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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 25, 10. September 2021
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der kommenden Woche wird nach dem Sommer das Europäische Parlament (EP) seine Plenarsitzungswoche wieder in Strasbourg haben. Ich freue mich, dass zum ersten Mal seit Januar 2020 auch wieder Mitarbeiter*innen der Abgeordneten sie direkt dorthin zur Unterstützung begleiten können. Deshalb hier auch öffentlich an meine Mitarbeiterin: Welcome back, Julia Klaus, im SDM-Gebäude des EP! Der Impffortschritt gegen Covid-19 macht sich bemerkbar, das Ziel 70 Prozent vollständiger Impfungen ist EU-weit erreicht - wenn auch noch leider mit großen Unterschieden zwischen und innerhalb der 27 Mitgliedstaaten. Aber volle Normalität ist noch nicht erreicht und die Bedingungen bleiben schwierig. Aufgrund der sich leider wieder verschlechternden COVID-19-Lage dürfen nur Abgeordnete in die Sitzungssäle und keine Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, damit die Abgeordneten mit ausreichend Abstand zueinander sitzen können. Da die Lage in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist, werden auch weiterhin nicht alle Abgeordneten zur Sitzung anreisen. Und wie in den letzten langen Lockdown-Monaten können Redebeiträge auch aus den Vertretungsbüros des Europäischen Parlaments in den Hauptstädten eingebracht werden. Die Abstimmungen erfolgen für alle per Computer, nicht im Saal. Dennoch bin ich froh, dass es wieder die Möglichkeit gibt, viele meiner Kolleginnen und Kollegen vor Ort treffen zu können und Dinge auch mal bei einem Kaffee zu besprechen und das Mienenspiel wahrzunehmen. Parlament kommt ja von Parlieren, vom miteinander sprechen, um Einigungen zu erzielen. Diese Plenarwoche hält mehrere Höhepunkte bereit, denen Sie wie immer live auf den Internetübertragungen aus dem Europäischen Parlament folgen können. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird am Mittwoch ihre jährliche große Ansprache zur Lage und Entwicklung der Europäischen Union halten. Zuvor wird schon am Dienstag ihr Stellvertreter und Hauptverantwortlicher für den „Green Deal“, Frans Timmermans, das Gesetzespaket ins Parlament einbringen, mit dem die EU-Kommission den Klimawandel doch noch aufhalten will. Nach dem erschreckend dramatischen neuen Klimabericht der UNO und nur zwei Monate vor Beginn der entscheidenden Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow bringt die Kommission im „Fit für 55“-Paket 13 Europäische Gesetzesvorhaben für mehr Klimaschutz auf den Weg. Im Parlament werden wir die Vorschläge nun prüfen und bewerten. Ich kann Ihnen jetzt schon versprechen, dass wir als Linke um Mehrheiten dafür ringen werden, konkrete Änderungen in die Gesetze hineinzuschreiben. Dinge, die deutlich mehr und deutlich schneller zum Handeln zwingen, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Wir wurden erneut in diesem Sommer ja alle - seien es Überflutungen, verheerende Hitzewellen und Brände - bereits Zeuginnen und Zeugen der Vorboten der Macht der Unwetter, die eine weitere Erwärmung und damit Energieanreicherung des Wettergeschehens mit sich bringen würden. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre der Themen, die mich und uns in der kommenden Plenarwoche beschäftigen werden, wünsche Ihnen zuvor aber allen ein schönes Spätsommerwochenende. Ihr Helmut Scholz |
13. September: Fishers for Future, auch an der Ostsee
