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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 143, 05. Juni 2024
Liebe Leserinnen, liebe Leser,

natürlich brauche ich Sie nicht daran zu erinnern: Am Sonntag entscheiden Sie mit Ihrer Stimme über die Zusammensetzung des neuen Europäischen Parlaments. EU-weit finden die Europawahlen zwischen dem 6. und 9. Juni statt. Viele von Ihnen haben sicherlich auch schon per Briefwahl ihre Stimme abgegeben. Fakt bleibt: Rund 350 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind an die Wahlurnen gerufen; erstmals dürfen in Deutschland und Belgien auch 16- und 17-Jährige abstimmen.

Auf Deutschland als bevölkerungsreichstem EU-Mitgliedsland entfallen 96 der diesmal insgesamt 720 Sitze in der einzigen direkt gewählten europäischen Institution und transnationalen Volksvertretung weltweit. Auch 2024 bleibt es bei den 27 jeweils national angepassten Umsetzungen des EU-Wahlrechts; das Europäische Parlament hatte Druck für ein fortschrittliches einheitliches EU-Wahlgesetz gemacht, doch die nationalen Regierungen konnten dem noch nicht folgen. Soweit also die nüchternen „Basics“.

Entscheidender ist jedoch, dass mit dieser Wahl die Weichen gestellt werden, wie und wohin sich „Europa“ in den kommenden Jahren entwickeln wird. Die Herausforderungen unserer Zeit sind ohne Zweifel gewaltig: Die Pandemie kaum bewältigt, stecken die Ukraine und der Nahe Osten im Würgegriff der Gewalt. Zur Eindämmung der Klimaerwärmung und des Verlusts an Artenvielfalt sind zahllose mutige und weitsichtige Weichenstellungen gefragt, die gleichzeitig gute Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit schaffen. Der Ausgang dieser Wahl wird sich deshalb auf alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens auswirken.

Für mich stehen dabei einige Punkte im Zentrum: Erstens können wir mit unserer bewussten Stimmabgabe aktiv dazu beitragen, die Rechtsentwicklung in der EU aufzuhalten und zu verhindern, dass die Rechtsaußenfraktionen im Europaparlament weiter erstarken. Wir sollten ihnen die Kraft nehmen daran zu arbeiten, das gesellschaftliche Klima zu beeinflussen und maßgeblichen Einfluss auf EU-Gesetzgebung zu erlangen. Ihre Wahlprogramme sprechen eine deutliche Sprache: Entsolidarisierung, Betonung der nationalen Egoismen, Absage an die Verantwortung unserer heutigen und künftigen Generationen eine zukunftsfähige Politik – gemeinsam mit anderen Menschen weltweit – zu praktizieren. Ich bin mir sicher: Ein Zurückdrehen europäischer Integration allein auf die reine Logik des Binnenmarktes ist die falsche Antwort auf die Herausforderungen unserer Tage.

Zweitens muss Europa ein Kontinent des Friedens sein – oder genauer, es wieder werden. Ja, die Debatten um die konkrete Ausgestaltung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, vor allem aber der Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben mit dem andauernden Aggressionskrieg der Russischen Föderation in der Ukraine einen besonderen Stellenwert auch im Wahlkampf bekommen. Doch die Kernfrage muss lauten: Wie ist Frieden zu gewinnen? Mit imperialer Politik, Verletzung des Völkerrechts, dem Ausblenden oder Negieren eingegangener internationaler Verpflichtungen? Ganz sicher nicht – aber auch nicht mit einer Rückkehr zur Logik des Militärischen bei der Lösung von Konflikten oder der Durchsetzung nationaler oder regionaler Interessen und Werte. Das Ziel muss stattdessen in eine gemeinsame und vor allem rechtlich verpflichtende Sicherheitsordnung sein, die auf Abrüstung, friedlicher Konfliktbeilegung, der Achtung von legitimen Interessen aller Staaten basiert und militärpolitisch der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit.

Drittens geht es um ein solidarisches Miteinander in der EU und – viertens – deren grundlegende Demokratisierung, einschließlich einer neuen vertraglichen Grundlage.

