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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 119, 20. Oktober 2023
Liebe Leser:innen,
lassen Sie mich diesen Newsletter mit einem Rückblick auf das vergangene Wochenende beginnen. Ganz konkret: mit den Parlamentswahlen in Polen. Ich sehe im Ausgang der Abstimmung durchaus einen Hoffnungsschimmer. Sollten die Oppositionsparteien, die einen pro-europäischen Wahlkampf geführt haben, in Zukunft die polnische Regierung stellen, so hat die Europäische Union zumindest aus Polen hoffentlich keine weiteren Angriffe mehr von rechts zu befürchten. Denn wir beobachten in der EU das Aufkommen politischer Kräfte, die für die Lösung so vieler komplexer Herausforderungen und Probleme eher auf nationale Lösungen in ihren Ländern setzen und damit die erforderlichen gemeinschaftlichen und solidarischen Anstrengungen für die dringend benötigten Reformen gravierend behindern. Von rechtsnationalistischen Parteien, die auch noch auf Hass und Abgrenzung setzen, ganz zu schweigen. Aber zugleich wurde in unserem Nachbarland sichtbar, dass der antideutsche und antieuropäische Wahlkampf der nationalpopulistischen PiS-Partei und das Schüren von Angst vor Geflüchteten die Polarisierung der polnischen Gesellschaft weiter zementiert hat. Denn viele Menschen haben sich dem Kurs von PiS entgegengestellt. Und besonders gut finde ich, dass auch die Schwesterpartei von DIE LINKE, Razem, zugelegt hat. Wenn die pro-europäische Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk gemeinsam mit ihren Partnern die Regierung stellen kann, stehen damit große Aufgaben vor ihr. Allerdings wird bis dahin noch einige Zeit vergehen. Denn die PiS ist ja doch stärkste Partei geworden, und Erfahrungen zeigen, dass die Ultrakonservativen alle Mittel in Bewegung setzen werden, um einen Regierungswechsel zu verhindern, zumindest aber zu verzögern.
Debatte um Nahost – auch in der EP-Linksfraktion Bestürzende Nachrichten erreichen uns aus Nahost. Der blutige Konflikt dort mit all seinen schrecklichen Folgen für die Zivilbevölkerung tobt weiter – ebenso übrigens wie der Krieg in der Ukraine, der angesichts der Eskalation zwischen Israel und der Hamas zumindest medial in den Hintergrund zu geraten droht. Natürlich haben wir in dieser Plenarwoche auch im Europäischen Parlament über die Hamas-Terrorangriffe und die Reaktion Israels darauf debattiert und eine Resolution angenommen. Meine Fraktionskolleg:innen Martina Michels, die Mitglied der Israel-Delegation des EP ist, Cornelia Ernst und Emmanuel Maurel von der französischen republikanisch-sozialistischen Linken und ich haben mit weiteren 8 Abgeordneten entgegen der Mehrheitsposition unserer Fraktion im Europaparlament der gemeinsamen Entschließung des Europaparlaments „über die verabscheuungswürdigen Terroranschläge der Hamas gegen Israel, das Recht Israels, sich im Einklang mit dem humanitären und internationalen Recht zu verteidigen, und die humanitäre Lage in Gaza“ zugestimmt. Denn das terroristische Massaker der Hamas vom 7. Oktober an Menschen in Israel kann man nicht relativieren. Es gibt keine wahrhaftige Erzählung aus der konfliktreichen Geschichte des Nahost-Konfliktes, die das Handeln der Hamas legitimiert. Sie ist eine radikal-islamistische Organisation, die die Auslöschung Israels zum Ziel hat und damit allen friedlichen Perspektiven von Palästinenser:innen massiv schadet und alle Möglichkeiten einer gewachsenen Dialogbereitschaft und Vertrauensbildung zerstört. In der gemeinsamen Resolution des Parlaments wird bei der Verurteilung der Hamas eine klare Sprache in drei essentiellen Punkten gesprochen, die wir vier Abgeordnete vollumfänglich teilen: Die Angriffe der Hamas werden als terroristische Akte verurteilt, zugleich wird