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Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 102, 26. Mai 2023
Liebe Leser*innen,
den heutigen Newsletter möchte ich mit einem großen Dank beginnen. Er geht an meinen langjährigen Mitarbeiter Bernd Schneider. Bernd hat mich seit meiner Wahl ins Europäische Parlament 2009 begleitet. Als ausgewiesener Experte für Entwicklungspolitik und internationalen Handel war er mir wichtige Stütze für meine Arbeit im Handelsausschuss des Europäischen Parlament. Viele Positionierungen, Gesetzesinitiativen, Abstimmungen sind von ihm mit vorbereitet worden. Ob unser Kampf gegen das blutige Geschäft mit Konfliktmineralien, ob die Regulierung von „Big Tech“ in Handelsbeziehungen, ob der Einsatz für menschenwürdige Arbeitsbedingungen im globalen Süden und die Einbeziehung ökologischer und Menschenrechtsstandards in Handelsabkommen, insgesamt für eine Handelspolitik, die die UN-Nachhaltigkeitsziele in den Mittelpunkt stellt – in vielen Fragen und Prozessen hat Bernd seine Expertise eingebracht. Erst jüngst hat er mit dafür gesorgt, dass die große Beyond Growth Konferenz 2023, und insbesondere das Panel „Handel für Nachhaltigkeit“, sowohl von Inhalt als auch von der Organisation her ein voller Erfolg wurde. Dabei war Bernds Arbeit keinesfalls auf den Handels- und Wirtschaftsbereich beschränkt. Er wirkte an vielen Themen mit, an denen mein Team und ich arbeiten. Um nur zwei Punkte hervorzuheben: Die Beziehungen der EU zu den USA und zur VR China – Sie wissen, dass ich Mitglied der Parlamentsdelegationen zu diesen Staaten bin – hat Bernd intensiv verfolgt und wichtige Einschätzungen und Handlungsvorschläge geliefert. Nicht zuletzt hat er gerade in der letzten Wahlperiode seit 2019, die enorme Herausforderungen an uns Abgeordnete aber auch alle Mitarbeiter*innen stellte, ein völlig neues Durchdenken und praktisches Organisieren hinsichtlich der Vereinbarkeit von Parlamentarischer Verantwortung für Bürger*innen-Interessen, Home-Office, und eigener Familienfürsorge während der Covid-19 Pandemie erforderte, den Alltag in meinem Brüsseler Büro „gemanagt“ – eine Aufgabe, die nicht selten Nerven wie Stahlseile erfordert. Zwar wird Bernd zum Ende des Monats mein Team verlassen – unsere Wege trennen sich aber trotzdem nicht. Bernd wird als Fachreferent für Handelspolitik in die Fraktion THE LEFT im Europaparlament wechseln. Wir werden uns also hoffentlich nicht nur ab und an über den Weg laufen, sondern sicherlich ebenso und eng zusammenarbeiten, wie auch mit den Fachreferent*innen Cecilia Olivet, Albert Klein und noch Fabio Amato. Ich kann Bernd für seine neue Tätigkeit nur viel Erfolg wünschen. Es stehen noch wichtige Dossiers sogar in dieser Legislatur an, die eine Verstärkung der handelspolitischen Expertise der Linken Fraktion brauchen. Es gilt aber nicht nur über einen Abschied zu berichten, sondern auch über eine Begrüßung. Seit Mai arbeitet Hanna Penzer in meinem Brüsseler Team. „Neuland“ ist das Europaparlament für Hanna aber nicht. Sie hat von 2009 bis 2014 das Büro von Jürgen Klute geleitet – sicher erinnern sich einige von Ihnen noch an den Sozialpfarrer, der für unsere Fraktion unter anderem im Wirtschafts- und Währungsausschuss arbeitete. Hanna hat in Trier, Marburg und Bordeaux Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Romanistik studiert, war nach ihrer Tätigkeit Übersetzerin in Brüssel und ehrenamtliche Redakteurin der Plattform Europa.blog. Ein Schwerpunkt von Hannas Arbeit in meinem Büro wird neben der handelspolitischen Arbeit die Betreuung von Social Media und eine Neuausrichtung unserer Öffentlichkeitsarbeit sein. Herzlich willkommen, Hanna! In der kommenden Woche – auch wenn sie wegen Pfingsten etwas kürzer ist – stehen wichtige Termine und Entscheidungen an. In einer Aufzeichnung für das Parlamentsfernsehen werde ich zu den Beziehungen der EU und USA zu China Stellung nehmen – ich hatte bereits oben erwähnt, dass dies zu meinen Arbeitsschwerpunkten gehört. Und Sie wissen natürlich auch, dass es sich dabei um ein brisantes Thema handelt, das bereits jetzt und künftig sicher noch viel mehr die internationale Politik und Wirtschaft prägen wird. Nicht weniger wichtig ist die Abstimmungen im Parlament zum „EU-Lieferkettengesetz“. Während in der Bundesrepublik ein solches Gesetz bereits auf den Weg gebracht wurde, steht die umfassende Gesetzgebung auf europäischer Ebene noch