Viele Umfragen zu Wahlabsichten und Prognosen von Meinungsforschungsinstituten zeigen an, dass extrem rechte, national-populistische bis hin zu neofaschistische Kräfte bei den Wahlen zulegen können und somit künftig im Europaparlament auf die Ausrichtung europäischer Politik stärker Einfluss nehmen. Wir sollten uns von dem angeblichen Zerwürfnis zwischen französischer Le-Pen-Partei und deutscher AfD nicht täuschen lassen: Ihre Ideologie und Politik, gerade hinsichtlich Migration oder gesellschaftlicher Ausgrenzung, sind identisch, wenn auch mit marginalen Unterschieden. Dies im Übrigen gilt für alle extrem rechten Parteien, die bereits in zahlreichen Ländern mitregieren und nun auch nach den Schaltstellen in der EU greifen. Vergessen wir nicht: Marine Le Pen beabsichtigt fest, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen das Staatsamt zu erlangen; verniedlichende SS-Aussagen eines deutschen Fraktionskollegen helfen ihr nicht weiter...

Dass Kommissionspräsidentin und Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei Ursula von der Leyen ebenso wie eine ganze Reihe anderer EVP-Kandidat:innen der postfaschistischen italienischen Ministerpräsidentin Meloni und ihresgleichen die Hand reichen, ist dabei ein schlechtes Omen. Ihr Kalkül ist klar: Sie stellen sich bereits ein auf neue Mehrheitsverhältnisse im Parlament, sowohl im Plenum und anderen politisch und fachlich entschiedenen Gremien.  

Auch was Frieden, Sicherheit und Abrüstung in Europa anbelangt, schaue ich mit Sorge in die Zukunft. In den letzten Tagen wurde abermals an der Eskalationsspirale gedreht. Die Entscheidung von SPD-Kanzler Scholz und anderen EU-Spitzenpolitiker:innen wie Emmanuel Macron, der Ukraine Angriffe mit deutschen und anderen NATO-Waffensystemen auf Russland zu erlauben, führt Europa, ja die ganze Welt, an den Rand eines dritten Weltkrieges. Was ich besonders scharf kritisiere und erschreckend finde: von Seiten „Brüssels“, der EU-Staaten oder der Bundesregierung sind keine ernsthaften Versuche bekannt, den vom russischen Präsidenten Putin begonnenen Krieg zu beenden, sich für einen bedingungslosen Waffenstillstand einzusetzen und alle diplomatischen Mittel und Kanäle zur Beilegung des Konfliktes bei gleichzeitiger Verteidigung der Souveränität der Ukraine und Achtung ihres gewählten wenn auch sicher langwierigen Weges in die EU auszuloten.

Immer mehr Waffen bringen keinen Frieden, ziehen das Töten, das Leid und die Zerstörungen weiter in die Länge. Zugleich schaden sich nicht nur der Wirtschaft massiv, sondern untergraben auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Bereitschaft der Menschen in den EU-Ländern für die weitere Unterstützung der Ukraine. Es sei daran erinnert, dass die Friedensnobelpreisträgerin EU im Ruf steht, gerade über die nötige „soft power“ für alternative Konfliktlösungen zu verfügen. Diesen Ruf hat sie spätestens seit Kriegsbeginn vor nunmehr über zwei Jahren verspielt. Und sie verspielt ihn mit ihrer Tatenlosigkeit gerade abermals im Nahen Osten.

Ein Europa, das sich für die Menschen einsetzt und nicht für die Profite der Rüstungsschmieden, ist nicht nur in der Außenpolitik gefordert. Mehr als 120 Millionen Menschen in der EU sind von Armut bedroht. Die Inflation frisst die Löhne auf, die öffentliche Daseinsvorsorge wird immer weiter unterhöhlt, das Gesundheitssystem auf Profit getrimmt. Es war unsere Linksfraktion im EU-Parlament, die die nun beschlossene Mindestlohnrichtlinie auf den Weg brachte. Auch für sicheres soziales Netz in allen Ländern setzten wir uns ein, für Förderprogramme zugunsten benachteiligter Regionen und Kommunen sowie für bindende Menschenrechts- und Umweltstandards in Handelsverträgen. Widerstand kam dagegen vor allem von den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, aber auch der EU-Kommission, denen eher das Wohl von Konzernen und Banken am Herzen zu liegen scheint. Mit der Verweigerung der FDP, etwa über das Lieferkettengesetz wirksame Unternehmenspflichten anzuerkennen, tat sich insbesondere Deutschland als rücksichtloser Bremsklotz hervor.

Ich betone noch einmal ganz deutlich: das Soziale muss verbindlich primärrechtlich in die EU-Verträge. Deshalb ist mit dem Kampf um ein soziales Europa die dringend notwendige Demokratisierung der EU auf das Engste verbunden. Die über ein Jahr laufende große Konferenz zur Zukunft Europas bis 2022 hat dafür ein ganzes Paket von Vorschlägen und Maßnahmen ausgearbeitet. Erstmals in der EU-Geschichte waren die Bürger:innen so umfassend und ernsthaft in einen gemeinschaftlich skizzierten und praktizierten „Nachdenkprozess“ eingebunden worden – gerade immer wieder auf Drängen des Europaparlaments.