Der portugiesische Sozialist Manuel Pizarro stellt mit seinem Bericht die Vorschläge des Fischereiausschusses im Europäischen Parlament vor, wie mit der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) dafür gesorgt werden muss, dass Fischerei und Aquakultur auf lange Sicht sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig sind. Und dass dieses Ziel weiterhin verfolgt werden muss, um die Attraktivität der Branche für die Arbeitskräfte zu erhalten. Zur Erreichung der sozialen Nachhaltigkeit sollten die Arbeitsbedingungen, die Gesundheit und Sicherheit, die Ausbildung, die soziale Inklusion und ein angemessener Lebensstandard in die Fischereipolitik integriert und durch die Fischereipolitik verbessert werden. An der Ostsee und überhaupt in vielen Fischereigemeinden und -regionen der EU überwiegt die soziale Bedeutung der Bereiche Fischerei und Aquakultur heute ihren unmittelbaren wirtschaftlichen Beitrag. Gibt es überhaupt noch eine Chance für die Küstenfischerei oder dient diese nur noch als Kulisse für Film und Fernsehen? Wie können junge Menschen für den Bereich gewonnen werden? Lesen Sie dazu die Empfehlungen aus dem Europäischen Parlament: „Fischer für die Zukunft: eine neue Generation von Arbeitskräften für die Fischerei gewinnen und Arbeitsplätze in Küstengemeinschaften schaffen“. |
14. September: Fit für 55
Frans Timmermans, Vize-Präsident der EU-Kommission für den "Green Deal", will am Morgen im Europäischen Parlament konkret werden und das Paket von Gesetzesinitiativen vorstellen, mit dem die EU-Kommission es doch noch schaffen will, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU und ihren Mitgliedstaaten bis 2030 auf den Wert von 55 Prozent des Ausstoßes von 1990 zu drücken. Auch im Titel der Debatte festgehalten tut er dies kurz nach der Veröffentlichung des jüngsten Klimawandelberichtes der UNO. Kombiniert wird es passender Weise mit einer Aussprache über die vom Klimawandel verursachten Katastrophen, von denen Menschen in der EU im Jahr 2021 betroffen waren. Das Gesetzespaket enthält 13 Gesetzesvorschläge. Es ist ein Kompromiss, der nach unserer linken Überzeugung nicht ausreicht, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Ich frage mich manchmal, wie schlimm die Schäden durch Unwetter eigentlich noch werden müssen, bevor die Lobbyist*innen in den Unternehmensverbänden begreifen, dass die Klimakatastrophe auch für Unternehmen viel teurer werden wird als die Maßnahmen, um deren Abschwächung sie sich immer so intensiv bemühen. Die FDP glaubt ja, der Markt wird es schon richten und irgendeiner wird schon noch etwas Rettendes erfinden. So wirtschaftsliberal ist allerdings zum Glück kaum eine andere Partei in der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament. Wir werden nun sehen, wie lange das Ringen der Co-Gesetzgeber in Parlament und Rat um die Inhalte der Gesetze dauert und ob sie rechtzeitig in Kraft treten können, um bis 2030 überhaupt noch etwas bewirken zu können. Dafür wird es sehr wichtig sein, wer demnächst in Berlin das Sagen hat. Ein Friedrich Merz (CDU) als deutscher Wirtschaftsminister würde sich wohl kaum zum Held der Klimaschutzbewegung wandeln ... Sie können die Debatten live und mit Simultanübersetzung auf der Webseite des Europäischen Parlaments verfolgen: https://www.europarl.europa.eu/portal/de |
14. September: Außenpolitische Debatten zu Afghanistan, Russland, China
Der Nachmittag der Plenarsitzung wird den außenpolitischen Themenstellungen gewidmet sein. Der Außenminister der EU, Josep Borrell, darf sich offiziell nicht so nennen. Sein Amt heißt „Hoher Vertreter der Union für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der EU-Kommission für ein stärkeres Europa in der Welt“. Borrell wird über Stunden seinen Standpunkt zu den Themen der Tagesordnung erläutern, den Abgeordneten zuhören und ihnen abschließend erwidern. Die erste Debatte wird sich mit Afghanistan beschäftigen. Es ist zu erwarten, dass Borrell das erneute Sichtbarwerden der militärischen Abhängigkeit von den USA zum Anlass nehmen wird, die Aufstellung einer schlagkräftigen EU-Eingreiftruppe zu fordern. Als Linke ziehen wir aus Afghanistan jedoch die Lehre, dass es falsch ist, Konflikte mit Eingreiftruppen lösen zu wollen, egal ob die Sterne der USA oder der EU auf die Uniformen gestickt wurden. Während der 20 Jahre Kriegshandlungen in Afghanistan starben dort fast genau einhundert Mal so viele Menschen wie bei dem Terrorangriff auf das World Trade Center am 11. September 2001. Und es hatte wohl schon damals nie