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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 125, 8. Dezember 2023
Liebe Leser:innen,

sicher haben Sie es auch mitbekommen: haben Sie am gestrigen Sonntag haben wir den Internationalen Tag der Menschenrechte begangen. Denn 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der UNO verabschiedet – in Erinnerung daran wird jedes Jahr am 10. Dezember der Menschenrechtstag begangen.

Das wichtigste Menschenrecht, das auch in der Erklärung von 1948 so hervorgehoben wird, ist: Frieden. Und darum ist es im Dezember 2023 schlecht bestellt. Der Ukraine-Krieg geht bald in sein drittes Jahr, eine politische Lösung in Richtung Frieden ist nicht absehbar – auch wegen der Politik der EU, die wie die USA eine Unterstützung der Verteidigung der Ukraine als souveränem Staat vorrangig oder ausschließlich in Waffenlieferungen und „Kriegsertüchtigung“ sieht – und einen notwendigen Narrativwechsel, der politisch-diplomatische Schritte erst ermöglichen würde, also auch Verhandlungen, erschreckenderweise nicht erkennen und vermissen lässt.

Im Nahen Osten eskaliert der Konflikt – nach dem schrecklichen und durch nichts zu rechtfertigenden Hamas-Terrorüberfall trägt nun die palästinensische Zivilbevölkerung das größte Leid durch die fortgesetzten israelischen Angriffe und die Strategie der Hamas, die sie auch für ihre politischen Ziele instrumentalisiert.  Auch in diesem Falle ist die Diplomatie „des Westens“ weit hinter ihren Möglichkeiten geblieben: Das bereits 2002 gegründete Nahost-Quartett aus USA, EU UNO und Russland existierte praktisch nur auf dem Papier; eine Konfliktbeilegung oder gar die Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina wurden nicht vorangetrieben.

Auch in anderen Weltregionen schwelen Konflikte weiter oder brechen neu auf oder deuten sich an, ob nun auf dem afrikanischen Kontinent, in Südasien oder jüngst in Südamerika. Und sie bleiben aus politischer Verantwortungsnahme und medialer Vermittlung weitgehend ausgeblendet. So nimmt es nicht Wunder, dass das Friedensforschungsinstitut SIPRI in dieser Woche einen massiven Anstieg der weltweiten Rüstungsausgaben für das kommende Jahr prognostiziert hat.

Noch einmal auf die Entwicklungen in der Ukraine und die Beziehungen zur EU geblickt: Auf ihrem planmäßigen Gipfeltreffen Ende kommender Woche werden die EU-Staats- und Regierungschefs über die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Kiew, als auch mit Chişinău und Tbilissi und die Intensivierung der Verhandlungen mit den Ländern des sogenannten Westbalkan entscheiden. Ja, ich finde es richtig, sowohl der Ukraine als auch Moldau eine Beitrittsperspektive aufzuzeigen.

Aber ebenso habe ich wiederholt klargemacht, dass für einen EU-Beitritt echte und belastbare Fortschritte in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Medienfreiheit und bei anderen Grundrechten ausschlaggebend sein müssen. Es geht um die gesamte Komplexität der daraus folgenden Umbauprozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der beitrittswilligen Länder - im Dialog mit ihren Bevölkerungen. Die Menschen müssen nicht nur wissen, was das für sie im Alltag bedeutet, welche mittel- und langfristigen Folgerungen damit verbunden sein werden, sie sind aktiv in die Verhandlungsführung unter Transparenz darüber sowie in die Entscheidungsfindungen einzubinden.

Denn diese neue Erweiterungsrunde – gerade angesichts der gegenwärtig komplizierten Verhältnisse mit dem andauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine, dem Konfliktpotential Moldau und dem abgetrennten Gebiet Transnistrien, den abgetrennten „Republiken“ Südossetien und Abchasien von Georgien oder auch das Verhältnis Serbien- Kosovo - wird erhebliche politische Bereitschaft und Vermögen zur belastbaren dauerhaften Konfliktbeilegung durch die Länder selbst aber auch der EU während der Verhandlungen erfordern. Und diese Prozesse brauchen vor allem eine demokratische, alle Kräfte einbeziehende Inklusivität. Auch für die Ukraine, Moldau und Georgien wird deshalb gelten: Die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen ist keine Vorentscheidung, sondern nur ein erster Schritt in Richtung EU.

Was von Anfang an unbedingt berücksichtigt und nicht vergessen werden darf: Die EU selbst hat damit eine ganze Reihe von Punkten im Aufgabenheft. Denn es ist offensichtlich, dass eine Erweiterung auf der bisherigen vertraglichen Basis nicht möglich ist. Auch deshalb haben wir mit unserem kürzlich vom Europaparlament mehrheitlich angenommenen Legislativen Initiativbericht zur Reform der EU-Verträge bewusst den Artikel 48 mit Einberufung eines Konvents aktiviert und auf diese Selbstbefähigung der EU zur weiteren Erweiterung gedrängt – ich habe Ihnen vor zwei Wochen im Newsletter ausführlich darüber berichtet.

