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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 135, 01. März 2024
Liebe Leser:innen,
wir haben ein Wahlmanifest! Wir, das ist in diesem Falle die Partei der Europäischen Linken, kurz EL. Am vergangenen Wochenende haben die Abgesandten der inzwischen über drei Dutzend linker und links-grüner Parteien unter dem EL-“Dach“ in Ljubljana ein Wahlmanifest verabschiedet und ihren Spitzenkandidaten Walter Baier für die Europawahlen im Juni gewählt. Klar und wichtig dabei ist, dass sich die Europäische Linkspartei als Teil der Linken in Europa pro-europäisch positioniert. Viel zu oft wurde jahrelang in der Vergangenheit sehr heftig das instrumentelle Verhältnis der EL zum europäischen Integrationsprozess debattiert, über Abgrenzung und Abschaffung der EU quasi von außen, auch in der Differenz über die Handlungsebenen des politischen und gesellschaftlichen Wirkens der linken politischen Parteien. Die Wahlkonferenz in Ljubljana hat aber deutlich gemacht: Die linken Parteien stellen sich nicht abstrakt und instrumentell zur realen Entwicklung im EU-Binnenmarkt, zu den Fehlern und falschen politischen Entscheidungen, die das Projekt EU als solches gefährden, weil diese den Graben zwischen den Entscheidungsträger:innen in den EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten und den Alltagssorgen und -sichten der in der EU lebenden Menschen weiter zu vertiefen drohen. Stattdessen bringen sie viel deutlicher und erkennbar proaktiv ihre politischen Alternativen einer sozialen, ökologischen, demokratischen und friedlichen EU-Politik ein, vor allem aber sehen sie die Notwendigkeit, den historischen europäischen Einigungsprozess vor einer rechten Kaperung zu schützen. Denn es wäre schlicht und einfach langfristig von dramatischer Wirkung, würden künftig rechte Parteien maßgeblich auch im Europaparlament (in den nationalen Regierungen geschieht dies ja bereits in mehreren Ländern) über Politik und Gesetzgebung mitentscheiden. Im Wahlprogramm der AfD heißt es ja konkret: wir wollen eine andere EU bzw. einen losen Staatenverbund, in dem der Stärkere bestimmt, wie das Verhältnis zu den anderen europäischen Ländern und Völkern aussehen sollte. Das ist eine Entsolidarisierung und konterkariert auch die von A. Spinelli in seinem Manifest von Ventotene entwickelte Vision eines grenzüberschreitenden, solidarischen und friedlichen Zusammenlebens der Völker um gemeinsame Aufgaben lösen zu können. Und das ist immer konkret zu verorten: Insofern ist es gut, dass die EL jene Felder besetzen will, die von Rechtsparteien zum Schüren von Zukunftsängsten genutzt werden: Inflation, Wohnungsnot, soziale Abfederung des Klimaschutzes und ökologischer Umbau der Wirtschaft, Demokratie und Grundrechte. Und ja, es geht dabei auch um Krieg und Frieden und um neue Antworten für europäische Sicherheit. Dass mit Walter Baier, dem Präsidenten der Europäischen Linken, ein kompetenter Vertreter dieser Strategie zum Spitzenkandidaten des Bündnisses gewählt wurde, ist nur folgerichtig. Schließlich gehörte Walter, der seit Jahrzehnten in linken europäischen Strukturen zuhause ist, zuletzt als „Chef“ der linken europäischen Stiftung „transformEurope!“ der EL, zu den maßgeblichen Mitautor:innen des Programms. Trotzdem gestatte ich mir kritisch anzumerken: Ein gemischtes Doppel an der Spitze hätte den Aufbruch noch deutlicher gemacht. Und für die so notwendige Aufmerksamkeit sowohl für Programm als auch Initiativen der europäischen Linksparteien gesorgt. Über Persönlichkeiten, die auch über die nationalen Grenzen hinaus bekannt sind, verfügen gerade die starken Linksparteien in Europa allemal – ob nun in Slowenien, Frankreich, Spanien, Belgien oder auch in Deutschland. Wer in den letzten Wochen diesen Newsletter verfolgt oder auch meinen Artikel im nd gelesen hat, wird meine Gedanken zur anstehenden Erweiterung der Europäischen Union kennen: Während die EU sich einerseits selbst reformieren muss, um sowohl den Erwartungen der zukünftigen Mitgliedstaaten als auch den anstehenden Herausforderungen gerecht werden zu können, greift eine geopolitisch motivierte Erweiterung viel zu kurz und droht sogar, dem Europäischen Projekt zu schaden. Die letzte Plenartagung des Europaparlaments hat den Bericht