jemand von denen den Krieg gegen den Terror ausrufenden US-Politiker*innen und Generälen und der mitmachenden NATO-Verantwortlichen wirklich ursächlich die Gründe für das Scheitern der zehnjährigen sowjetischen Besatzung hinterfragt. Das Land Afghanistan und seine Familien sind der Trauerfeiern müde. Viele Hoffnungen für Mädchen und Frauen auf eine neue Zukunft sind zerstoben, ein mühsamer inner-afghanischer Diskurs steht allen bevor und diese gesellschaftlichen Umbruchprozesse sind dringend zu unterstützen, ja. Dafür notwendigen Spielraum zu schaffen muss im Mittelpunkt stehen. Eingreiftruppen sind aber ein gescheitertes Konzept. Das Europäische Parlament wird zudem über seine Vorschläge beschließen, wie künftig das Verhältnis der EU zu Russland gestaltet werden soll. Eine Mehrheit aus Konservativen und Grünen schlägt vor, den russischen Präsidenten Vladimir Putin und seine Regierung offensiv für Verbrechen zu kritisieren und gleichzeitig aber die Opposition in der russischen Zivilgesellschaft mit den Mitteln der EU zu unterstützen. Putin ist mitnichten ein Linker, seine Auffassungen über demokratische Ausgestaltung und Teilnahme von Bürger*innen an Entscheidungen über das Heute und Morgen der russischen Gesellschaft sind meilenweit von einer emanzipatorischen und partizipativen Linken entfernt. Und ich würde seiner Partei sicher nicht am kommenden Sonntag - eine Woche vor den Bundestagswahlen - meine Stimme geben. Aber ich muss doch zur Kenntnis nehmen, dass die große Mehrheit der russischen Bevölkerung ihn seit vielen Jahren wählt, insbesondere außerhalb der Städte. Und muss nach den Gründen dafür fragen. Russland ist unser Nachbar und wenn sogar US-Präsident Biden das Gespräch mit seinem Amtsgenossen suchen kann, dann sollten wir in Europa im eigenen Interesse ebenfalls den Dialog wählen, um Lösungen für unsere Probleme zu entwickeln. An diesem Punkt werde ich mit dieser Einstellung jedoch wahrscheinlich dichter an Josep Borrell sein als die Mehrheit des Hauses, wie der leider wirklich schlechte und konfrontative Bericht vorausahnen lässt. Den Berichtsentwurf EU-Russland finden Sie hier: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0259_DE.html Nach dem Ende des Berichts finden Sie auch die eingereichte Minderheitenmeinung der Linksfraktion: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0259_DE.html#title3 (Für Minderheitenmeinungen gilt eine strikte Beschränkung der Zeichenzahl.) Schließlich wird noch die künftige Strategie gegenüber China debattiert werden. In der Geschichte der Menschheit hat der Moment des Auftauchens eines echten Rivalen für die jeweilige Hegemonialmacht leider fast immer zu Krieg geführt. Unsere Generation steht vor der historischen Aufgabe, mit der Volksrepublik China mit ihren 1.400 Millionen Menschen auf friedliche Weise das globale Gefüge neu zu organisieren. Bei sehr unterschiedlichen Ausgangslagen wird es im 21. Jahrhundert nicht mehr mit Machtpolitik gelingen, was realistischer Weise für alle Seiten gilt. Das Europäische Parlament hätte mit Weisheit zu dieser Aufgabe beitragen können. Nur gemeinsam mit China können wir die globalen Aufgaben wie den Klimawandel, die Armutsüberwindung und die Erhaltung von Frieden bewältigen. Saubere Mobilität von morgen wird gemeinsam konstruiert werden müssen. Menschenrechte - individuelle wie soziale - können und müssen wir entschieden in Kooperation und Dialog verbessern. Der Bericht bietet China jedoch keinen Dialog zwischen Ebenbürtigen an, sondern droht und drängt in Kolonialmachtsmanier und stellt mit der Forderung nach einem vorrangigen Investitionsabkommen mit Taiwan de-facto ganz offen die Ein-China-Politik der EU in Frage. Das gießt Öl ins Feuer, statt mit Entspannungspolitik die Lage zu verbessern. Wir werden den Bericht angesichts seiner Konstruktionsfehler ablehnen. Den Berichtsentwurf finden Sie hier: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0252_DE.html Nach dem Ende des Berichtes finden Sie dort auch die eingereichte Minderheitenposition der Linksfraktion dokumentiert: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0252_DE.html#title2 (Für Minderheitenmeinungen gilt eine strikte Beschränkung der Zeichenzahl.) Sie können die Debatten live und mit Simultanübersetzung auf der Webseite des Europäischen Parlaments verfolgen: https://www.europarl.europa.eu/portal/de |
