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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 136, 08. März 2024
Liebe Leser:innen,
schon in den letzten Ausgaben des Newsletters habe ich Ihnen von der Debatte um die anstehende EU-Erweiterung berichtet. Nachdem die Kommission im Dezember die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau empfohlen und Georgien den Kandidatenstatus anerkannt hat, hatte im Februar dann das Parlament nach längeren grundsätzlichen Beratungen der beiden federführenden Ausschüsse für Auswärtige bzw. für Konstitutionelle Angelegenheiten endlich seine Position beschlossen. Und auch, wenn ich immer versucht habe, mich kritisch-konstruktiv in die legislativen Verhandlungen sowie auch die öffentliche Debatte einzubringen: Der jetzige, politisch vornehmlich geo-strategisch betonte Ansatz greift zu kurz, denn wesentliche Gesichtspunkte des überaus hochkomplexen Erweiterungsprozesses scheinen zumindest gerade in der öffentlichen Debatte ausgeblendet zu sein - und damit auch für eine ernsthafte Beteiligung der Bürger:innen sowohl in der EU 27 als auch in den Kandidatenländern nicht ausreichend ausgestaltet zu sein. Soll aber der von den um Beitritt suchenden Staaten legitime und sicherlich in der gegenwärtigen Situation auch zügig zu vollziehende Erweiterungsprozess ergebnisorientiert, konstruktiv und positiv laufen, ist eine umfassende demokratische Einbeziehung der Bevölkerungen Voraussetzung für ein Gelingen und deshalb gerade auch von Seiten der Europäischen und nationalen Parlamente und anderer Institutionen, z. B. dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Sozial und Wirtschaftsausschuss auf EU-Seite unbedingt zu realisieren. In der vergangenen Woche habe ich daher für die Europäische Linksfraktion auch ein Event mit dem Titel „Beyond Geopolitics – Progressive demands for EU enlargement“ veranstaltet. Eine Aufzeichnung der sehr interessanten, viele Facetten einbringenden Panels können Sie sich hier anschauen. Am kommenden Dienstag wird die Kommission ihre Position zu den nötigen Reformen angesichts der Erweiterung vorstellen. Da stellen sich einige Fragen: Wie will die Kommission verhindern, dass es im Rahmen der Erweiterung zu Lohndumping kommt und Fachkräfte von Ost nach West abwandern? Wie sieht die künftige Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik aus, die ja jetzt schon vor dem Hintergrund ihrer weiteren Verschränkung mit umweltbewahrenden Produktionsstrukturen, des Klimawandels und auch der damit einhergehenden weltweiten Herausforderungen von Landwirtschaftspolitik mit Blick auf Ernährungssicherheit und -souveränität zu kämpfen hat? Wie kann und wird finanziell sichergestellt werden, dass prekäre oder im Falle der Ukraine durch den Krieg weitgehend zerstörte Regionen in den neuen Mitgliedstaaten eine Chance auf einen Wiederaufbau und eine klimagerechte Transformation bekommen? Wie kann und wird sichergestellt werden, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den Regionen auch in der EU vorangebracht werden kann, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Grund der Erweiterung nicht wenige Regionen zukünftig weniger oder gar keine Fördermittel mehr erhalten werden, weil sich die finanziellen Mittel mit der Erweiterung neu verteilen werden und nachvollziehbar in erster Linie den Regionen zugutekommen, deren Bedarf besonders hoch ist? Werden die Mitgliedstaaten bereit sein, zukünftig mehr Geld in den EU-Haushalt einzuzahlen oder vor allem EU-Eigenmittel zu generieren, um diese Fragen ernsthaft zu beantworten und so die Aufgaben bewältigen zu können? Oder besteht die Gefahr, dass Regionen der derzeitigen EU-Mitgliedstaaten wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, in Bulgarien, Rumänien oder auch Polen im Zuge der Erweiterung deutlich weniger oder keine finanzielle Unterstützung mehr bekommen werden? Das schon heute deutlich wahrnehmbare Stocken einer Angleichung der Lebensverhältnisse dürfte dann weiter bestehen bleiben und sich gar verschärfen. Wer also die Fortsetzung der Erweiterungsverhandlungen mit den Ländern des Westbalkans beschleunigen und konstruktiv für alle betroffenen Menschen in der EU 27 sowie in den Erweiterungsstaaten gestalten will, darf diese gesellschaftlichen Debatten nicht scheuen, sondern muss diese befördern und konkrete, nachvollziehbare und von den Menschen akzeptierte Schritte auf den Weg in diese Zukunft der EU (ein)bringen. Und mindestens genauso herausfordernd: Wie kann angesichts des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine, sowie angesichts anderer eingefrorener Konflikte in anderen Regionen Europas und zwischen auch beitrittswilligen Ländern sichergestellt werden, dass eine erweiterte EU in Frieden mit seinen Nachbarn auf dem Europäischen Kontinent leben kann? Wie kommen wir dahin? Ist das Ende des Krieges in der Ukraine nicht nur der Wunsch so vieler Menschen in der Ukraine und weit darüber hinaus, und