die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts Israels bekräftigt. Ebenso wird an die EU-Kommission und die Regierungsvertreter:innen im Europäischen Rat appelliert, in der Konfliktlösung die Unterstützung der Bevölkerung, die im Gazastreifen lebt und derzeit vor einer humanitären Katastrophe steht, bei allen diplomatischen Bemühungen vornan zu stellen. Die gemeinsame Resolution fordert von der israelischen Regierung die Wahrung des humanitären Völkerrechts ein und appelliert an Ägypten, den Zugang zum Gaza-Streifen für internationale Hilfe sofort zu ermöglichen – was inzwischen zumindest teilweise erfolgt ist. Die weitere Unterstützung für die palästinensische Autonomiebehörde durch die EU wurde finanziell verdreifacht, was wir ebenso begrüßen. Und wir setzen uns ganz ausdrücklich dafür ein, dass dem Antisemitismus einerseits und der Dialogverweigerung gegenüber Palästinenser:innen andererseits der Nährboden entzogen wird. Ich bin überzeugt, dass wir uns mit unserer Abstimmungsentscheidung der historischen Verantwortung stellen, das Existenzrecht Israels zu garantieren und zugleich politisch Brücken zu bauen – und so letztlich dazu beitragen, den Weg zu einer friedlichen Zweistaaten-Lösung wiederzueröffnen. Die letzte Woche hat wie lange nicht den Oslo Prozess, das Zusammenleben von Israelis und Palästinenser:innen in zwei Staaten in den Grenzen von 1967 und Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt und die Notwendigkeit betont, dass die EU und alle Mitgliedstaaten, allen voran auch Deutschland, endlich konsequenter für den dauerhaften Frieden in Nahost aktiv arbeiten müssen. Die staatliche Anerkennung Palästinas wäre ein Schritt in diese Richtung. Dabei ist nach unserer Ansicht vor allem die UNO gefordert, die alles unternehmen muss, den Frieden im Nahen Osten für alle Seiten endlich voranzubringen.
Freihandelsabkommen mit Neuseeland: Licht und Schatten Sicher wird der Nahostkonflikt in den nächsten Wochen weiter auf der Agenda des Europaparlaments stehen. Aber ebenso all die geplanten Themen und jene, an denen wir bereits seit geraumer Zeit arbeiten und zu denen in der kommenden Woche in den Ausschüssen Beschlüsse gefasst werden. Dazu gehört in der kommenden Woche am Dienstag eine Doppelabstimmung zu Neuseeland. Einerseits wird im Handelsausschuss über seine Stellungnahme für die Ratifizierung des Freihandelsabkommens (FTA) mit Neuseeland abgestimmt, die dann mit der Abstimmung durch das Parlamentsplenum im November erfolgen wird. Andererseits wird über eine nicht-bindende Begleitresolution abgestimmt, die ebenfalls der INTA-Ausschuss entworfen hat. Insgesamt ist festzuhalten, dass das FTA mit Neuseeland einige Verbesserungen gegenüber anderen Handelsabkommen beinhaltet, wie z. B. die Sanktionierbarkeit von Verstößen gegen das internationale Arbeitsrecht oder die Pariser Klimavereinbarungen. Diesen Fortschritt begrüßen wir als Linke natürlich. Allerdings ist die öffentliche Wahrnehmung auch dieses Freihandelsabkommens oft zu positiv, denn viele weitere Aspekte im Abkommen, auch im sogenannten Nachhaltigkeitskapitel, sind nicht mit Durchsetzungsmechanismen versehen. Das Abkommen ist also ein wichtiger Schritt in Richtung einer Veränderung der alten Freihandelslogik, aber es ist noch ein weiter Weg bis hin zu Abkommen für fairen Handel und Zusammenarbeit, in denen das gemeinsame Arbeiten der vertragschließenden Parteien an einer Veränderung der Bedingungen für Produktion und Konsumtion innerhalb der Wachstumsgrenzen unseres Planeten durch neue Standardsetzung und Einführung von konkreten Bemessungskriterien für Fortschritt im Dienste von Umweltschutz und sozialen wie politischen Menschenrechten aller Arbeitnehmer:innen in der Realwirtschaft, in Handel und im Dienstleistungssektor vorangebracht wird.