15. September: Die Rede zur Lage der Europäischen Union
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), wird am Morgen erneut ihren großen Auftritt haben. Vor dem Europäischen Parlament hält sie zum zweiten Mal die jährliche „State of the Union“-Rede, dem Vorbild der US-Präsidenten nachempfunden, die sich immer im Januar im US-Kongress zur Lage der Nation äußern. Ihre Rede wird in Europa wohl aber wieder nicht die gleiche mediale Beachtung erhalten, ist jedoch dennoch ähnlich wichtig. Traditionell ist das ein Moment der Bilanz und der Ankündigung konkreter politischer Vorhaben der EU-Kommission. Danach werden die Fraktionsvorsitzenden auf sie reagieren und die eigenen Ansprüche an die politischen Prioritäten benennen. Für uns als THE LEFT wird das voraussichtlich Martin Schirdewan tun und seine Ausführungen dabei auch auf das bilaterale Gespräch stützen können, dass er und die Co-Vorsitzende unserer Linksfraktion, Manon Aubry, am Montag mit Präsidentin von der Leyen führen werden. Sie können die Rede live und mit Simultanübersetzung auf der Webseite des Europäischen Parlaments verfolgen: https://www.europarl.europa.eu/portal/de |
15. September: Pegasus Spionagesoftware
Das Parlament fordert von der EU-Kommission und vom Rat ein, endlich konkret zu benennen, welche Konsequenzen sie aus dem Skandal um die Pegasus-Software ziehen wollen. Ein israelisches Unternehmen hat diese Spionagesoftware zum Überwachen von iPhones entwickelt und an eine Vielzahl von Regierungen verkauft, die damit unter anderem Oppositionelle sowie Journalistinnen und Journalisten überwachten. Sie können die Debatte live und mit Simultanübersetzung auf der Webseite des Europäischen Parlaments verfolgen: https://www.europarl.europa.eu/portal/de |
15. September: Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit in Polen
Am Mittwoch wird das Europäische Parlament gemeinsam mit Rat und EU-Kommission über die Medienfreiheit und die weitere Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit in Polen debattieren. Anfang September musste die von der PiS-Partei geführte polnische Regierung ihre Justizreform aufgeben, nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass das neue Disziplinarsystem nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Ein weiterer Streitpunkt in den Beziehungen zwischen der EU und Polen ist die Unabhängigkeit der Medien. Die polnische Regierung hat vor kurzem einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Beschränkungen für ausländische Medien bei der Erteilung von Rundfunklizenzen vorsieht. Wie nun weiter? Sie können die Debatte hier live mitverfolgen. |
16. September: Wenn aus EU-Politiker*innen Lobbyist*innen werden
Am kommenden Donnerstag wird das Europäische Parlament in Strasbourg die Einrichtung eines unabhängigen EU-Ethikgremiums abstimmen. In den vergangenen Jahren haben mehrere Fälle von unethischem Verhalten in den EU-Institutionen erhebliche Systemmängel offenbart. So arbeiten etwa 30 Prozent ehemaliger Mitglieder des Europäischen Parlaments heute als Interessenvertreter*innen in Organisationen oder der freien Wirtschaft, was zu erheblichen Interessenkonflikten führen kann. Auch weisen die EU-Institutionen teils erhebliche Defizite bei ihrer Transparenz auf. Die Einrichtung eines unabhängigen Ethikgremiums kann hier Abhilfe schaffen, wenn die größtmögliche Unabhängigkeit des Gremiums gewährleistet wird, das Gremium über Sanktionen entscheiden darf sowie eigene Untersuchungen einleiten kann und die derzeitigen ethischen Regeln in den verschiedenen EU-Institutionen schnellstmöglich harmonisiert werden. |
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