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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 138, 22. März 2024
Liebe Leser:innen,

heute sind wir alle wieder für eine „Earth hour“ aufgerufen: um 20:30 Uhr gehen für eine Stunde symbolisch als Zeichen für mehr Klimaschutz die Lichter aus. Sicherlich auch eine Gelegenheit, über Energieeinsparung, weltweite Regelungen für nachhaltiges Wirtschaften in Richtung Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung nicht nur zu reden, sondern praktische Schritte zu gehen.

Für die Abgeordneten des EU-Parlaments ist die Woche vor Ostern für „externe parlamentarische Aktivitäten“ vorgesehen. Das bedeutet: Ausschüsse und Arbeitsgruppen pausieren und auch Fraktions- oder Plenarsitzungen finden in dieser Woche nicht statt. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel, denn vom 24. bis 26. März reisen Vertreter:innen der nationalen EU-Ausschüsse nach Brüssel, wo sie zur traditionsreichen Plenarsitzung der „COSAC“-Konferenz zusammenkommen (Konferenz der Parlamentsausschüsse für EU-Angelegenheiten aus allen nationalen Parlamenten der EU-27 sowie des Europäischen Parlaments).

Themen werden unter anderem die Lage der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedstaaten, aber auch den Ländern der östlichen und südlichen Nachbarschaft der EU, das neue Dogma der „offenen strategischen Autonomie“, sowie das Ziel einer gleichrangigen und gleichberechtigten Vertretung der Geschlechter in den Parlamenten sein. Daneben wollen die Parlamentarier:innen die Strategie-Agenda des Rates für die kommende EU-Legislatur, also 2024-2029, und deren Auswirkungen auf die Mehr-Ebenen-Entscheidungsstruktur der EU diskutieren: Welche Vorhaben werden in den kommenden fünf Jahren die Arbeit der EU-Institutionen prägen? Welche Ziele werden in den Mittelpunkt gestellt?

Die Staats- und Regierungschefs hatten in ihrer Erklärung von Granada vom 6. Oktober 2023 bereits angedeutet, wohin die Reise nach Ansicht des EU-Rates gehen soll: Eine gestärkte Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft, Energiesicherheit, die Kontrolle von Migration und Fortschritte in Sachen Erweiterung werden hier als Schwerpunkte genannt. Um die EU fit für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten zu machen, bemüht sich die belgische Ratspräsidentschaft zudem darum, eine konkretere Ausgestaltung der eingeleiteten Debatten zur Zukunft der EU anzustoßen.

Diese engere Zusammenarbeit von Europäischem Parlament und nationalen Parlamenten ist sicherlich eine dringende Notwendigkeit für beide Seiten. Insbesondere seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages ist diese COSAC Versammlung institutionell aufgestellt. Aber damit diese nicht nur ein formaler Meinungsaustausch bleibt, sondern produktiv Veränderungen und Weiterentwicklung der Integrationsschritte vorantreibt und somit ein Gewinn wird, braucht es eine stärkere Verzahnung mit Blick auf gemeinsame Verantwortung und Einflussnahme sowohl auf die gemeinschaftlichen, als auch auf die intergouvernementalen Entscheidungsmechanismen in der EU seitens der Parlamente. Denn um ihre Rolle als Gesetzgeber, Kontrollinstanzen ihrer Regierungen und Haushaltsbehörden auszufüllen, müssen sich die Parlamente der 27 Mitgliedstaaten auch „in Brüssel“ einmischen und Gesetzgebungsverfahren sowie das Agieren „ihrer“ Regierungen im Blick behalten. Ich freue mich deshalb, bei den zweitätigen Beratungen als Mitglied des AFCO-Ausschusses die Linksfraktion im EU-Parlament zu vertreten und bin gespannt auf den Austausch mit den EU-Expert:innen der nationalen Parlamente.

