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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 140, 05. April 2024
Liebe Leser:innen,
in der kommenden Woche wird eine Mehrheit der Abgeordneten in der Plenardebatte des Europäischen Parlaments zur finalen Verständigung über die Reform des sogenannten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS, die Unterstützung für dieses Gesetzpaket zum Ausdruck bringen und daran anschließend mit großer Wahrscheinlichkeit „Grünes Licht“ für dessen Ingangsetzung geben. Ich sage ganz offen: ein fataler Schritt, denn damit verabschiedet sich das Haus, nach Rat und Kommission, von grundsätzlichen völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Werten und Standards, die als Lehren aus dem vom deutschen Faschismus angezettelten 2. Weltkrieg gezogen wurden. Denn so, wie diese Reform angelegt ist, wird sie das Sterben an den EU-Außengrenzen nicht nur nicht verhindern, sondern noch forcieren und einen Ausbau der „Festung Europa“ weiter verstärken. Bereits im Dezember 2023 hatten sich die EU-Regierungen und eine Verhandlungsdelegation des Europaparlaments auf dieses sogenannte „Asylpaket“ geeinigt. Wobei Einigung wahrscheinlich das falsche Wort ist, denn praktisch setzten sich die Mitgliedsstaaten mit all ihren Forderungen zur Verschärfung des Asylrechts durch, auch, weil die Vertreter:innen v. a. von EVP, Renew und der Rechtspopulisten und -extremen viele diese Punkte mittrugen und tragen. Gerade wir als Linksfraktion im Europäischen Parlament hatten diese angeblichen Reformen immer wieder auf das Schärfste kritisiert und Änderungen verlangt. Und nahezu zynisch erscheint es, dass diese „Einigung“ fast genau zehn Jahre nach den schrecklichen Bootsunglücken vor Lampedusa erfolgte, bei denen über 600 Menschen ertranken. Damals war das Entsetzen groß, und auch viele EU-Spitzenpolitiker:innen betonten unisono, dass nie wieder Menschen auf ihrem (Flucht-)Weg nach Europa sterben dürften. Geändert hat sich allerdings nichts. Seit 2014 haben mindestens 28.000 Menschen auf der Schiffspassage über das Mittelmeer den Tod gefunden. Die EU hält ihre Festungstore geschlossen. Die Seenotrettung – nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern auch des internationalen Rechts – wird leider ebenso nach wie vor kriminalisiert. Besonders tut sich dabei die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia - Alleanza Nazionale hervor, die im Wahlkampf versprochen hatte, die Fluchtroute über das Mittelmeer zu schließen. Die nun auf EU-Ebene zur Abstimmung anstehenden „Reformen“ dürften ganz in Melonis Sinne sein. Denn es sollen keine sicheren Wege nach Europa geschaffen werden, sondern es soll Geld für die Errichtung von Sammellagern für Asyl- und Schutzsuchende an Drittstaaten fließen und entsprechende Verträge mit Milliarden Summen sind bereits zwischenzeitlich mit einer Reihe von Staaten am südlichen Ufer des Mittelmeers unterzeichnet bzw. in finaler Verhandlungsrunde und auch die Praxis der sogenannten Pushbacks, bei denen Menschen ohne die vorgeschriebene Prüfung ihres Asylbegehrens zurückgedrängt werden, wird weiter existieren. Rückführungsfristen sollen verlängert und sogar Kinder an den Außengrenzen de facto inhaftiert werden – und das sind noch längst nicht alle Punkte. Für mich besonders erschreckend ist, dass auch die Rot-Grün-Gelbe Bundesregierung, die ursprünglich mal genannte „Fortschrittskoalition“, die sich bislang zumindest verbal stets den Schutz von Menschen auf der Flucht auf die Fahne geschrieben hatte und von einer „Werte“ geleiteten Politik redet, diesem „Reformpaket“ nun zugestimmt hat. Das ist schon lange keine Fortschrittskoalition mehr, sondern eine Rückschrittskoalition! Sie können sicher sein: DIE LINKE. und auch unsere Linksfraktion im Europaparlament werden dieser unmenschliche Abschottungspolitik nicht zustimmen und es ist sicherlich wichtig – auch mit Blick auf die Menschen, die durch Krieg und Verfolgung oder Umweltzerstörung zum Verlassen ihrer Heimat gezwungenen werden – diese Herausforderungen an ein solidarisches Miteinander und die Veränderung von Politik zur Lösung der Fluchtursachen zu einem zentralen Thema des Europawahlkampfes zu machen. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen EU. Die Plenardebatten können wie immer im Livestream verfolgt werden, die Debatte und Abstimmung zur GEAS startet am 10. April ab 12:30 Uhr. In der kommenden Woche wird es aber auch positive Momente geben. In der nun voraussichtlich wirklich letzten Sitzung des Handelsausschusses werden noch einmal zwei wichtige Abstimmungen auf der Agenda stehen. Erstens: Gemeinsam mit dem Industrieausschuss stimmen wir über den Austritt der Europäischen Union aus dem Energiecharta-Vertrag ab. Es wird höchste Zeit, dass die EU als Ganzes aus diesem veralteten, noch im fossilen Zeitalter feststeckenden völkerrechtlichen Vertrag aussteigt, nachdem Frankreich, Deutschland und Polen bereits einzeln und quasi unilateral ihren Rückzug beschlossen haben. Der Zweck des 53 Mitglieder zählenden multilateralen Abkommens war es, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion westliche Investitionen in den Öl- und Gassektor in den neu entstandenen Staaten in Mittel- und Osteuropa durch höhere Rechtssicherheit anzukurbeln. Wie sich herausstellte, dient diese Art von Investor:innenschutz eben auch nur den Investor:innen auf Kosten von Staaten. Durch ein intransparentes und von fragwürdiger Unabhängigkeit geprägtes Schiedsgerichtssystem können Staaten zu Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe verurteilt werden. Auch Deutschland wurde von Vattenfall mit einer Milliardensumme verklagt. Problematisch sind aber nicht nur die Schiedsgerichte, sondern auch die sogenannte Sunset Clause, die besagt, dass auch nach dem Ausscheiden aus dem Vertrag Unternehmen noch 20 Jahre lang die Möglichkeit haben, Staaten zu verklagen. Weil diese Art der Verpflichtung nicht mit den Zielen des Green Deals vereinbar ist und weil ein Versuch seitens der EU, den Energiecharta-Vertrag zu modernisieren, bislang scheiterte – wohlbemerkt, weil sich keine Mehrheit im Rat dafür gefunden hat – strebt die EU nun einen koordinierten Ausstieg an. Der abzustimmende EU-Ausstieg aus dem Vertrag ist eine Möglichkeit, am Ende der Legislaturperiode ein klares Signal an die Bürger:innen und das nächste Parlament zu senden: Investitionen in fossile Brennstoffe sollen sich nicht mehr lohnen und besonders nicht auf Kosten der Steuerzahler:innen. Zweitens: Weniger erfreulich ist, dass sich, wie in den vergangenen Wochen berichtet, der EU-Rat weiter sträubt, das Trilog-Ergebnis zu den Handelserleichterungen für die Ukraine zu bestätigen. Weil keine Mehrheit für den aktuellen Kompromiss gefunden wurde, müssen Parlament und Rat am Montag in der kommenden Woche zurück an den Verhandlungstisch. Die Gespräche werden unter großem Zeitdruck geführt, denn wenn keine Einigung gefunden wird, werden die Handelserleichterungen nicht verlängert, und das würde für die Ukraine einen Millionenverlust bedeuten. Ich werde mich weiterhin für ein Ergebnis einsetzen, das sowohl den Bedürfnissen der ukrainischen Wirtschaft als auch den Bedenken der europäischen Landwirt:innen Rechnung trägt. Mit den beiden kommenden letzten Plenartagungen dieser Legislaturperiode im April wird auch ein langer Reformprozess der Arbeitsweise des Europäischen Parlaments zu Ende gehen. Nachdem sich verschiedene parlamentarische Arbeitsgruppen seit 2019 der Aufgabe stellten, die Geschäftsordnung des Parlaments hin zu effizienteren inneren Prozessen und einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung zu adaptieren und zumindest auf die Höhe der Zeit zu bringen, wird das finale Ergebnis dieser Verhandlungen nun im Plenum abgestimmt. Dies wird die weitgehendste Reform seit Ende der 90er Jahre sein. Auch, wenn ich viele Vorschläge unterstütze, denke ich, dass einige Ansätze die Möglichkeiten von kleinen Fraktionen zu sehr einschränken könnten. Ich werde mich daher im Plenum enthalten. Einen weiteren Tagesordnungspunkt vermisse ich leider jedoch am kommenden Mittwoch: So wird die Kommission wieder nicht dazu aufgefordert, sich unseren Fragen zur Vorbereitung der Europäischen Union auf die anstehende Erweiterung zu stellen. Da ich so einige Versäumnisse, beispielsweise in Bezug auf die zukünftige Kohäsionspolitik, öffentlich zu kritisieren hätte, halte ich es für fatal, dass wir Abgeordnete diese Möglichkeit wieder nicht bekommen, nachdem sie auch schon von der letzten Plenaragenda kurzfristig gestrichen worden war. Eine letzte Chance bleibt: Die abschließende Plenartagung in Strasbourg in der letzten April-Woche... Ihr Helmut Scholz |
Auf der Tagesordnung
In der kommenden Woche kommen die EU-Abgeordneten zur Mini-Plenartagung in Brüssel sowie in ihren Fraktionen und Ausschüssen zusammen. Hier einige Highlights aus meiner Sicht:
Mittwoch, 10. AprilReform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, GEAS
Freitag, 12. AprilBlockaden und Illiberalismus – Welche Zukunft hat die EU?
Samstag, 13. AprilUmweltschutz im Kleinen - Großes Thema für die Kommunalpolitik
Dienstag, 16. AprilWeltgemeinschaft: Nachhaltige Entwicklung vs. GeopolitikWie können wir auf dem Weg zu den SDGs vorankommen, wenn wir uns dem Druck der Geopolitik beugen? Welche gangbaren Alternativen können wir erkunden? Und wie könnten wir uns eine "globale Gemeinschaft" vorstellen, die Verantwortlichkeit fördert, unsere gemeinsame Menschlichkeit anerkennt und wirtschaftliches Wohlergehen, Umweltschutz und soziale Eingliederung als miteinander verknüpfte und unverzichtbare Säulen der Entwicklung integriert? Diese Veranstaltung soll unser Verständnis dafür vertiefen, wo Spannungen zwischen der Agenda 2030 und der Geopolitisierung bestehen und wie diese gelöst werden können.
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Büro in Brüssel Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin Europa- und Bürgerbüro Rostock Europa- und Bürgerbüro Schwerin Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder) Europäisches Regionalbüro Spremberg |
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