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Helmut Scholz, MdEP
Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 115, 22. September 2023
Liebe Leser:innen,

ich muss diesen Newsletter mit einer dramatischen Bestandsaufnahme in Sachen UN-Nachhaltigkeitsziele beginnen: Die Staatengemeinschaft ist 2023 nicht auf Kurs in Richtung Umsetzung der 17 Ziele zu einer weltweiten, nachhaltigen Entwicklung. An diesem Eingeständnis führte in der letzten Woche kein Weg vorbei, als auf dem 2. UN-Gipfel zur „Agenda 2030“ Zeit für eine Halbzeitbilanz war.

Das Versagen der UN-Mitglieder lässt sich nicht schönreden: Bei gerade einmal 15 Prozent der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs, Sustainable Development Goals – mehr dazu können Sie unter anderem auf meiner Webseite und auf Fair Handeln statt TTIP! nachlesen) ist die Weltgemeinschaft auf dem richtigen Weg. Bei den verbleibenden sind die Fortschritte unzureichend oder es gibt sogar Rückschritte – insbesondere bei der Armutsbekämpfung und dem Schutz der biologischen Vielfalt. Auch bei der Bekämpfung des Hungers sind die Zahlen dramatisch: Im Jahr 2022 gab es weltweit 735 Millionen Menschen, die chronischen Hunger leiden, das sind über eine Million Menschen mehr als noch 2019.

Die Nachhaltigkeitsziele sind als Richtschnur jedes politischen Handelns ausgelegt – so hatten es die 193 in der UN organisierten Regierungen 2015 vereinbart. Doch wenn in der konkreten Finanz-, Handels- oder Umweltpolitik Fakten geschaffen werden, gilt die Maxime „jeder gegen jeden“ auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten unvermindert weiter. Ob beim Wettrennen um die Rohstoffe von morgen, Hilfen für die Anpassung an die Klimakrise oder der Eindämmung der Covid-19-Pandemie in den vergangenen Jahren – die Bereitschaft, faire Teilhabe zu organisieren und so gemeinsam die Zukunft zu gewinnen, ist nicht zu erkennen.

Ein Kurswechsel kann nur über die Neubelebung der multilateralen Regelsetzung gelingen. Hier gilt es, auf Augenhöhe Kompromisse zu schmieden und multinationale Unternehmen ohne Ausweichmöglichkeit in die Verantwortung zu nehmen. Neubelebung bedeutet auch, dass etwa in der Welthandelsorganisation Parlamente in Verhandlungsprozesse einzubinden sind und für mehr Transparenz gegenüber den Bürger:innen gesorgt wird.

EU-Gesetze wie die Richtlinie über Sorgfaltspflichten in Lieferketten sind ein wichtiger Fortschritt, international tätige Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Ein nächster Schritt, die Ziele der „Agenda 2030“ greifbar zu machen, muss der Abschluss des Verbindlichen UN-Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten („Binding Treaty“) sein. Im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber der Weltgemeinschaft und dem Bekenntnis zur Agenda 2030 müssen sich Bundesregierung und EU-Kommission den Prozess endlich aktiv und konstruktiv vorantreiben.

Mit anderen Worten: Es braucht tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, um nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Politisches und wirtschaftliches Handeln müssen umfassend auf die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet werden, national wie international. Dazu gehört auch ein „SDG-Konjunkturprogramm“, wie es UN-Generalsekretär António Guterres diese Woche forderte, mit mindestens 500 Milliarden Dollar pro Jahr. Allerdings fehlen in der Gipfelerklärung dann jedoch konkrete Finanzzusagen.