aus. Die Europäische Kommission hatte im Februar einen entsprechenden Entwurf vorgelegt, der in den vergangenen Wochen im Parlament intensiv beraten wurde. Für mich und viele meiner Abgeordnetenkolleg*innen ist klar: Menschenrechte, der Schutz der Umwelt und Ressourcen, Arbeitsstandards müssen an allen Stellen der Liefer- und Wertschöpfungsketten nicht nur berücksichtigt, sondern durchgesetzt werden. Und darauf müssen auch die Unternehmen verpflichtet werden! Um diese Aspekte wird es in unserer Plenaraussprache für eine Richtlinie zur sogenannten Due Diligence gehen, die die Sorgfaltspflichten von Unternehmen fixiert. Mehr dazu, und zu anderer Punkten aus meinem Kalender, lesen Sie wie stets unten. Ihr Helmut Scholz |
Plenarsitzung des Europaparlaments in Brüssel
Mittwoch, 31. Mai und Donnerstag, 1. Juli
Die sogenannte Mini-Plenar-Sitzung beginnt um 15 Uhr mit einer Ansprache der georgischen Präsidentin Salome Surabischwili, die sicherlich auf aktuelle Entwicklungen im Rahmen der Östlichen Nachbarschaft der EU eingehen und Antwort auf das Ersuchen Georgiens um Mitgliedschaft des Landes in der EU drängen wird. Nicht von ungefähr findet diese Ansprache auch vor dem 1. Folgetreffen des Gipfels des Europäischen Partnerschaftsdialogs nach Prag nun im Juni in der moldauischen Hauptstadt, Chişinău, statt. Danach wird das Parlament der Opfer des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch gedenken, dessen traurigen 10. Jahrestag wir damit begehen. Und frei nach Bertolt Brechts Worten in „Die Teppichweber von Kujan-Bulak“ - „sie ehrten ihn, indem sie sich nützten“ - nehmen wir mit dieser emotionalen Debattenrunde gleichsam im Anschluss die Aussprache zu einer der wichtigsten Gesetzgebungen dieser Legislatur ein. Es geht um die Tatsache, dass in den Produktions- und Lieferketten der Welt häufig Menschenrechte verletzt, zumal soziale und arbeitsrechtliche Gesetzlagen und internationale Verpflichtungen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation), sowie Umweltschäden verursacht werden. Das betrifft beispielsweise die Gewinnung der Rohstoffe für unsere Telefone, Fernsehgeräte, Computer, PKW und Busse, zumal auch die Gesamtheit der für die e-Mobilität oder die Digitalisierung notwendigen Ressourcen, häufig aber auch die Textilien, die wir tragen, die unter üblen Bedingungen genäht und deren Stoffe Flüsse schädigend gefärbt worden sein können. Das muss nicht so sein und es gibt auch keinen Grund, die Missstände achselzuckend hinzunehmen. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher wollen und sollen sich darauf verlassen können, dass weder Mensch noch Umwelt leiden mussten für die Produkte, die sie auf dem Europäischen Binnenmarkt kaufen. Auch unsere Unternehmen werden davon profitieren, wenn sie künftig genauer darauf achten, was entlang ihrer Lieferketten passiert. Die Einhaltung von Regeln wird die Resilienz der Lieferketten stärken. Nachdem sich zunächst einige Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, als Vorreiter auf den Weg gemacht und ein nationales Lieferkettengesetz beschlossen hatten, soll es nun eine für alle Mitgliedstaaten der EU gültige Rahmengesetzgebung auf der europäischen Ebene geben. Die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“ setzt einen Ansatz um, der im Rahmen der OECD erarbeitet worden ist. Die EU Kommission war durch einen weitreichenden legislativen Initiativbeschluss des Europaparlaments aufgefordert worden, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen und hatte im vergangenen Jahr endlich geliefert. Dieser Entwurf ging uns als Fraktion The LEFT jedoch in vielfacher Hinsicht nicht konsequent genug an eine Umsetzung der OECD-Sorgfaltspflicht. Gemeinsam mit fortschrittlich denkenden Abgeordneten aus anderen Fraktionen ist es gelungen, den Gesetzentwurf zu konkretisieren und damit zu verbessern. Das Ergebnis geht über das hinaus, was in den nationalen Gesetzen in Deutschland und Frankreich erreicht werden konnte. Der Geltungsbereich wird auf alle großen Unternehmen (250 Mitarbeiter und 40 Millionen Umsatz) und oberste Muttergesellschaften sehr großer Konzerne (mehr als 500 Mitarbeiter und 150 Millionen Umsatz) ausgeweitet, die in der EU tätig sind. Das Rahmengesetz verlangt von Unternehmen, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu erkennen, zu verhindern, zu beenden und zu beheben. Zu den Auswirkungen auf die Menschenrechte, die angegangen