unsere Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukraine nicht eine Vorbedingung auch für den erfolgreichen Beitritt des Landes zur EU und damit vielleicht auch eine Möglichkeit einen notwendigen Narrativwechsel zum Erreichen dieser Zielstellung zu erarbeiten? Die Antworten auf diese Fragen werden unser Zusammenleben auf Jahrzehnte hin bestimmen. Ich erwarte deshalb, dass die Kommission sich in ihrer Stellungnahme konkret und mit zeitlichen Vorgaben zu diesen Herausforderungen äußert. Und es sei hier schon mal angemerkt, dass mir zum Verdeutlichen der Fragen und der Haltung unserer Linksfraktion zur Kommissionsstellungnahme nur 1 Minute Redezeit zur Verfügung stehen wird. Aber ich bin überzeugt, dass diese Thematik künftig sehr weit oben auf der Agenda des Parlaments stehen wird, nicht nur vor dem Hintergrund der Europawahlen, sondern prinzipiell. Denn ich will eine zukunftsfeste Lösung und deshalb auch das aktive Engagement möglichst vieler Menschen in der EU 27 und den Beitrittsländern. Weil auch Brandenburg ganz direkt von den Auswirkungen der geplanten EU-Erweiterung betroffen sein wird, hat der Europaausschuss des Landtags Brandenburg die Änderung der EU-Verträge auf die Tagesordnung in der kommenden Woche gesetzt. Gut so. Ich bin zu diesem Tagesordnungspunkt als Gesprächspartner eingeladen und werde mich bemühen, einige Aspekte der Problemlage im Dialog mit meinen Kolleg:innen auf regionaler Ebene deutlich zu skizzieren und hoffe, dass wir uns gemeinsam zu möglichen oder besser noch zu in Angriff zu nehmenden Schritten auf den unterschiedlichen Handlungsebenen von EU-Governance verständigen. Auch im Handelsbereich tut sich so kurz vor Ende der Legislatur noch einiges. Ich hatte in der Vergangenheit schon über den Gesetzesvorschlag zu Zwangslizenzen berichtet. In der kommenden Woche wird die Verordnung nun im Plenum abgestimmt. Trotz zahlreicher Versuche meinerseits den Rechtsausschuss umzustimmen, wurde die Stellungnahme des Handelsausschusses ignoriert. Damit ist die Möglichkeit für Exporte (der INTA Ausschuss hat insbesondere in Bezug auf internationale Debatten aus den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie reagiert und sich bzw. die EU in die entsprechende Verantwortung genommen) nicht in die abzustimmende Textfassung aufgenommen worden. Hier zeigt sich eine kurzsichtige Politik, die dem grenzübergreifenden Charakter von Pandemien nicht gerecht wird. Um sicherzustellen, dass die EU während der nächsten Krise auch Drittländern zu Seite stehen kann, werde ich mich auf Plenarebene bemühen, die Kernanliegen des Handelsausschusses über Änderungsanträge in der Verordnung zu verankern. Hierbei hoffe ich auf bereite Unterstützung aus dem progressiven, aber nicht nur diesem sondern auch dem die Dimension dieser Frage erkennenden Lager. Außerdem soll im Eilverfahren die Zustimmung zum Protokoll zur Einbeziehung des grenzüberschreitenden Datenverkehrs - Teil des EU-Japan Wirtschaftspartnerschaftsabkommens - durch das Parlament gebracht werden. Nach einer Abstimmung im Handelsausschuss am vergangenen Donnerstag soll schon in der kommenden Woche das Plenum seinen Segen geben. Trotz breiter Zustimmung im Ausschuss, habe ich selbst große Bedenken bei diesem Protokoll. Sowohl der Europäische Datenschutzbeauftragte als auch Verbraucherschutzverbände sehen Datenschutz und Regulierungsfreiheit bedroht. Bedauerlicherweise wird es im Plenum keine Möglichkeit zur Aussprache geben, um diese Punkte zu diskutieren. Und noch ein Blick auf diese Woche über meinen unmittelbaren Verantwortungsbereich hinaus sei gestattet: Zur finalen Abstimmung kommt auch die AI-Gesetzgebung der EU (also die verschiedenen Aspekte dieser weltweit erstmaligen Regel setzenden Gesetzgebung zum Einsatz und zur Anwendung der künstlichen Intelligenz). Die Plenaragenda können sie wie immer hier abrufen und damit auch einplanen, ob sie die eine oder andere Debatte oder Abstimmung live im Webstream verfolgen wollen. Die kommende Woche wird also wieder mehr als abwechslungsreich und auch spannend. Mehr zu meinen anstehenden Terminen finden Sie weiter unten. Ihr Helmut Scholz |
Auf der Tagesordnung
Diese Woche kommen die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Plenartagung in Straßburg zusammen. Alle Debatten werden live übertragen. Hier einige Highlights aus meiner Sicht und einige Termine: Dienstag, 12. MärzAussprache zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz und zum Gesetz über künstliche Intelligenz
Dienstag, 12. MärzReformen im Vorfeld der Erweiterung und Überprüfung politischer Maßnahmen
Dienstag, 12. MärzAktueller Stand der Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
Mittwoch, 13. MärzUmsetzung und Ergebnisse der Kohäsionspolitik 2014-2020 in den Mitgliedstaaten
Donnerstag, 14. MärzAusschuss für Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik
Donnerstag, 14. MärzDas europäische Lieferkettengesetz: Fortschritt oder Flickenteppich?
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