Nicht nur ich hatte erwartet, dass der EU-Gipfel am 15. Dezember auch seine Antwort zu dem Artikel 48 Verfahren geben und sich mit den weitreichenden Aspekten der Vertragsveränderungen beschäftigen wird. Das wird so – nach Informationen der spanischen Ratspräsidentschaft – nicht der Fall sein können, weil gerade auch Deutschland nicht bereit war, sich im Allgemeinen Rat am Vorabend des Gipfels zu positionieren.

Es bleibt also die Aufgabe, nicht locker zu lassen, denn die vertraglich notwendige Antwort kann in dieser Legislativperiode nur noch während des Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs im März – dann unter belgischem Vorsitz - gegeben werde. Aber diese Verzögerungstaktik kann nicht positiv aufgehen: die Bürger:innen der EU 27 erwarten noch vor den Europa-Wahlen konkrete Antworten, wie ihre entsprechenden Empfehlungen aus der Zukunftskonferenz umgesetzt werden sollen mit konkretem Zeitplan und inhaltlich definierter Agenda und zugleich bedeuten die Erweiterungsplanungen entsprechenden rechtzeitigen Strukturreformen auch der EU – auf primärrechtlicher Grundlage. Auf der Basis unserer Parlamentsentscheidung werde ich mich in den nächsten Monaten weiter sehr nachdrücklich dafür einsetzen, dass diese notwendigen Vertragsrevisionen in Wahrung einer auch weiter zu stärkenden demokratischen Verfasstheit der Integrationsprozesse Realität werden.

Werfen wir noch einen Blick auf die heute beginnende Tagungswoche. In Straßburg wird das Thema Zukunft Europas, und zwar erneut in Form des Wahlrechts, auf der Tagesordnung stehen. Konkret geht es um das Anliegen des Europäischen Parlaments, den Rat noch in dieser Wahlperiode zu einer Überarbeitung des Wahlrechts zu bewegen. Der letzte Vorschlag des EP zur Reform des EU-Wahlrechts sah u. a. die Schaffung eines unionsweiten Wahlkreises (transnationale Listen), eine Reform des Spitzenkandidatenverfahrens für die Wahl des Kommissionspräsidenten und einen einheitlichen europäischen Wahltag vor. Dieser Vorschlag wird allerdings weiterhin vom Rat blockiert.

Der nun vorgelegte Bericht bekräftigt diese Forderungen. Insbesondere in Bezug auf das Spitzenkandidaten-Verfahren wiederholt das EP seine Forderung, dass die Nominierung zunächst vom EP vorgeschlagen und dann vom Europäischen Rat gebilligt wird, um so das in Artikel 17 EU-Vertrag vorgesehene Verfahren umzukehren. Um dies zu erreichen, ohne die Verträge ändern zu müssen, schlägt der Bericht eine "interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Parlament und dem Europäischen Rat über das System der Spitzenkandidaten" und eine "legislative Vereinbarung" zwischen den Spitzenkandidaten, den Fraktionen und den mit ihnen verbundenen europäischen politischen Parteien vor, um sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu einigen.

Eine Reform und echte Europäisierung des Wahlrechts wäre natürlich zu begrüßen – das Parlament bleibt daher bei seiner grundsätzlichen Richtung. Die Mitgliedstaaten müssen ihre nationalen hier, also gerade machtpolitisch begründeten Vorbehalte im Sinne der Demokratisierung des EU-Projekts überwinden - und der Rat muss endlich liefern.

Am Dienstag wird im Plenum über einen Bericht zu den EU-China-Beziehungen gesprochen. Allerdings schlägt der Bericht die üblichen Töne von „de-risking“ und strategischer Autonomie an und zeichnet kaum Perspektiven für die gegenseitig vorteilhaften Beziehungen einerseits, und für die gemeinsame Bewältigung der globalen Herausforderungen andererseits auf.

Vor dem Hintergrund des am Donnerstag und Freitag stattgefunden Gipfeltreffens zwischen der Kommissionspräsidentin von der Leyen und dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping – es war das erste gemeinsame in Persona Treffen der aktuellen Kommission – müsste dieser Jahresbericht der liberalen Abgeordneten Hilde Vautmans, von der niederländischen Partei Open VLD, eigentlich noch einmal auf den Prüfstand. Und es bedarf sicherlich gründlicher Diskussionen in der Plenardebatte. Für die Linksfraktion hat der Koordinator für unsere Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, M. Pineda von der spanischen I.U. im nationalen Parteienbündnis Sumar Redezeit.

