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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 118, 13. Oktober 2023
Liebe Leser*innen,
sicher geht es Ihnen ebenso wie mir: Ich war entsetzt, als ich die ersten Nachrichten über die Terrorangriffe der Hamas auf Israel gehört habe und die Bilder der unglaublich grausamen Taten gesehen habe, die diese Terroristen begangen haben. Ich sage ganz ausdrücklich Terroristen, denn diese Hamas-“Kämpfer“ sind alles andere als Verteidiger der Rechte des palästinensischen Volkes. Das Töten von Zivilisten – ob nun Frauen, Kinder, alte Menschen, Männer – ist durch nichts zu rechtfertigen. Gleichgültigkeit darf nicht unsere Antwort sein gegenüber den unvorstellbaren Terrorangriffen und Massakern vom vergangenen Wochenende. Über 1200 Menschen wurden an diesem Samstag ermordet – an keinem Tag in der langen Geschichte des Nahostkonflikts mussten mehr Opfer gezählt werden, an keinem Tag seit der Shoa wurden mehr Jüdinnen und Juden ermordet. Ja, natürlich, auch diese Angriffe haben ein lange Vorgeschichte. Ich muss an dieser Stelle nicht die vielen Verletzungen der Rechte der palästinensischen Bevölkerung durch die israelischen Regierung anführen oder die Übergriffe militanter Siedler, die von staatlichen Seiten unterstützt werden. Und Sie wissen, dass gerade wir Linke immer und immer wieder eine gerechte, dauerhaft tragfähige Lösung für den seit inzwischen Jahrzehnten andauernden Konflikt fordern. Dies muss auf Grundlage der entsprechenden UN-Beschlüsse, insbesondere der Resolution 242, erfolgen und eine staatliche Verfasstheit auch der palästinensischen Gebiete garantieren. Wir als Linke im Europäischen Parlament haben wiederholt darauf gedrängt, dass insbesondere auch die EU ihre sogenannte soft power einbringt, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu erreichen und Eskalationen zu verhindern. Leider – und nun muss man sagen: tragischerweise – hat das „Nahost-Quartett“ aus EU, USA, UNO und Russland seine Verantwortung nicht wahrgenommen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die russischen Staatsführung selbst einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist dieses Vermittlungsgremium allerdings praktisch paralysiert. Mit ihren Terrorangriffen hat die Hamas der palästinensischen Bevölkerung in keiner Weise genützt, im Gegenteil, sie hat sie in Gefahr gebracht. Seit dem vergangenen Samstag müssen wir zusehen, wie sowohl die ultrarechte Regierung unter Benjamin Netanjahu als auch die islamistischen Terrorgruppen Hamas und Hisbollah auf Eskalation und Gewalt setzen. Die von der israelischen Regierung angekündigte und inzwischen teilweise umgesetzte Totalblockade des Gaza-Streifens bedroht die Versorgung von über zwei Millionen Palästinenser:innen mit Wasser, Lebensmitteln und Energie. Dies ist ein mittelalterlichen Vorgehen – und natürlich ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. In einer Schweigeminute haben hochrangige Vertreter:innen der drei EU-Institutionen der Opfer der Terrorangriffe gedacht und beide Konfliktparteien zur Deeskalation aufgerufen. Auch die Bundesregierung ist nun gefordert, ihre Beziehungen zu Israel und dem Hamas-Unterstützerstaat Katar zu nutzen, um sich für eine bedingungslose Freilassung aller Geiseln der Hamas einzusetzen und auf die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte der palästinensischen Bevölkerung zu drängen. Ich denke, angesichts der offensichtlich zunehmenden Spannungen, bewaffneten Konflikte, auch Kriegen weltweit ist es dringender denn je, eine neue globale Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die die legitimen Interessen aller Staaten garantiert, für weltweite Gerechtigkeit sorgt, Atom- und andere Vernichtungswaffen überflüssig macht und beseitigt. Zuallererst geht es natürlich darum, den aktuell tobenden Konflikt in Nahost – nicht nur um den Gaza-Streifen – zu beenden. Und ich möchte in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich meiner Delegationskollegin Martina Michels danken, die in der Israel-Delegation des Parlaments arbeitet und unsere linken Positionen dort nachdrücklich einbringt – und dies angesichts der gegenwärtigen Eskalation noch verstärkt tun wird. Lassen Sie mich nun noch einen Blick auf die heute beginnende Plenarwoche in Straßburg werfen. Am Mittwoch stellen Kommission und Rat die Ergebnisse des 2. UN-Gipfels zu