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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 134, 27. Februar 2024
Liebe Leser:innen,
am Sonnabend jährte sich der Beginn des vom russischen Präsidenten Putin angezettelten Kriegs in der Ukraine zum zweiten Mal. Und wie im vergangenen Jahr muss ich an dieser Stelle konstatieren: Das Sterben hat nicht aufgehört, die Verwüstungen gehen weiter, das Leid nimmt kein Ende – übrigens auch bei den vielen russischen Familien nicht, die ihre Kinder in den Krieg schicken müssen. Allen Forderungen zum Trotz – nicht zuletzt von uns Linken aus dem Europaparlament –, gibt es nicht die geringsten Ansätze, um den Krieg sofort zu beenden und eine Konfliktlösung auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. Im Gegenteil: Möglicherweise ist die Ampel-Regierung in Berlin nun doch bereit, weitreichende Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Auch wenn die von den Unionsparteien geforderte Bereitstellung dieser Waffen im Bundestag abgelehnt wurde und im --– angenommenen – Antrag der Bundesregierung etwas verklausuliert von "weitreichenden Waffensystemen" die Rede ist. Aber selbst wenn es sich nicht um die Taurus-Marschflugkörper handeln sollte: Die Formulierung, mit weiteren und hochmodernen Waffen an Kiew sollten „gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors" möglich sein, lässt eher auf weiteres Blutvergießen und eine Verlängerung des Krieges als auf eine friedliche Konfliktlösung schließen. Dabei geht die Eskalation inzwischen weit über die Ukraine hinaus. Dass Katarina Barley, die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl und derzeitige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, gar eine Diskussion über europäische Atomwaffen angeschoben hat, lässt mich mit Erschrecken und Entsetzen zurück. In einer Zeit, in der offensichtlich fast nur noch in militärischen Sicherheitskategorien gedacht - und gehandelt – wird, ist dies ein Spiel mit dem Feuer. Ganz abgesehen davon, dass mit einem solchen Vorgehen einer der wenigen noch existierenden Verträge zur Rüstungsbegrenzung ausgehebelt würde: der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen. Dieser verpflichtet alle nicht-Atomwaffen-besitzende Staaten, solche Waffen nicht zu erwerben oder vorzuhalten. Trotzdem: Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, weiter auf einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine und eine Verhandlungslösung zu drängen. Ich denke, die vielen Demonstrationen und Manifestationen, die es rund um den zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns geben wird, sind eine gute Gelegenheit dafür. Werfen wir noch einen Blick auf die Schwerpunkt dieser Arbeitswoche. Als Teil einer Delegation des Handelsausschusses nehme ich seit dem Wochenende an der Parliamentary Conference on the World Trade Organization (PCWTO) teil – einem gemeinsamen Forum von Europäischem Parlament und der Inter-Parliamentary Union, das sich eine stärkere parlamentarische Mitarbeit in der Welthandelsorganisation (WTO) zum Ziel gesetzt hat. Diese tagt traditionell direkt vor der Ministerkonferenz der WTO, die am Montag in Abu Dhabi begonn. Der Höhepunkt der PCWTO ist die Verabschiedung eines Abschlussdokuments, in dem die Prioritäten der Parlamentarier:innen festgehalten werden – mit dem Ziel, ein Signal an die Ministerkonferenz zu senden. Die PCWTO ist ganz grundsätzlich der Versuch, Welthandel und diesen beeinflussende Entscheidungen zu demokratisieren und transparenter zu gestalten. Die Erwartungen an die Ministerkonferenz sind zugleich groß und klein. Einerseits möchte man an den Erfolg der letzten Konferenz von 2022 anknüpfen, der weithin als Beleg gesehen wurde, dass die WTO noch handlungsfähig ist. Es gab Verhandlungserfolge zum Beispiel bei Fischereisubventionen, Ernährungssicherheit oder dem sogenannten TRIPS waiver für Covid, mit dem Patente für die Impfstoffe zeitweise freigegeben wurden. Andererseits geben die Informationen zu den bevorstehenden Verhandlungen wenig Anlass, nennenswerte Ergebnisse zu erwarten. Der Appellate Body, die wichtigste Instanz im Streitbeilegungsverfahren der WTO, wird weiterhin von den USA blockiert. Außerdem wird es keine Erweiterung des TRIPS waivers geben, wie eigentlich in Genf 2022 festgelegt. Ebenso unwahrscheinlich wirkt eine Einigung zur Zollerhebung auf elektronische Übermittlungen. Einzig die Umsetzung der zweiten Phase des Abkommens zu Fischereisubventionen könnte beschlossen werden. Im Kern lässt sich der Mangel an Entscheidungsfähigkeit auf die teilweise diametral zueinander stehende Interessenlage der Mitgliedsstaaten zurückführen. Ein Weg aus dieser Pattsituation wäre sicher die Reform der veralteten WTO-Struktur sowie eine bessere Einbindung der Interessen von Entwicklungsländern. Doch die Mühlen mahlen langsam in der Welthandelsorganisation. Parallel zur Parliamentary Conference on the World Trade Organization wird dieser Tage in Straßburg darüber gestritten, wie es mit der EU im kommenden Jahrzehnt weitergehen soll. Denn nachdem die Kommission im Dezember die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau empfohlen und Georgien den Kandidatenstatus zuerkannt hat, finalisiert in dieser Woche auch das Parlament seine Position zur anstehenden Erweiterung. Der gemeinsam von Außen- und Verfassungsausschuss erarbeitete Bericht beinhaltet viele Punkte, die ich teile: Er betont sowohl die Wichtigkeit eines leistungsabhängigen Verfahrens als auch die Notwendigkeit, die EU selbst auf eine Erweiterung vorzubereiten. Beide sich gegenseitig bedingenden Prozesse müssen Hand in Hand gehen und in weitest möglicher Transparenz gestaltet werden. Erst vor kurzem habe ich im nd. über all die hier anzugehenden unerledigten Hausaufgaben geschrieben: Eine erweitert Union ohne Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat scheint kaum denkbar. Hingegen weiterhin sehr kritisch sehen wir die prioritär betonte geostrategische Ausrichtung der Debatte und somit auch des Berichts: Der EU-Beitritt eines Landes darf nicht zum geopolitischen Spielball verkommen! Dazu wird völlig versäumt, eine im Hinblick auf Krieg und Klimakrise nötige Anpassung der Kohäsionspolitik zu fordern, um besonders prekären Regionen eine Chance auf Wiederaufbau und Transformation zu geben. Es gilt nun, den historischen Reform- und Erweiterungsprozess gerecht zu werden, ohne eine Unterstützung einer rein geostrategischen Perspektive zum Ausdruck zu bringen. Als Schattenberichterstatter habe ich meiner Fraktion daher empfohlen, sich bei dieser Abstimmung zu enthalten. Vor dem Hintergrund dieser großen Herausforderungen blicke ich gespannt auf den Schlussspurt der Verhandlungen in Dubai und Straßburg und freue mich, Sie nächste Woche auf dem Laufenden zu halten. Ihr Helmut Scholz |
Auf der Tagesordnung
Diese Woche kommen die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Plenartagung in Straßburg zusammen. Alle Debatten werden live übertragen. Hier einige Highlights aus meiner Sicht:
Mittwoch, 28.02.2024Gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik der EU
Erweiterung und Vertiefung der EU
Donnerstag, 29.02.2024Handelsabkommen EU-Chile
Freitag, 01.03.2024Berichterstatter im Dialog: Reform der EU-Verträge
Dienstag, 05.03.2024Jenseits von Geopolitik: Progressive Bedingungen für die nächste EU-Erweiterung
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