bei der DIE LINKE gerade mal nur noch 5,5% erzielte. Eine gezielte Aufarbeitung der tieferen Gründe blieb jedoch aus. Deswegen werde ich -erneut - dafür streiten, dass wir jetzt die Chance nutzen, uns zu unseren Politikansätzen zu verständigen, konkrete Handlungsbedarfe zu formulieren und unverzüglich die notwendige Neuaufstellung in Angriff zu nehmen, um bereits bei der EU-Wahl 2024 und bei allen weiteren Wahlen uns als gestärkte LINKE zu zeigen, die zukunftszugewandte Antworten mit allen interessierten Bürger*innen erarbeitet und so den Druck von links mit den Erwartungen und Forderungen der Menschen hierzulande an Politik verbindet, um die immensen gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland, der EU und international wirklich zu bewältigen. Und überzeugende Lösungen auf den Weg zu bringen, die die vielen Menschen, die von den anhaltenden Krisen – Gesundheit, Soziales und Klima – besonders betroffen sind, mitnimmt. Die Aufarbeitung des Wahlausganges wird natürlich auch uns als LINKE-Delegation in Brüssel und sicher auch die gesamte Fraktion THE LEFT des Europaparlaments beschäftigen. Denn ohne Zweifel haben die Bundestagswahlen in Deutschland, einem der wirtschaftlich schwergewichtigen Mitgliedstaaten in der EU, auch Einfluss auf die künftige europäische Politik. Wie wird der Kurswechsel einer Ampelkoalition mit einem Kanzler Olaf Scholz aussehen, wie der einer - ziemlich unwahrscheinlichen - Jamaika-Koalition oder bleibt es gar beim Weiter-so? Wo sind Änderungen der bisherigen Politik möglich, wo und wie können und müssen linke Kräfte vor allem Druck machen, damit mit einer FDP in Regierungsverantwortung kein Zurück zur Austerität und Rücknahme der zarten in der Pandemie-Zeit gesprossenen Pflänzchen gemeinsamer gemeinschaftlicher Entscheidungen in der EU erfolgt? Ebenso - und gerade vor diesem Hintergrund - muss die gesamte Linke in Europa, ob nun Parteien oder Bewegungen, mit dem Bedeutungsverlust der Linkspartei in der Bundesrepublik umgehen. Wir werden die Debatte intensiv führen. Aber nicht nur in Deutschland fanden in dieser Woche wichtige Ereignisse und Debatten statt. So hatte ich viele Einsichten in Debatten, aber auch wichtige aufschlussreiche Gespräche bei der diesjährigen öffentlichen handelspolitischen Fachkonferenz bei der Welthandelsorganisation, dem WTO Public Forum. Hunderte Abgesandte aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), der akademischen Welt, der Wirtschaft und der Politik haben über „Handel jenseits von COVID-19: Aufbau von Widerstandsfähigkeit“ beraten. Für mich war das wiederum ein unverzichtbares update für die Arbeit nicht nur im Handelsausschuss des Europaparlaments, sondern ebenso hinsichtlich vieler Weiterungen zu den oben beschriebenen Gesamtfragestellungen. Viele Diskussionen hatten konsequenterweise auch die die eigene Verantwortung ignorierende Nichthaltung der USA gegenüber der WTO und einer aktiven Überwindung der Krisen in der WTO als Hintergrundmusik, damit aber auch die Rolle Chinas, Indiens und der EU sowie das Verhältnis zueinander auf der Tagesordnung. Ein Thema, das in der kommenden Woche fortgesetzt wird. Und das dürfte auch Thema u.a. der Bürger*innen-Versammlung „Die EU in der Welt“ sein, mit dem ebenso die EU-Zukunftskonferenz Arbeitsschwerpunkt in der kommenden und folgenden Woche(n) bleibt. Auch dazu, wie zu anderen Punkten, können Sie unten mehr lesen. Ihr Helmut Scholz |
5. Oktober (9:00 - 13:00 Uhr): Plenardebatte Beziehungen EU - USA