den 17 „Zielen für nachhaltige Entwicklung“ (SDGs, Sustainable Development Goals) vor. Die bisherige Bilanz der „Agenda 2030“ ist jedoch mehr als ernüchternd: Auf halbem Wege seit Beschluss der SDG-Ziele ist die Staatengemeinschaft weit abgeschlagen von dem gesteckten Kurs einer nachhaltigen Entwicklung aller Weltregionen. Ich hatte es an anderen Stelle bereits kritisiert: Bei gerade einmal 15 Prozent der Ziele ist die Weltgemeinschaft auf dem richtigen Weg. Bei den verbleibenden sind die Fortschritte unzureichend oder es gibt sogar Rückschritte – insbesondere bei der Armutsbekämpfung und dem Schutz der biologischen Vielfalt. Auch bei der Bekämpfung des Hungers sind die Zahlen dramatisch: Im Jahr 2022 gab es weltweit 735 Millionen Menschen, die chronischen Hunger leiden, das sind über eine Million Menschen mehr als noch 2019. Die Nachhaltigkeitsziele sind als Richtschnur jedes politischen Handelns ausgelegt. Doch wenn in der konkreten Finanz-, Handels- oder Umweltpolitik Fakten geschaffen werden, gilt die Maxime „jeder gegen jeden“ auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten unvermindert weiter. Einige Gesetzesvorhaben wie etwa die Richtlinie über Sorgfaltspflichten in Lieferketten könnten dagegen greifbare Fortschritte bringen und international tätige Unternehmen in die Pflicht nehmen. Ein nächster Schritt muss der Abschluss des Verbindlichen UN-Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten („Binding Treaty“) sein. Im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber der Weltgemeinschaft und dem Bekenntnis zur Agenda 2030 müssen sich Bundesregierung und EU-Kommission den Prozess endlich aktiv und konstruktiv vorantreiben. Am Freitag dieser Woche werde ich im Rahmen einer Delegation des Handelsausschusses nach Toulouse reisen. Im Mittelpunkt: ein Besuch der Airbus-Werke, wo wir uns mit hochrangigen Vertretern der Geschäftsleitung und Beschäftigten treffen, um künftige Risiken und Chancen für den europäischen Flugzeugbauer zu besprechen. Auch angesichts der notwendigen Strukturveränderungen entsprechend den Rahmensetzungen des European Green Deal und einer Ersetzung von Kerosin. In Punkto Risiken wird sicher vor allem der Konflikt mit dem US-Flugzeugbauer Boeing zur Sprache kommen. Auch wenn der seit beinahe 20 Jahren andauernde Handelsstreit zwischen den beiden Firmen und somit auch zwischen der EU und den USA seit 2021 ein temporäres Ende gefunden hat, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Zugleich sind handelspolitisch zwei Parallelen zu aktuellen Entwicklungen zu ziehen. Einerseits hinsichtlich der angekündigten Untersuchung der Subventionierung chinesischer E-Autos (und möglicherweise Windräder) seitens der EU-Kommission, die vor dem Hintergrund europäischer Subventionen für Airbus wiederum verdeutlicht, dass die EU sich ebenfalls dieses Instruments bedient. Andererseits unternimmt die Kommission gerade viele Anstrengungen, die EU stärker mit den USA enger zu verflechten, um nicht selbst angesichts der US-amerikanischen Subventionen vom dortigen Markt ausgeschlossen zu werden. Der „Fall“ Boeing-Airbus ist nur eines von vielen Beispielen von Handelskonflikten mit den USA. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage: Wie zukunftssicher und belastbar soll künftig eine regelbasierte wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben werden, die Klimawandel, Ressourcenschonung und Digitalisierung fokussiert. Ich bin gespannt auf die Gespräche in Toulouse. Was weiter diese Woche auf der Agenda in Straßburg steht, lesen Sie, wie stets, unten. Ihr Helmut Scholz |
Auf der Tagesordnung
Diese Woche kommen die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Plenartagung in Straßburg zusammen. Alle Debatten werden live übertragen. Hier einige Highlights aus meiner Sicht:
Dienstag, 17. Oktober 2023Internationaler Tag zur Beseitigung von Armut
Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2024
Mittwoch, 18. Oktober 2023Ein echtes geopolitisches Europa
Ergebnisse des UN-Gipfels zur Agenda für nachhaltige Entwicklung
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Büro in Brüssel Büro des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Berlin Europa- und Bürgerbüro Rostock Europa- und Bürgerbüro Schwerin Europa-Wahlkreisbüro Frankfurt (Oder) Europäisches Regionalbüro Spremberg |
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