Das Europaparlament forderte im Mai auch deshalb von EU Kommission und Rat eine Umsetzungsstrategie mit konkreten, EU-weiten, mess- und abrechenbaren, zeitlich gebundenen Zielsetzungen und die Installierung entsprechender Monitoring-Systeme. Die 17 Nachhaltigkeitsziele müssen darüber hinaus zu einem horizontalen Kriterium in allen Politikbereichen der EU gemacht und entsprechend ausgewiesen werden. Schönwetterreden und unverbindliche Ankündigungen wie von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die Bundesrepublik bei der Umsetzung der SDGs „sehr vorbildhaft“ vorangehen würde, andererseits als wirtschaftlich stärkster EU-Mitgliedstaat im kommenden Jahr die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe drastisch kürzen will, bringen uns nicht weiter.

Und: Wie es das im Mai auf der Beyond Growth Konferenz versammelte Bündnis aus fortschrittlichen Ökonomen, Aktivist:innen, Politiker:innen und hunderten jungen Menschen deutlich forderte: Gerade die reichsten Länder des Globus müssen sich von ihrem Wachstumsfetisch lösen, der droht, die Grenzen des Planeten zu sprengen.

Stichwort Beyond Growth Konferenz: In der vergangenen Woche haben alle Mitglieder des Europaparlaments, die an der Organisierung der Beratung beteiligt waren, in einem Brief an die Präsident:innen aller drei EU-Institutionen nochmals ihre Unterstützung für das Schlussdokument bekräftigt und die Umsetzung der darin enthaltenen Forderung angemahnt. Dabei geht es – um nur einige Punkte aus der Deklaration zu nennen – um die Ersetzung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) als Wachstumsindikator durch Kriterien wie menschliches Wohlergehen und ökologische Nachhaltigkeit, um die Diversifizierung des wirtschaftlichen Denkens in der EU oder auch die  Entwicklung einer neuen Postwachstumsstrategie, die auf dem EU-Green-Deal basiert. Mit unserem Schreiben wollen wir verhindern, dass die vielen guten Ansätze aus der Konferenz im Sande verlaufen und damit zugleich, siehe oben, der Entwicklung einer neuen wirtschaftlichen Denk- und Handlungsweise einen Schub verleihen.

Auch ein anderes Thema aus der letzten Woche Woche steht im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitszielen. Wir haben im Ausschuss für internationalen Handeln (INTA) uns einstimmig dafür ausgesprochen, die aktuelle Version des Allgemeinen Präferenzsystems der EU für die nächsten vier Jahre zu verlängern. Dieses Präferenzsystem, nach seiner englischen Bezeichnung Generalised Scheme of Preferences oft auch GSP genannt, ist ein unilaterales Handelsinstrument der EU, das es seit 1971 ermöglicht, Einfuhrzölle für Produkte aus Entwicklungsländern zu reduzieren oder abzuschaffen. Diese Zollermäßigungen, sogenannte Präferenzen, bis hin zu vollständiger Zollfreiheit, gelten dann bei der Einfuhr von Erzeugnissen in den europäischen Markt.

Über die Zeit hat die EU diese Präferenzen jedoch an Bedingungen und Standards, z. B. bei Arbeitnehmerrechten, geknüpft. Zudem gibt es innerhalb des Systems verschiedene Abstufungen. Sie reichen von der  Everything but Arms-Initative, die nur für die am wenigsten entwickelten Länder gilt und die weitreichendsten Zollreduktionen beinhaltet, bis zu speziellen Programmen für niedrig bis mittel entwickelte Länder.

Nach vielen Überarbeitungen hat sich jedoch gezeigt, dass das GSP-Instrument keine großen Vorteile für die Partnerländer mehr bietet, sondern teilweise dazu führt, dass Länder sich noch stärker auf einen Sektor konzentrieren (z.B. Textilien), was den Mangel an Diversifizierung nicht behebt. Mit einer inzwischen anstehenden Änderung des GSP sollten daher einige der Schwachstellen beseitigt werden.

