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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 131, 2. Februar 2024
Liebe Leser:innen,

für die Pressevertreter:innen in Brüssel ist es ein fester Termin im Kalender: der alljährliche Neujahrsempfang unserer Delegation. Auch in diesem Jahr haben sich am vergangenen Dienstag zwei Dutzend Journalist:innen – von ARD bis Deutschlandfunk, von Salzburger Nachrichten bis "nd", von Blogger:innen bis dpa – zu dieser "Informationsbörse" eingefunden. Natürlich ging es in den vielen Einzelgesprächen mit uns Linke-Abgeordneten um den Blick auf aktuelle Entwicklungen und die eigenen Sichten dazu, um die Situation der Partei und unsere Strategie für die Europawahlen. Aber angesichts der wenigen verbleibenden Wochen dieser 9. Legislaturperiode auch sehr konkret um die noch anstehenden parlamentarischen Aufgaben.

FDP: Störfeuer gegen EU-Lieferkettengesetz

Ein Thema, zu dem ich von verschiedenen Journalist:innen angesprochen wurde, ist das EU-Lieferkettengesetz. Wurde es doch in der letzten Woche sehr plötzlich zu einem sehr intensiv diskutierten Thema – nicht zuletzt vielleicht auch durch die EU-weit harten Auseinandersetzungen um die Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im globalen Wettbewerb.

Im Zusammenhang mit den notwendigen Anpassungen EUropäischer Gesetzgebung entlang des selbst mitbestimmten Maßstabs vereinbarter internationaler Nachhaltigkeitsziele  und den somit notwendigen Veränderungen der regulatorischen Rahmenregelungen für die Ausgestaltung von Produktion, Absatz und Dienstleistungswirtschaft rückt das Verhältnis der länderübergreifenden Wertschöpfung und der Lieferketten zwischen den  Hauptproduzente, und Zulieferindustrien in den Fokus auch politischer Auseinandersetzung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, zwischen den politischen Verantwortlichen dafür in den Mitgliedsländern und in der EU in den Blick der öffentlichen und politischen Diskurse, Debatten und Entscheidungen.

Solche EU-Gesetze wie die „Richtlinie über Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ können ein wichtiges Instrument sein bzw. werden, international tätige Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, um die 17 Nachhaltigkeitsziele, die 2015 von den UNO-Mitgliedsstaaten aufgestellt wurden, umzusetzen. Im Kern geht es darum, Unternehmen entlang der gesamten Liefer- und Produktionskette dazu zu verpflichten, internationale Standards im Bereich der Umweltgesetzgebung, des internationalen Arbeitsrechts entlang aller ILO-Kernarbeitsnormen umzusetzen und damit inhumane und ausbeuterische Arbeitsbedingungen sowie umwelt- und klimaschädliche Praktiken zu verhindern. Sollten sie das nicht tun, sind Sanktionen, unter anderem zivilrechtlicher Art, vorgesehen. Dieser neue Schritt zwingt europäische Unternehmen Verantwortung für die Kontrolle und Organisation ihrer Produktion zu übernehmen und Rechenschaft abzulegen.

Über ein europäisches Lieferkettengesetz wurde seit Jahren verhandelt. Im Februar 2022 legte die EU-Kommission einen entsprechenden Richtlinienentwurf vor, die Mitgliedstaaten haben beraten, im vergangenen Dezember haben sich Rat, Kommission und Europaparlament auf eine endgültige Fassung geeinigt. Nächsten Freitag soll das Gesetz von den Regierungen der Mitgliedstaaten schlussendlich bestätigt werden.

Besser: Sollte entschieden werden. Denn seit Monaten machen große und mittelgroße Unternehmen gegen das Lieferkettengesetz mobil. Und es ist abermals die deutsche FDP, die sich als deren Sprachrohr geriert und in dieser Woche ihr Veto in der Bundesregierung angekündigt hat. Damit müsste sich Deutschland bei der Schlussabstimmung im Rat enthalten – was zu einem Scheitern des Gesetzes führen könnte.