werden müssen, gehören alle Grundrechte, grundlegende Arbeitnehmerrechte, die Rechte indigener Völker, das humanitäre Recht und einige Korruptionsprobleme. Zu den Umweltauswirkungen, die angegangen werden müssen, gehören Klimawandel, Artenvielfalt, Umweltverschmutzung, Degradierung, Entwaldung, übermäßiger Ressourcenverbrauch, Schadstoffe und Abfall. Unternehmen müssen einen Klimaübergangsplan verabschieden und umsetzen, um ihn an das europäische Ziel anzupassen, einschließlich der Klimaneutralität im Jahr 2050. Unternehmen müssen in Konfliktgebieten eine erhöhte Sorgfaltspflicht walten lassen. Wenn es die Situation erfordert, müssen Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit Rechte verletzenden Geschäftspartnern aussetzen und beenden. Hauptziel bleibt dennoch die Beseitigung von Missständen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Unternehmen künftig gefordert, unterstützt durch beständigen und fairen Dialog mit Interessengruppen („sinnvolles Engagement“), einschließlich Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften, die gebotene Sorgfalt walten lassen. Bei fortgesetzter Zuwiderhandlung drohen Unternehmen harte Sanktionen, darunter Bußgelder bis zu 5 % ihres weltweiten Nettoumsatzes (Verwaltungshaftung). Unternehmen haften auch für den Ersatz von Schäden, die aus der Nichteinhaltung ihrer Pflichten entstehen (zivilrechtliche Haftung). Opfer können auf Schadenersatz klagen. Dabei sollen strengen Vorgaben für den Zugang zur Justiz helfen, wenn sie Klagen vor EU-Gerichten einreichen, einschließlich der Vertretung durch Organisationen der Zivilgesellschaft vor Gericht, dem Recht auf Zugang zu Beweismitteln von Unternehmen, dem Recht, Unterlassungsmaßnahmen zu beantragen, und einer Mindestverjährungsfrist von 10 Jahren. In einigen Bereichen konnte die Europäische Volkspartei (CDU) und Teile der liberalen Fraktion (insbesondere FDP) allerdings auch eine Verwässerung des Gesetzes im Sinne der Lobbyinteressen durchsetzen, die diese Parteien vertreten. Finanzdienstleister profitieren von gewissen Ausnahmen. Einige sind vom Anwendungsbereich sogar ganz ausgenommen, oder haften nur für ihre direkten Kunden und haben geringere Pflichten. Aus meiner Sicht werden auch nicht alle Hochrisikosektoren ausreichend berücksichtigt. Komplexe Konzernstrukturen ermöglichen weiter Ausreden und Schlupflöcher. So gibt es keine automatische Haftung von Unternehmen für ihre Tochtergesellschaften und Unternehmen, die sie kontrollieren. Die Beweislast wurde nicht zugunsten der Opfer umgekehrt, wie wir uns das gewünscht hatten. Wir konnten aber zumindest erreichen, dass dies nicht verboten wird und auf der Ebene der Mitgliedstaaten weiterhin möglich ist und teilweise durch das Recht auf Zugang zu Beweismitteln ausgeglichen wird. Auch wurde durchgesetzt, dass das Gesetz nicht von allen Unternehmen gleich schnell erfüllt werden muss. Es gibt einen kaskadierenden Zeitplan für die Durchsetzung. Die Anwendung erfolgt in drei Wellen vom größten zum kleinsten Unternehmen im Geltungsbereich (3-4-5 Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie). Ich kann nun nur darauf hoffen, dass sich alle Fraktion daranhalten, die in langwierigen Verhandlungen erreichten Kompromisse zu achten, auf die wir uns in den beteiligten Ausschüssen einigen konnten. Dann könnten wir gestärkt durch eine klare Mehrheit in die Verhandlungen mit dem Rat eintreten, mit dem wir als Ko-Gesetzgeber über den endgültigen Wortlaut des Gesetzes verhandeln werden. Das wird dann noch einmal ein Stück harte Arbeit - aber ich hoffe, das so wichtige, international beachtete und mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Gesetzgebungsverfahren kann 2023 abgeschlossen werden. Auch als ein Stück aktiver Verantwortungsübernahme der EU für die Umsetzung der von allen 27 Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen zum Erreichen der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es ist jedoch leider auch noch immer möglich, dass die Abstimmung am Donnerstag doch noch für einen Angriff auf die weitreichenden Verpflichtungen der Unternehmen genutzt wird und es am Ende ganz knapp ausgeht. -- Der Plenarsitzung können sie am Mittwoch ab 15 Uhr live folgen. Die Debatte zur Sorgfaltspflicht für Nachhaltigkeit beginnt ab ca 16 Uhr. Zur Abstimmung können Sie sich am Donnerstag ab 11 Uhr live einschalten. |
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