Möglicherweise sehen wir uns dann am kommenden Wochenende, wie in den vergangenen Jahren, bei den Ostermärschen. Auch 2024 ist die Weltlage nicht sicherer geworden, im Gegenteil. Kriege bleiben traurige Realität, das Denken in militärischen Kategorien wird sogar wieder verstärkt zum von vielen Politiker:innen akzeptierten Mittel von Politik. Für den von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine ist nach wie vor kein Ende in Sicht, im Gegenteil. Zu den knapp 35 Milliarden Euro, die von der EU und ihren Mitgliedsstaaten bislang direkt für die »Unterstützung der ukrainischen Armee« gezahlt wurden, sind in dieser Woche weitere fünf Milliarden aus der – welch ein Euphemismus! – Europäischen Friedensfazilität zugesagt worden. Auf dem jüngsten EU-Gipfel in Brüssel berieten am Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschef:innen, wie weitere Gelder für die Verteidigung der Ukraine zur Verfügung gestellt und direkte Schritte auch für die Aufrüstung der Ukraine vorgenommen werden können. Offenbar wurde Einigkeit darüber erzielt, die Zinserlöse aus den insgesamt 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank, die in der EU angelegt sind und nach Kriegsbeginn eingefroren wurden, für die weitere militärische Unterstützung der Ukraine zu nutzen. Pro Jahr sollen diese sogenannten Assets drei Milliarden Euro abwerfen, die in erster Linie zur Bereitstellung von Munition genutzt werden sollen. Wie andererseits die in vielen EU-Mitgliedstaaten von sehr vielen Menschen geforderte Orientierung auf mehr politisch-diplomatische Anstrengungen hin zu einem Waffenstillstand und mittel- und langfristige Beendigung des Krieges aussehen könnte, war nicht zu hören aus dem Rats-Gebäude am Place Schuman, gegenüber von Kommission und Europäischem Auswärtigem Dienst. „Einen Draht“ zu Moskau zu finden, um auf eine Beendigung des Krieges hinzuarbeiten, scheint nicht zur politischen Agenda der EU- Staates- und Regierungschefs zu gehören. Das aber wäre neben militärischen und wirtschaftlichen Mitteln eine so notwendige Anstrengung zur wirksamen Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität und selbstbestimmten Entwicklung. Seit Monaten ist nichts von entsprechenden Initiativen zu erkennen, obgleich sich die EU gern als Gemeinschaft mit »soft power«, also Verhandlungsgeschick verkauft. Auf dem Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag stand die Frage einer nichtmilitärischen Krisenlösung noch nicht einmal auf der Tagesordnung.

Die EU-Gipfel-Runde forderte angesichts des zweiten Großkonflikts dieser Tage angesichts der dramatischen Notlage der Zivilbevölkerung in dem palästinensischen Gebiet eine sofortige humanitäre Feuerpause, um Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen und die Zivilbevölkerung versorgen zu können und einen nachhaltigen Waffenstillstand zu ermöglichen. Ebenso wird die bedingungslose Freilassung aller im Gazastreifen von der Hamas festgehaltener Geiseln gefordert. Das war eine etwas deutlicher als bislang von EU-Gipfeln gewohnte Kritik an Israels Krieg gegen die Hamas, aber es blieb den Ministerpräsidenten von Spanien, Irland, Slowenien und Malta vorbehalten, in einer eigenen Erklärung mit der Ankündigung der Anerkennung eines selbstständigen Staates Palästina auch einen konkreten politischen Beitrag für einen Weg aus der Sackgasse des Nah-Ost-Konflikts finden zu wollen. Und der belgische Ministerpräsident De Croo warf als amtierende EU-Ratspräsidentschaft Israel sehr deutlich vor, dass das Schaffen von einer Hungersnot niemals als Kriegswaffe zu akzeptieren sei und jegliche völkerrechtliche Regeln verletze. Im Klartext: er benannte damit das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen, noch dazu angesichts des Festhaltens Netanjahus an der Offensive gegen die Region Rafah, als Kriegsverbrechen. Leider schlossen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und viele andere Gipfelteilnehmer:innen dem nicht an. Obwohl erneut der brutale und terroristische Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober eindeutig und solidarisch mit den Menschen in Israel verurteilt und die unverzügliche Freilassung der festgehaltenen Geiseln als wichtigster unmittelbarer politischer Schritt gefordert wurden.

An Themen für die diesjährigen Ostermärsche mangelt es also nicht. Diese finden übrigens vom 28. März bis zum 1. April statt. Dabei sind es aber keineswegs nur die „klassischen“ Märsche oder Kundgebungen. Es gibt auch Fahrradtouren, Wanderungen und Friedensfeste. Was, wann und wo in Ihrer Region stattfindet, können Sie unter anderem auf der Homepage des Netzwerks Friedenskooperative nachlesen.

Und da Ostern vor der Tür steht, wünsche ich Ihnen, dass Sie ein paar schöne, entspannende, vielleicht auch aufregende Tage mit Ihren Lieben, im Freundeskreis oder einfach nur für sich verbringen können.

 

Ihr

Helmut Scholz

Auf der Tagesordnung

In dieser Woche liegt mein Fokus auf der COSAC-Konferenz, bevor es in die Osterfeiertage geht.

 

Montag, 25. März & Dienstag, 26. März 2024

Plenarsitzung der „COSAC“-Konferenz

  • Wer? Mitglieder der Parlamentsausschüsse für EU-Angelegenheiten aus allen nationalen Parlamenten der EU-27 sowie des Europäischen Parlaments
  • Wann? 25. März, 9:30 bis 16 Uhr & 26. März, 9 bis 13 Uhr
  • Wie? im Europäischen Parlament und im livestream

 

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