Das Vorgehen der FDP scheint Bände zu sprechen, Deutschland und die EU dürften ihren Zielen einer starken und internationalen Wettbewerbsfähigkeit nicht den Schutz der Menschenrechte und die Verantwortung für die Umwelt opfern. Das ist die ordnungspolitische Rolle rückwärts aus dem 21. Jahrhundert. Deutlicher lässt sich wohl neoliberales Denken nicht abbilden: in den letzten Jahrzehnten erstrittene Menschen- und Arbeitsrechte, der Schutz von Umwelt und Ressourcen, die Ächtung von Zwangs- und Kinderarbeit – all das scheint die angeblich Liberalen in ihrer Rolle als Wirtschaftslobbyisten nicht zu interessieren.

Ich erwarte eine ganz klare Ansage von Bundeskanzler Scholz von der SPD und seiner Außenministerin Baerbock von den Grünen: Sollte die Ampel-Regierung abermals in einer solch zentralen europapolitischen Frage, die weit über die EU hinaus die internationalen, rechtlich verbindlichen, regelbasierten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen betrifft, vor der FDP einknicken, dürfte das internationale Renommee Berlins endgültig zerstört sein. Und das wäre mehr als ein herber Rückschlag für die anstehende Verantwortungsübernahme der EU für eine moderne, Missstände gerade in diesem Bereich beseitigende Umgestaltung der Wirtschafts- und Handelspolitik der EU und damit auch international Zeichen für das Umdenken und neues Handeln zu setzen. Am kommenden Mittwoch will sich die Ampel-Regierung in Berlin endgültig positionieren. Ich hoffe, sie entscheidet sich richtig.

Reformbedarf bei der Welthandelsorganisation

Auch eine andere zentrale, ebenfalls mit den Lieferketten, internationaler Werschöpfung und dem Verhältnis von Wirtschafts-und Handelspartnern zueinander zusammenhängende Frage internationaler Handelspolitik wird uns in der kommenden Plenarwoche auch in Strasbourg beschäftigen. Das Parlament stimmt seine Position zu der am 26. Februar in Abu Dhabi beginnenden, nunmehr 13. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO ab. Nach vielen Jahren relativ erfolgloser Verhandlungsrunden gibt es seit der letzten Konferenz im Juni 2022, die vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie stattfand, wieder Impetus in den Gesprächen. In der Parlamentsposition werden die Prioritäten der Abgeordneten für die Verhandlungen ebenso fixiert wie die Erwartungen an die Ergebnisse.

Ein Kernelement der diesjährigen Resolution soll die „Wiederbelebung“ des WTO Appellate Bodys sein – ein Gremium der Streitbeilegung, das über Einsprüche zu vorhergegangen Urteilen entscheidet und durchaus ein Kernelement für das Funktionieren des Welthandels im modernen Kapitalismus. Durch die Blockadehaltung der USA ist dieses wichtige Instrument derzeit außer Funktion.

Ich erwarte keinen Durchbruch, verbirgt sich doch hinter dieser Aushebelung international ausgehandelter Mechanismen und Instrumente für das Funktionieren des Welthandels eigentlich die Absage an ein Grundprinzip für das Funktionieren der WTO: sind wirklich alle Mitglieder der WTO gleichberechtigt und wie kommen Kompromisse und Regelungen zustande, die von wiederum wirtschaftlich sehr ungleich entwickelter Ländern gemeinsam erarbeitet und vereinbart werden müssen. Und werden solche dann abgestimmten Standards und Kriterien eingehalten und umgesetzt. Deshalb dürfte ein zweites alle Verhandlungen und Gespräche durchziehenden „horizontales“ Thema ebenfalls unter verschärfter Aufmerksamkeit stehen: wie kann der anstehende und wirklich dringend in Angriff zu nehmende Prozess zur Modernisierung der WTO vorangetrieben werden.  

Für mich und viele andere gerade linke Akteure ist es wichtig, dass die wirtschaftliche und soziale Realität vieler Länder im sogenannten Globalen Süden, die Interessen der Menschen in den Entwicklungsländern nicht hintenangestellt werden, sondern ihre Sichten, Erwartungen, Forderungen und Vorschläge auch für den Umbau der weltwirtschaftlichen Beziehungsgeflechte ebenso wie ihre Bedenken und gegenüber dem aktuellen System konstruktiv bei einer Erneuerung miteinbezogen werden. Leider verpasst der Resolutionsentwurf des Parlaments diesen Aspekt.

Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Agenda in der kommenden Woche ist die Abstimmung zum sogenannten Sustainable Investment Facilitation Agreement mit Angola (SIFA). Es ist das erste Abkommen dieser Art, das die EU abschließt. Auch wenn es durchaus positive Aspekte gibt wie das Thematisieren stärkerer Bemühungen, Arbeitnehmer:innen- und Umweltrechte umzusetzen, sollte die schön formulierte „Nachhaltigkeit“ im Titel des Abkommens nicht über die bestehenden Probleme hinwegtäuschen.

Ein Kernthema meiner Kritik: Bei der Investitionsförderung wird nicht zwischen klimaschädlichen und klimafreundlichen Investitionen unterschieden. Und es bleibt hinter den entsprechenden Forderungen und konkreten Vorschlägen des Europaparlaments zur Neugestaltung der Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen der EU und den afrikanischen Ländern von 2022, unmittelbar nach dem EU-Afrika-Gipfel mit dessen Verpflichtung zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe erarbeitet, doch weit zurück. Und betrifft ja auch in gewissem Maße die energiepolitischen Vorhaben zwischen den verschiedenen afrikanischen Staaten und der EU 27, die handelspolitischen Planungen und eine stärkere Eigenfokussierung wie z. B. auf das weitere Vorantreiben der AfFTCA – der afrikanischen Freihandelszone – und die Reflektion der sich in der so jungen Bevölkerung dort spannend entwickelnden gesellschaftlichen Debatte um die eigene politische und wirtschaftliche Zukunft.

Ja, es ist nicht zu bestreiten, dass viele Länder im Globalen Süden Investitionen brauchen, aber es ist eben nicht mit den Zielen der EU zu vereinbaren, wenn die Extraktion von Rohstoffen nach Logiken des 19. und 20. Jahrhunderts im Prinzip auch durch solche Abkommen wie dem SIFA erleichtert wird. Ein Greenwashing von Abkommen nützt niemandem. Stattdessen muss die EU anfangen, ihre Klima- und Investitionspolitik kohärenter auch in den Aushandlungen solcher Abkommen einzubringen und eigen Verpflichtungen dahingehend einfließen zu lassen und Verantwortungsübernahme konkret zu gestalten.

Geschlechtergerechtigkeit – auch in den Parlamentsausschüssen?

Ein Thema liegt mir noch am Herzen, um dass ich mich auch in den verbleibenden Wochen der Legislatur weiter bemühen werde – auch wenn es diese Frage bislang nicht ins Plenum geschafft hat: die geschlechtergerechte Verteilung der Sitze in den Parlamentsausschüssen. Zwar hat es in der Working Group zur Geschäftsordnung (Rules of Procedure) keine Einigung dazu gegeben. Ich gebe aber nicht auf – und werde in den verschiedenen Arbeitsgruppen des Parlaments diese Frage immer wieder auf den Tisch bringen. Das Thema muss in den Köpfen und in der Debatte bleiben.

Und welche anderen Themen in der kommenden Woche bereits auf dem Tisch liegen, lesen Sie wie stets unten.

Ihr

Helmut Scholz

Auf der Tagesordnung

Diese Woche kommen die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Plenartagung in Straßburg zusammen. Alle Debatten werden live übertragen. Hier einige Highlights aus meiner Sicht:

Dienstag, 06.02.2024

EU-Gipfel und Hilfen für die Ukraine

Mittwoch, 07.02.2024

Dialog für eine Landwirtschaft mit fairen Einkommen

Bekämpfung von Antisemitismus und antimuslimischem Hass

Verhaftungswelle gegen Oppositionelle in Belarus

Donnerstag, 08.02.2024

13. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO)

 

Schon vormerken: Dienstag, 05.03.2024

Jenseits von Geopolitik: Progressive Bedingungen für die nächste EU-Erweiterung

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