Ich halte es für einen Skandal, dass diese Ergebnisse – ebenso wie die Forderung des Europaparlaments nach Einberufung eines Konvents zur Vertragsänderung – abermals von den Regierungen verschleppt werden. Das ist Wasser auf die Mühlen all jener, die genau auf diese Ignoranz der verantwortlichen Politiker:innen und ihr Schielen auf nationale Machtpositionen und jeweilige Wahlchancen bauen, um für ihre Ablehnung der EU-Integration zu werben. Dieses Thema gehört auf die Tagesordnung im neuen Europaparlament – und zwar gleich zu Beginn. Und ich kann nur die Forderung unterstützen, dass kein/e Politiker:in ein politisches Amt in der künftigen Kommission oder im Parlament oder im Rat gewählt wird, die/der sich nicht eindeutig für die Einberufung des Konvents und der Umsetzung der Empfehlungen des EU-Zukunftskonferenz verpflichtet.

Die Linke hat in all diesen Punkten ihre Positionen und Vorschläge eingebracht. Nicht nur in ihrem im vergangenen November in Augsburg verabschiedeten Wahlprogramm. Erst vor zwei Wochen hat sie auf ihrem Europakonvent konkrete Initiativen vorgelegt, die ihre Abgeordneten im künftigen Europaparlament in den ersten 100 Tagen unterbreiten wollen:

  • An erster Stelle stehen dabei soziale Fragen. So wollen die Linke-Abgeordneten in Brüssel einen Prozess zur europaweiten Mindestbesteuerung von Vermögen einleiten, um mit den dadurch freiwerdenden Geldern die Armut zu bekämpfen.
  • Ebenso werden sie einen Antrag zur Einführung einer dauerhaften Übergewinnsteuer in der EU einbringen, das Recht auf Wohnen in einer EU-Richtlinie festschreiben, einen Rahmen für den Ausbau des europäischen Bahnsystems setzen und einen EU-Fonds für die (Re-)Kommunalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge auf den Weg bringen.
  • Eine Richtlinie soll Mindeststandards in der Gesundheitsversorgung überall in der EU setzen und mit Reformvorschlägen soll die Vergaberichtlinie der EU so geändert werden, dass eine Tarifbindung endlich Pflicht wird.
  • Und zugleich will Die Linke Druck auf die Bundesregierung ausüben, die EU-Mindestlohnrichtlinie zügig umsetzen und den gesetzlichen Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen.

Das sind gute Angebote an die Wählerinnen und Wähler am 9. Juni. Sie haben es in der Hand, ob es ein Weiter-so in der EU gibt, oder ob sie sozialer, gerechter, friedlicher, demokratischen wird. Nehmen Sie Ihr Recht wahr, über die Zukunft unseres Kontinents zu entscheiden!

Ihr

Helmut Scholz

 

PS: Ich werde am 9. Juni im Europäischen Parlament in Brüssel sein, um im Auftrag der Linken-MdEP als Gesprächspartner für interessierte Bürger:innen und Medienvertreter:innen, Gewerkschafter:innen bereitzustehen.  Aber ich werde auch in engem Kontakt mit der Linken im Landkreis Dahme-Spreewald stehen – kandidiere ich doch für den Kreistag und die Gemeindevertretung meiner Heimatstadt. Mal schauen.

Auf der Tagesordnung

Freitag, 7. Juni 2024

Auftakt zum Endspurt in Potsdam

  • mit Martin Schirdewan, Carola Rackete, Janine Wissler, Gregor Gysi u.a.
  • Wann? Freitag, 7. Juni 2024, ab 15 Uhr
  • Wie? Vor dem Brandenburger Tor, Potsdam. Mehr dazu hier.

 

Sonntag, 9. Juni 2024

Wahlen zum Europäischen Parlament & Kommunalwahlen in vielen Bundesländern

 

Mittwoch, 19. Juni 2024

Möglichkeiten und Grenzen linker Kommunalpolitik

 

Samstag, 13. Juli 2024

Landesparteitag Mecklenburg-Vorpommern

  • mit Jeannine Rösler, Simone Oldenburg, Jacqueline Bernhardt, Helmut Scholz u.a.
  • Wann? Samstag, 13. Juli 2024 9:30-19:00 Uhr
  • Wie? Bürgersaal Waren. Mehr Informationen in Kürze hier.
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