Nachholbedarf bei Verpflichtung von Unternehmen auf Menschenrechte Voran geht es beim Prozess zur Ausarbeitung eines rechtsverbindlichen Instruments (LBI) zu Wirtschaft und Menschenrechten. Dieser begann vor fast einem Jahrzehnt mit der Annahme der Resolution 26/9 des Menschenrechtsrats. Seither ist die Dynamik hinter den Bemühungen, das Verhalten von Unternehmen durch Gesetze zu regulieren, stetig gestiegen, dank des wachsenden politischen Willens, der Entschlossenheit der Zivilgesellschaft und der zunehmenden öffentlichen Unterstützung auf der ganzen Welt. Vom 23. bis 27. Oktober 2023 treffen sich die Staaten in Genf zur 9. Verhandlungsrunde für einen verbindlichen UN-Vertrag über Wirtschaft und Menschenrechte. Seit 2014 ist eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (IGWG) damit beauftragt, einen Vertrag auszuarbeiten, der transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen zur Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten und zum Schutz der Umwelt verbindlich verpflichtet. Die bevorstehende 9. Sitzung der IGWG bietet allen Beteiligten die Gelegenheit zum Austausch, um einen starken Entwurf in diese Richtung zu erarbeiten. Der jetzt diskutierte Entwurf zeichnet sich durch weitere Änderungen im Vergleich zum vorherigen dritten überarbeiteten Entwurf aus, von denen einige durchaus besorgniserregend sind. Während der Text im Allgemeinen schlanker ist, schützen mehrere Artikel die Rechteinhaber:innen weniger als die vorherigen Versionen des Entwurfs. Die zentralen Artikel, die den Zugang der Betroffenen zur Justiz erleichtern sollen, wurden abgeschwächt. Viele Änderungen spiegeln zudem Bemühungen wider, den materiellen Anwendungsbereich des Vertrags einzuschränken. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bedauern insbesondere den Wegfall mehrfacher Verweise auf unternehmerische Auswirkungen auf Umwelt und Klima, auf Konfliktgebiete und auf Arbeitsrechtsinstrumente. Eine Reihe positiver Ergänzungen oder Änderungen können nicht ausgleichen, dass der aktuelle Entwurf insgesamt einen Rückschritt gegenüber früheren Entwürfen darstellt, insbesondere wenn es um die Haftung von Unternehmen bei Verstößen geht. Das Ringen um konkrete Verpflichtungen wird weitergehen und ich werde mit anderen Abgeordneten des EP versuchen, hier auch endlich mehr konkrete Verantwortungsübernahme seitens der EU-Delegation bei den Vereinten Nationen und in Brüssel das Formulieren eines bindenden Mandats des EU-Rates für die Verhandlungen zu erreichen.
Wie kann Fairer Handel zur Umsetzung der SDGs beitragen? Um Fragen des globalen Wirtschaftens und Handelns wird es auch beim sogenannten Fair Trade Breakfast der Arbeitsgruppe für fairen Handel des Europaparlaments am Dienstag früh gehen. Gemeinsam mit Abgesandten von NGOs, der Zivilgesellschaft und natürlich aus der Fair-Trade-Bewegung wollen wir vor allem darüber reden, welche Rolle der Faire Handel bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele spielen kann. Sie wissen, dass die Realisierung der SDG ein zentrales Anliegen meiner Arbeit im Handelsausschuss ist – und nicht nur dort. Denn ich werde nicht müde zu betonen: Unser weltweites Wirtschaften muss sich ebenso wie der internationale Handel daran messen, wie er zur Umsetzung der SDGs, die von der Bekämpfung von Hunger und Armut bis zu Bildung und Gleichberechtigung der Geschlechter reichen, beiträgt.
Und auch im Verfassungsausschuss stehen wichtige Abstimmungen und Beratungen an. Ich halte Sie auf dem Laufenden.
Ihr Helmut Scholz |
Auf der Tagesordnung
In der kommenden Woche kommen die EU-Abgeordneten in ihren Fachausschüssen zusammen. Alle Sitzungen werden live übertragen. Hier finden Sie die Tagesordnung des Handelsausschusses. Die Agenda des Ausschusses für konstitutionelle Angelegenheiten können Sie hier einsehen. Die Ausschusssitzungen sind wie immer öffentlich und können per stream live verfolgt werden.
Dienstag, 24. Oktober 2023Anhörung zu "Wählt sie - wie die politische Beteiligung von Frauen gefördert werden kann"
Ausschuss für Konstitutionelles zum Berichtsentwurf "Vertiefung der EU-Integration mit Blick auf die künftige Erweiterung"
Mittwoch, 25. Oktober 2023Ausschuss für Konstitutionelles u. a. zu den Themen "Änderung der Verträge", "Vorbereitung der Europäischen Wahlen 2024", "Umsetzung der Vertragsbestimmungen über besondere Gesetzgebungsverfahren"
Donnerstag, 26. Oktober 2023Workshop bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema "Kritische Rohstoffe und Auswirkungen auf die Umwelt"
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Büro in Brüssel Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin Europa- und Bürgerbüro Rostock Europa- und Bürgerbüro Schwerin Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder) Europäisches Regionalbüro Spremberg |
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