Trump ist abgewählt. Von der Biden/Harris-Regierung haben wir inzwischen erste Eindrücke. An nicht wenigen Stellen ist ihr Agieren sichtbar von der innenpolitischen Sorge geprägt, dass Trump ein Comeback versuchen könnte. Zugleich gibt es im US-Kongress bei den Demokraten energisches Ringen um die richtige Strategie und der linke Flügel mahnt auf Einhalten der Wahlversprechungen. Dies greift tief in die Formierung der weiteren wirtschaftspolitischen, gesellschaftlichen, aber auch internationalen Agenda ein. Wie wird sich angesichts der jüngsten Entwicklungen, nicht zuletzt des Abzugs aus Afghanistan, der noch immer nicht zurückgenommenen Strafzölle auf Stahl und Aluminium, einer Rückkehr zur indo-pazifischen Schwerpunktsetzung in Außen- und Sicherheitspolitik, das Europaparlament in die Ausgestaltung des künftigen bilateralen Verhältnisses aufstellen? Der Auswärtige Ausschuss und der Handelsausschuss haben einen umfassenden Bericht erarbeitet, der am Dienstagvormittag ausführlich debattiert werden wird. Ich meine, die Europäische Union ist aufgefordert ihre Beziehungen zu den USA neu auszurichten: Es kann nicht ein einfaches Anknüpfen an die Ära vor Trump geben. Viel grundsätzlicher sind gemeinsame Sichten und Aufgaben angesichts globaler Herausforderungen zu bestimmen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, die Erderwärmung durch den Klimawandel aufzuhalten. Es bleiben auch nur noch 9 Jahre, um die in der UNO vereinbarten Nachhaltigkeitsziele für alle Länder der Erde zu erreichen. Armutsbekämpfung, Umweltschutz, Zugang für alle zu Gesundheitsdiensten und Bildung sollten die gemeinsame Ziele unserer Partnerschaft mit den USA sein. Doch selbst EU und USA zusammen können diese Ziele nicht schaffen, ohne weitere Partner zu gewinnen. Kooperationen sind notwendig. Dazu gehört auch die Anerkennung unterschiedlicher Interessenlagen sowie endlich ehrlicher politischer und gesellschaftlicher Dialog. Werden die EU und die USA sich in die Reform der WTO mit der notwendigen Verknüpfung zu Umwelt, Beschäftigung und Menschenrechten aktiv einbringen? Ein Signal aus Washington steht aus. Und die EU sollte sich nicht in unkritischem transatlantischem Schulterschluss in neue konfrontative Blockbildungen gegen China hineinziehen lassen. Der Plenardebatte werden Sie am Dienstagmorgen ab 09:00 Uhr in der EU-Sprache Ihrer Wahl folgen können. Ich möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, dass die Kooperation mit den USA derweil bereits beträchtlich intensiviert wird. In Pittsburg in den USA trafen am 28. und 29. September US-Regierung und EU-Kommission gerade auf zweithöchster Ebene im neu geschaffenen Handels- und Technologie-Rat zusammen (TTC = Trade and Technology Council). Das Treffen soll institutionalisiert werden. Fast wie TTIP, bloß ohne Handelsabkommen. Die Ergebnisse hat die Kommission veröffentlicht (auf Englisch). |
5. Oktober (9:00 - 13:00 Uhr): Plenardebatte zur Situation in Belarus nach einem Jahr der Proteste und deren gewaltsamer Unterdrückung
Erst kürzlich habe ich die Patenschaft für Nadzeya und Uladzimir Kalač, Frontsängerin und Sänger und Dudelsackspieler der Folk Rock Band Irdorath übernommen, und fordere deren sofortige Freilassung. Die beiden sind wegen Landfriedensbruch festgenommen worden, weil sie die friedlichen Protestmärsche mit Dudelsäcken musikalisch begleitet haben. Unglaublich eigentlich im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Aber es ist ein tiefer Einschnitt in die von fast allen Staaten der Welt, einschließlich Belarus, anerkannten universalen Menschenrechte, wenn Künstler*innen bei Ausübung ihrer Leidenschaft und der Wahrnehmung ihres Rechts auf Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit völlig ungerechtfertigt inhaftiert werden. Kunst zu unterdrücken bedeutet jedwede gesellschaftliche Entwicklung abzuwürgen. Gewalt und Unterdrückung