der beiden federführenden Ausschüsse AFET (Auswärtige Angelegenheiten) und AFCO (Konstitutionelle Angelegenheiten) entgegen aller Versuche der europäischen Volkspartei (EVP) unverändert in der Ausschussfassung bestätigt. Und ja, ich hätte mir noch stärker eine Zustimmung gerade zu den sozialen und weiteren konkreten Aufgaben aufzeigende Aussagen, die wir als Linke versucht hatten einzubringen, gewünscht. Aber deutlich macht der Bericht allemal, dass es einer gewaltigen, unter aktiver Einbeziehung der Bevölkerungen der EU27 und der Beitrittsländer zu meisternden Arbeitsanstrengung bedarf, wenn dieser Prozess konstruktiv und zukunftsoffen gestaltet werden soll. Ein Scheitern durch vorrangige Konzentration auf geostrategische Erwägungen allein wäre Wasser auf die Mühlen der rechten sowie die vorrangig neoliberalen Konzepte verfechtenden Kräfte in den Mitgliedsstaaten. Dies würde auch das aktive Mittun der EU in ihrer Verantwortung für das Meistern der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN 2030 Agenda und eines konsequenten sozial-ökologischen Umbaus unserer Gesellschaften gefährden. Um über diesen Gedanken hinaus noch aktiver daran mitzuwirken, kritisch-konstruktive Perspektiven von links auf die Erweiterung zu entwickeln, habe ich daher für den kommenden Dienstag zu einer Konferenz unter dem Titel Beyond Geopolitics – Progressive demands for EU enlargement eingeladen! Die Idee ist, dass Politiker:innen der Linksfraktion im Europaparlament, aus den Kandidatenländern und gemeinsam mit Stimmen aus den Gewerkschaften und Wissenschaften darüber beraten, was dies 20 Jahre nach der letzten großen Erweiterungsrunde der EU eigentlich heißt. Wir werden auch die Erwartungen, Probleme, Kritiken und Zweifel angesichts der im Dezember letzten Jahres in der EU-Ratstagung beschlossenen Erweiterung besprechen und diskutieren, wie es nach der final beschlossenen Positionierung des Parlaments zur Erweiterung weitergehen könnte und wie sich auch die linken und progressiven Akteur*innen aufstellen sollten. Die Konferenz soll am 5. März zwischen 9.30 und 13.00 Uhr stattfinden. Wer sie von zu Hause aus verfolgen möchte, hat unter folgendem Link die Möglichkeit dazu: https://left.eu/events/beyond-geopolitics-progressive-demands-for-eu-enlargement/ Zum Abschluss noch kurz zu einem anderen Thema: Die 13. Ministerkonferenz der WTO ist ohne die geplanten Vertragsabschlüsse zu Ende gegangen. Trotz zweimaliger Verlängerung ist es nicht gelungen, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den vor allem Industriestaaten einerseits und den Entwicklungsländern andererseits - auch in ihrer wachsenden Heterogenität - zu überwinden. Aber vielleicht hat das Nichtzustandekommen eines alles übertünchenden, schönglättenden Kompromisses auch etwas Gutes. Deutlicher wird nun die Aufgabenstellung für die jeweils konkrete Positionierung aller nun 166 Mitglieder der WTO (Die Komoren und Ost-Timor wurden in Abu Dhabi in der WTO als neue Mitglieder - wiederum zwei LDC-Länder, also least developed countries - aufgenommen) hin zu einer regelbasierten, fairen handelspolitischen und wirtschaftspolitischen Kooperation und deren Verbindung mit auch nicht traditionellen handelspolitischen Herausforderungen des Klimawandels sowie den sozialen, menschenrechtlichen und umweltpolitischen Herausforderungen (mit dem Kampf um den Erhalt der Biodiversität als deren Kernstück). Mit unserer Parlamentarischen Konferenz und dem dort angenommenen Dokument haben wir jedenfalls sehr deutlich den Minister:innen der Verhandlungsdelegationen die Richtung gewiesen, die die Parlamente der WTO-Mitglieder für den Erhalt, die Reformen und die Neugestaltung einer fairen multilateralen Welthandelsstruktur künftig sehen. Nach Durchsicht der abschließenden Dokumente werde ich hier in einem nächsten Newsletter darauf zurückkommen.
Ihr Helmut Scholz |
Auf der Tagesordnung
Auch diese Woche ist reich gefüllt mit empfehlenswerten Veranstaltungen. An diesen Debatten können Sie online oder vor Ort teilnehmen:
Montag, 04. März2. Trilogverhandlung zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Erzeugnissen auf dem Unionsmarkt
Dienstag, 05. MärzKonferenz „Beyond Geopolitics – Progressive demands for EU enlargement“
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