Seit Mai 2022 wird inzwischen darüber im INTA diskutiert, seit Januar 2023 stehen wir darüber in Verhandlungen mit dem Rat (also den Regierungen der EU-Mitgliedsländer) und der Kommission. Der Rat beharrt dabei allerdings auf sogenannten Schutzmaßnahmen: Falls ein Produkt in großer Menge in die EU kommt und den heimischen Markt bedroht, kann die EU wieder Zölle auf die Produkte erheben. Zudem soll die Wiederaufnahme von Migrant:innen an das Fortbestehen der Präferenzen gekoppelt werden. Wenn sich ein Land nicht dazu bereit erklärt, sollen die Präferenzen entzogen werden. Ich halte diese Forderungen für völlig inakzeptabel. Der Rat indes besteht auf beiden Punkten, weshalb wir vorerst die Weiterführung der bisherigen Regelungen befürwortet haben, um nicht ganz ohne Regelungen dazustehen.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die anstehende Woche. Ein Ereignis ragt dabei ganz besonders heraus: Am kommenden Donnerstag lädt Mansoor Adayfi, ehemaliger Häftling 441 in Guantánamo, zu einer Veranstaltung im Europäischen Parlament ein. Mansoor wird zusammen mit anderen ehemaligen Guantánamo-Insassen, hochrangigen Anwälten des US-Militärs und der Zivilbevölkerung, einem ehemaligen Guantánamo-Kaplan, einem Vertreter der Familien vom 11. September und dem UN-Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus Zeugenaussagen über die Schrecken dieses Lagers präsentieren. Und über den Albtraum von 16 Männern, deren Freilassung genehmigt wurde, die nie wegen irgendetwas verurteilt wurden, aber nirgendwo hingehen können.

Ich bin sicher: Dies wird ein weiteres starkes Plädoyer für die Schließung des Internierungslagers und Auftrag für die EU, dabei zu helfen, tragfähige Lösungen für die Umsiedlung der verbleibenden Gefangenen in Drittländer und die Gewährleistung angemessener Lebensbedingungen für sie zu finden.

Einen Überblick weiterer Termine und Ereignisse dieser Woche finden Sie, wie stets, unten.

Ihr

Helmut Scholz

Auf der Tagesordnung

Auch diese Woche ist reich gefüllt mit empfehlenswerten Veranstaltungen. An diesen Debatten können Sie online oder vor Ort teilnehmen:

 

Dienstag, 26. September 2023

Die demokratische Odyssee - für eine europäische Bürgerversammlung

  • Auftakt eines Projekts von European Alternatives, Citizens take over Europe, Particip-Action u. a.

 

Mittwoch, 27. September 2023

Arbeitswelt, Grundrechte, Journalismus - Wie verändert künstliche Intelligenz unser Leben

  • Eine Veranstaltung der Linksfraktion THE LEFT im Europäischen Parlament. Mit Panagiotis Skevofylax, Antoinette Rouvroy, Lorena Jaume Palasi, Antonios Kalogeropoulos u. a.
  • Wann? Mittwoch von 14:30 - 17:30 Uhr
  • Wie? Die Konferenz findet im Europäischen Parlament in Brüssel statt und wird live übertragen. Weitere Informationen zur Veranstaltung, Teilnahme und zum Streaming finden Sie hier.

 

Donnerstag, 28. September 2023

Close Guantanamo! Herzliche Einladung von Häftling Nummer 441

  • Eine Veranstaltung der Linksfraktion THE LEFT im Europäischen Parlament. Mit Moazzam Begg, Andy Worthington, James Yee, Valerie Lucznikowska u. a.

 

Samstag, 29. September 2023

Künstliche Intelligenz vs. Mensch? Das Leben in neuen Zeiten

  • Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg mit Helmut Scholz, Jens Petermann, Prof. Dr. Anton Latzo und Michael Reimann
  • Wann? Samstag, 29. September von 15:00 - 18:00 Uhr
  • Wie? Die Veranstaltung findet im Haus der Natur in Potsdam statt. Hier finden Sie weitere Informationen zur Veranstaltung und Anmeldung.
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