durch das Regime Lukaschenko setzen sich leider fort. Eine Unterstützung zivilgesellschaftlichen Aufbegehrens ist ebenso wichtig wie die Suche nach Eckpfeilern für ein demokratisches und sozial gerechtes, neues Belarus und seine Menschen. Der bisherige Ansatz der Europäischen Union mit seinem inzwischen fünften Sanktionsprogramm hat kaum zu einer Verbesserung der Lage geführt. Flüchtlinge werden an den Außengrenzen der EU nun zu Geiseln des festgefahrenen Konfliktes. Lukaschenko vertieft die Staaten-Union mit Russland, statt sich dem Druck des Westens zu beugen. Wir können das im Europaparlament beklagen. Ohne Dialog mit Russland wird eine Verbesserung der Lage der Bevölkerung von Belarus, eine Freilassung der politischen Gefangenen und ein Neustart verfassungsgebender Debatten im ganzen Land kaum zu erwirken sein. Wo stehen wir heute, haben die Sanktionen ihren erhofften Erfolg gebracht und wie ist vor allem die Situation für Kunst- und Kulturschaffende? Wie können die Einhaltung von Menschenrechten und das Recht auf Mitgestaltung einer demokratischen pluralistischen Gesellschaft gewährleistet werden? Dies werden wir im Europaparlament im Rahmen einer Aussprache mit der Kommission diskutieren. Diese Debatte können Sie gleich im Anschluss an die USA-Debatte auf der Webseite des Europaparlaments live verfolgen. |
5. Oktober (abends): Startschuss für die Parlamentarische Versammlung EU - Vereinigtes Königreich
Im Rahmen der Brexit-Verhandlungen konnten wir durchsetzen, dass die künftigen Beziehungen mit den Brit*innen auch auf einer parlamentarischen Ebene mitbestimmt werden. Dafür wird eine gemeinsame Parlamentarische Versammlung aus Abgeordneten aus dem Europaparlament und aus Westminster gegründet. Am Dienstagabend wird das Europaparlament die Größe und Zusammensetzung seiner Delegation formell beschließen. Nachdem ich in AFCO und INTA nun über 5 Jahre zum Brexit gearbeitet habe, kann ich mir vorstellen, in der Versammlung mitzuwirken. |
6. Oktober (9-13 Uhr): Plenardebatte zur Energieverteuerung und zur Energiearmut in Europa
Nicht nur in Deutschland gehen die Energiepreise derzeit durch die Decke, sondern auch in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Was Gabi Zimmer im Europaparlament vor Jahren erstmals unter dem Begriff Energiearmut in ihrem viel beachteten Bericht zu Armut in Europa beschrieben hat, betrifft nun immer mehr Menschen. Die Linksfraktion wird in der Debatte auf Maßnahmen drängen, um insbesondere die armen Familien zu entlasten. Zugleich ist das Thema viel breiter zu sehen: Notwendig ist ein energisches Auftreten der Europäischen Union auch gegenüber dem Wucher, der unter anderem im globalen Schiffstransport grassiert. Während viele Länder versuchen, aus der Pandemie heraus ihre Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, wollen einige die Situation hemmungslos nutzen um ihren Reichtum noch zu vergrößern. |
6. Oktober: Digitale Transformation im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europa
Die ersten Bürger*innenpanels zur Konferenz zur Zukunft Europas haben stattgefunden. Doch nach wie vor ist unklar, wie sich die Konferenz nun real und konkret entwickeln wird; welche Rolle Nichtregierungsorganisationen und andere Player der organisierten Zivilgesellschaft mit ihren EU-weit oder eben auch nur lokal oder regional sich engagierenden Mitgliedern, z.B. dem Konvent der zivilgesellschaftlichen Organisationen, wird spielen können und wie die Vorschläge der Bürger*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu den einzelnen Themen in die 2 Ebenen der Konferenz einfließen können, wie z.B. Meinungen und Sichtweisen aus dem Panel zum digitalen Wandel. Darüber