Auf der Tagesordnung des Plenums steht ebenso der Jahresbericht 2023 zur künftigen Kooperation mit den USA. Allerdings scheinen die EU-US-Beziehungen durch die Reden und Dokumente oft besser, als sie praktisch sind. Nach dem effektiv gescheiterten Gipfel am 20. Oktober gibt es keine klaren Anzeichen, ob die EU und USA sich auf eine nachhaltige Lösung zu Zöllen auf Stahl und Aluminium einigen werden.

Gleichermaßen hängt das Abkommen zwischen der EU und den USA zu kritischen Rohstoffen in der Schwebe, das ja als Basis für eine stärkere Resilienz der EU-Industriepolitik in den internationalen Wertschöpfungs- und Lieferkettenketten und als ein weiterer „Richtwert“ für entsprechende Verträge mit Drittstaaten durch die EU-Kommission interpretiert wird. Gepaart mit den sehr widersprüchlichen gesellschaftlichen Entwicklungen auf der anderen Seite des Atlantiks und einer von vielen politischen Beobachter:innen für möglich gehaltenen Wiederwahl Donald Trumps zum Präsidenten gibt es also viele Baustellen in den Beziehungen.  

Ein weiteres wichtiges Thema: Nachdem am 13. November ein Kompromiss zum Critical Raw Materials Act im Trilog gefunden wurde, kommt dieser nun in der kommenden Plenarwoche zur Abstimmung. Durch eine Reihe von Maßnahmen soll die Versorgung der EU mit kritischen Rohmaterialien gesichert werden, die für die Energiewende nötig sind. Einerseits sollen interne Maßnahmen wie Recycling und EU-interner Abbau von Rohstoffen externe Abhängigkeiten reduzieren. Andererseits sollen Lieferketten von Rohstoffen durch die Bildung von „Clubs“ und eine allgemeine Diversifizierung robuster werden.

Zwar sind die kritischen Rohstoffe ein unerlässlicher Baustein für eine post-fossile Wirtschaft, aber ich sage ganz deutlich: die Umwelt- und Sozialstandards dürfen in der Übergangsphase nicht vernachlässigt werden. Und es darf keine aus den Zeiten kolonial- und halbkolonialpolitisch geprägter Traditionen und in der europäischen Wirtschaftsaufschwünge-Phase fortgeführte eurozentristisch dominierte Praxis in den extraktiven Industrien fortgesetzt werden. Und zu dieser Realität gehört: Zu oft bleibt das schöne Wort, in der Sache aber machen EU-Politik und die treibenden industriepolitischen Akteure dennoch ihre Interessen und deren Absicherung zum Kriterium des Handel(n)s Hier zeigt das erreichte Ergebnis Schwächen.

Eine nachhaltige Energieproduktion muss letztlich auch kurzfristig für Mensch und Natur funktionieren. Das wird ja auch mit Blick nach Dubai gerade bei der der COP 28 verhandelt. Aber dazu dann im nächsten Newsletter - nach Abschluss der letzten Plenarwoche des EP 2023 und der Verhandlungen der COP 28 - mehr von mir.  

Weitere lohnenswerte Terminhinweise finden Sie wie stets unten.

Ihr

Helmut Scholz

Auf der Tagesordnung

Diese Woche kommen die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Plenartagung in Straßburg zusammen. Alle Debatten werden live übertragen. Hier einige Highlights aus meiner Sicht:

 

Montag, 11. Dezember 2023

Europawahlen 2024

Geoblocking und digitaler Binnenmarkt

 

Dienstag, 12. Dezember 2023

Verleihung des Sacharow-Preises

  • Posthume Verleihung des Preises an Jina Mahsa Amini und die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ im Iran

  • Wann? Dienstag, 12.12.2023 ab ca. 11:30 Uhr

  • Wie? Verfolgen Sie die Verleihung live im Webstream.

Beziehungen zwischen der EU und den USA 

  • Aussprache im Plenum des Europäischen Parlaments mit Helmut Scholz und Emmanuel Maurel für The Left  

  • Wann? Dienstag, 12.12.2023 ab ca. 19:30 Uhr

  • Wie? Verfolgen Sie die Verleihung live im Webstream.

 

Mittwoch, 13. Dezember 2023

Debatte zum Gipfel des EU-Rats am 14./15. Dezember

Übergriffe gegen belarussische Politiker und Aktivisten

Parlamentarische Untersuchung von Frontex

  • Aussprache im Plenum des Europäischen Parlaments mit Cornelia Ernst für The Left

  • Wann? Mittwoch, 13.12.2023 ab ca. 20:00 Uhr

 

Donnerstag, 14. Dezember 2023

Ergebnisse der UN-Klimakonferenz 2023 in Dubai

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