werde ich in einer Veranstaltung der European Citizen Action Service (ECAS) gemeinsam diskutieren. Der European Citizen Action Service (ECAS) ist eine internationale Non-Profit-Organisation, mit einem europaweiten Netzwerk von über 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bürger*innen, welches Dienstleistungen zur Durchsetzung der EU-Bürger*innenrechte und zur Bürger*innenbeteiligung am EU-Entscheidungsprozess anbietet. Ihre Veranstaltung findet im Rahmen der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft 2021 und des Konvents der Zivilgesellschaft zur Zukunft Europas statt. Die Zukunft der EU lässt sich nur gemeinsam mit der Zivilgesellschaft aus allen EU-Staaten gestalten und muss insbesondere auch die digitale Transformation in den Fokus nehmen. Denn Digitalisierung kann Transparenz bei der Entscheidungsfindung der EU-Politik ermöglichen und diese den Menschen näherbringen sowie Teilhabe steigern. |
8./9. Oktober: European Youth Event – Jugend diskutiert zur Zukunft der EU
An zwei Tagen sind tausende 16- bis 30-Jährige aus allen EU-Mitgliedstaaten eingeladen, mit Expert*innen, Aktivist*innen, Influencer*innen und Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft ihre Vorstellungen und Ideen zur Entwicklung der EU zu diskutieren. In diesem Jahr sieht sich diese Konferenz explizit als fester Bestandteil der Konferenz über die Zukunft der EU. Es wird sich also auch den konkreten Anforderungen an eine Zukunft generierende Politik der EU stellen müssen und Gestaltungsmöglichkeiten dafür hinterfragen. Ich hoffe auf offene und klare Debatte, auf ein intensives Hinterfragen bisheriger Politiken jenseits der viel zu oft bemühten Floskeln und vor allem eng an den unbequemen Fragen des Alltags orientiert, die der Lösung harren: Ausbildungsmöglichkeiten, Jugendarbeitslosigkeit oder auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, technologische Umbrüche in der Wirtschaft und damit verbundene Herausforderungen an Strukturwandel, Umweltzerstörung, Umsetzung des Rechts auf Wohnen und Gesundheit z.B. als Menschenrechte, die allzu oft nur als Ware gesehen werden. Rechtsstaatlichkeit und eine Außenpolitik, die solidarisch und friedlich ausgestaltet wird, gerade von der Friedensnobelpreisträgerin EU, die also nicht auf militärische Stärke, sondern auf dialogisch und eigenständige Entwicklung in anderen Regionen unserer Erde ermöglichend neugestaltet werden muss. Wo müssen Mechanismen und Strukturen des Funktionierens der EU dahingehend neu geschärft oder grundlegend verändert werden, und sind Mehrheitsentscheidungen in der EU der richtige Ansatz, um neue Lösungen zu ermöglichen? Oder wird damit die Axt an das Gemeinsame gelegt. Wollen wir mehr als ein Binnenmarkt sein oder verbleiben wir als Freihandelszone als Tummelfeld der mächtigsten wirtschaftlichen Akteur*innen? In den vorgeschlagenen Workshops sollten konkrete Vorschläge entstehen, die EU sozialer, ökologischer und demokratischer zu gestalten. Ich freue mich, gerade auch in diesem Jahr an diesem Prozess teilnehmen zu können. Allein der tägliche Austausch mit Abgeordneten reicht bei weitem nicht, wenn es darum geht, die EU zukunftsfähig und resistent gegen die größten Krisen unserer Gesellschaft zu machen. Antworten auf beispielsweise die Gesundheits- und soziale Krise sowie die Klimakatastrophe zu finden, geht m.E. nur gemeinsam, und gerade die jungen Leute müssen sich einbringen können dabei. Denn sie müssen mit dem von uns hinterlassenen Erbe in der Lage sein, die Verhältnisse von morgen zu gestalten und zu ändern. Ich freue mich auf konstruktive und gewinnbringende Debatten. |
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